Schweden überdenkt Strategie
Chefepidemiologe Tegnell: Herdenimmunität bei weitem nicht erreicht
Während mit den steigenden Infektionszahlen in Europa ab März die Maßnahmen zur Viruseindämmung immer strikter wurden, ging Schweden einen ganz eigenen Weg: Die Behörden setzten auf die Freiwilligkeit der Menschen und umgingen so einen Lockdown – zumindest bisher. Denn nun denkt man auch in Schweden angesichts der erneut steigenden Infektionszahlen um. Bereits ab Montag könnten dementsprechende regionale Maßnahmen verkündet werden, sagte Johan Nojd, Leiter der Infektionskrankheitenabteilung in Uppsala, der Zeitung Telegraph am Sonntag.
Am Montag tritt eine neue Regelung in Kraft, die es auch regionalen Gesundheitsbehörden erlaubt, Einschränkungen in ihren Regionen umzusetzen – in Absprache mit der nationalen Gesundheitsagentur. Zu den möglichen Maßnahmen zählen, dass Bürgerinnen und Bürger angewiesen werden können, Einkaufszentren, Museen, Bibliotheken und Schwimmbäder zu meiden. Weitere betroffene Orte können Sportstätten, Sportveranstaltungen und Konzerte sein. Auch die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel darf eingeschränkt werden, um Risikogruppen wie ältere Menschen zu schützen.
„Es ist eine Art Lockdown-Situation, aber ein lokaler Lockdown“, sagte Nojd. Seit Anfang September steigen die Zahlen wieder an, in Uppsala in den vergangenen Wochen um das Zehnfache. Gab es Anfang September noch rund 200 Neuinfektionen täglich, waren es bis Ende vergangener Woche teils über 900.
Hohe Zahl an Todesfällen
Die neuen Maßnahmen würden die Abkehr von der bisherigen Strategie vorantreiben. Chefepidemiologe Anders Tegnell musste in den vergangenen Monaten viel Kritik dafür einstecken. Denn während in Schweden rund 58 pro 100.000 Einwohner am Virus gestorben sind, sind es im benachbarten Finnland lediglich sechs, in Österreich zehn. Tegnell selbst hat die Strategie zumeist so verteidigt, dass sich auf Dauer eine erreichte Herdenimmunität bezahlt mache. Allerdings gestand er Ende vergangener Woche ein, dass dafür noch bei weitem nicht genug Leute immun seien.