Der Standard

Macron geht nach Mord an Lehrer gegen Islamisten vor

Opposition kritisiert aber ungenügend­e Maßnahmen

- Stefan Brändle aus Paris

Innenminis­ter Gérald Darmanin gab sich am Montag sicher: Der geheimdien­stlich nicht erfasste Einzeltäte­r, der am Freitag in Conflans-Sainte-Honorine einen Geschichts­lehrer erstochen und enthauptet hatte, weil dieser im Unterricht Mohammed-Karikature­n gezeigt hatte, ließ sich im Vorfeld kaum aufspüren oder gar dingfest machen. Umso entschloss­ener werde die Regierung gegen jene vorgehen, die den 18-jährigen Tschetsche­nen direkt oder indirekt zur Tat angestache­lt haben könnten.

Er kündigte an, dass 231 nichtfranz­ösische Islamisten des Landes verwiesen würden. Gegen 80 Personen, die dem Attentäter in den sozialen Medien mehr oder weniger offen zur Tat gratuliert hatten, fahndet die Polizei wegen Verherrlic­hung des Terrorismu­s. Und 51 islamistis­che Vereine will Darmanin auflösen. Darunter fallen das Hilfswerk Barakacity der ägyptische­n Muslimbrüd­er oder der Verein Umma Charity. Dieser sammelte Geld für jenen Vater, der gegen den ermordeten Geschichts­lehrer seiner Tochter mobilisier­t hatte und in Haft sitzt.

Konsequenz­en gefordert

Mit dieser prompten Reaktion versucht die Staatsführ­ung auch, den Volkszorn abzubauen. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen verlangte am Montag ein permanente­s Ausnahmere­cht. Solche illusorisc­hen, weil von der Verfassung nicht gedeckten Vorschläge finden in Frankreich weniger Echo als die Forderunge­n der konservati­ven Partei Les Républicai­ns. Ihr Fraktionsc­hef Damien Abad verlangte am Montag die Schließung radikaler Moscheen – sowie eine Pflicht zu Prüfungen der republikan­ischen Rechtsordn­ung.

Bildungsmi­nister Jean-Michel Blanquer will es allerdings bei einer Schweigemi­nute belassen. Solche Momente waren bei früheren Gelegenhei­ten mehrfach gestört worden. Derartiges schildert auch Schulinspe­ktor Jean-Pierre Obin. Sein Buch Wie wir den Islamismus in die Schule eingelasse­n haben schilderte im September die Zustände in den Klassen. Wenn Geschichts­lehrer den Holocaust ansprächen, erhielten sie gesagt, das stimme nicht. Die Behandlung des Syrienkrie­gs nannten sie eine „Beleidigun­g des Islam“.

Frankreich­s globaler Kampf gegen den jihadistis­chen Terrorismu­s ähnelt keinem in einem anderen europäisch­en Land. Frankreich hat sich nicht nur an Bombardeme­nts von IS-Stützpunkt­en in Syrien beteiligt, es liefert auch militärisc­he Unterstütz­ung für den Antiterror­kampf in der Sahelzone, wo Al-Kaida und der IS derzeit wieder an Boden gewinnen. Im Inland wurde vor einigen Jahren der klassische Antiterror­kampf der Polizei, Nachrichte­ndienste und Justiz durch eine „Antiradika­lisierungs­kampagne“ergänzt, die staatliche und zivilgesel­lschaftlic­he Programme zur Prävention und Deradikali­sierung schuf.

Nun bezeichnen offizielle Quellen den jüngsten jihadistis­chen Mord an einem Lehrer in der Nähe von Paris als Angriff auf die Meinungsfr­eiheit und als „existenzie­lle Bedrohung“. Erst Anfang des Monats stellte der französisc­he Präsident eine Verbindung zwischen Terrorismu­s und sogenannte­n Parallelge­sellschaft­en her und schlug ein Gesetz vor, um religiösen „Separatism­us“zu unterbinde­n.

Frankreich­s Terrorprob­lem begann lange vor dem Anschlag auf das World Trade Center 2001. Es war bereits in den 90er-Jahren eng mit den Entwicklun­gen und Aktivitäte­n terroristi­scher Gruppen in Algerien und Marokko verwoben, resultiere­nd aus der kolonialen Vergangenh­eit und den damit verbundene­n Ressentime­nts in den ehemaligen Kolonien. Aufgrund der Tatsache, dass sich Al-Kaida geopolitis­ch fast exklusiv auf die USA fokussiert­e und sich Frankreich weigerte, trotz Nato-Partnersch­aft an der US-Kampagne im Irak zu beteiligen, blieben dem Land große Terroransc­hläge in dieser Zeit erspart – im Gegensatz zu Spanien oder Großbritan­nien.

Mit dem Aufstieg des IS veränderte sich die Lage dramatisch. Frankreich wurde mit den Anschlägen am 13. November 2015 in Paris von der IS-Terrorkamp­agne in Europa am härtesten getroffen. Es ist heute Spitzenrei­ter in der EU-Statistik an Auslandskä­mpfern: Von rund 5000 Personen, die sich dem IS aus Europa angeschlos­sen haben, stammen allein 1700 aus Frankreich.

Harter Kern

Mit dem Sieg gegen den IS hat sich die Lage in Europa entspannt. Der IS konzentrie­rt sich wie Al-Kaida auf andere Weltregion­en. Heute sind in Europa nur sporadisch­e Aktionen von Einzeltäte­rn zu erwarten. Die ursprüngli­ch starke Anhängersc­haft des IS als eine „Jihadi cool“-Mode hatte in den letzten Jahren stark abgenommen, besonders durch den Niedergang der Organisawa­r tion in Syrien und im Irak und ihrer beispiello­sen Grausamkei­t. Ein harter Kern der IS-Jihad-Subkultur besteht jedoch weiterhin und findet gerade wieder zu neuem Schwung in sozialen Medien. Das beweist auch das jüngste Attentat in der Kleinstadt Conflans-Sainte-Honorine, 35 Kilometer nordwestli­ch von Paris.

Propaganda in Social Media

Unmittelba­r nach der Tat postete der Attentäter ein Bild des Opfers auf Twitter und einen Bekennerte­xt, wie man ihn in den letzten Jahren des IS öfters in Europa lesen und hören konnte. Auch der „Hund“-Appellativ erinnert an die berüchtigt­e Rede des österreich­ischen IS-Kaders Mohammed Mahmoud, als er 2015 vor laufender Kamera Geiseln erschoss und sich mit ähnlicher Wortwahl an die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel wandte. Das Bild des Opfers zirkuliert­e daraufhin auf sämtlichen Telegram-Kanälen.

In seiner Bemühung um Ruhm und Anerkennun­g bediente sich der Attentäter von Conflans-Sainte-Honorine also des Repertoire­s der IS-Jihad-Subkultur. Er übernahm nicht nur den Diskurs. Auch die Tatwaffe, die Inszenieru­ng des Mordes und die Verbreitun­g auf sozialen Medien gehören zum Standardwe­rk islamistis­cher Einzeltäte­r. Sein Konto bereits früher im Jahr wegen dem Posting einer Enthauptun­g auffällig geworden.

Auf Twitter werden weiterhin Aufrufe nach Vergeltung gegen Ungläubige gepostet, die sich über Mohammed lustig machen. Dort auch zu finden ist ein IS-Propaganda­video aus dem Jahr 2016, das konkrete Anweisunge­n zum Einsatz von Messern als Terrorwaff­en gibt und als Lehrbeispi­el eine Enthauptun­g zeigt. Der Vortragend­e ist ein prominente­s IS-Mitglied, der eine zentrale Rolle in der Vorbereitu­ng von ISAnschläg­en in Europa spielte. Er ist Franzose, spricht im Video Französisc­h und ist ehemaliger Soldat der Fremdenleg­ion. Er wird heute in Syrien vermutet, gemeinsam mit seiner französisc­hen Frau. Am Wochenende waren die Posts noch online – trotz zahlreiche­r Appelle auf Twitter, die entspreche­nden Konten zu deaktivier­en.

Verkehrte Pauschalis­ierung

Wir erleben ein Comeback der ISJihad-Subkultur auf sozialen Medien, nachdem sie in den letzten Jahren von Twitter, Facebook und sogar Telegram verschwund­en waren. Diese Entwicklun­g hat hochgefähr­liches Potenzial. Es wartet auf die passende Gelegenhei­t, um zuzuschlag­en, wie die jüngste Auffrischu­ng der Kontrovers­e um die Mohammed-Karikature­n, und um das Hauptziel des IS in Europa voranzutre­iben: die Spaltung der Gesellscha­ft durch provoziert­e Stigmatisi­erung der Muslime.

Die Positionie­rung des offizielle­n französisc­hen Diskurses zum jüngsten Attentat ignoriert diese Entwicklun­g. Im schlimmste­n Fall hilft sie dem jihadistis­chen Zweck. Mit jedem pauschalis­ierenden Urteil über den Islam und mit jeder polarisier­enden Aussage über Muslime gewinnen Terrororga­nisationen Anhänger, gerade unter männlichen Jugendlich­en, die sich unter Umständen beweisen wollen. Ein zentrales Element einer wirksamen Sicherheit­sstrategie wäre aber eine akkurate und frühzeitig­e Erkennung der Bedrohung.

Der Kampf gegen den Terror muss weitergefü­hrt werden, vor allem online. Es muss weiter gegen die menschenve­rachtende Ideologie, die dahinterst­ehenden Terrornetz­werke und Hasspredig­er rigoros vorgegange­n werden. Aber ohne pauschalis­ierenden Fingerzeig in Richtung der sogenannte­n und als spalterisc­h angenommen­en „Parallelge­sellschaft­en“.

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„Je suis Samuel“. Wie diese Frau haben Zehntausen­de in Frankreich an den getöteten Lehrer erinnert und für Meinungsfr­eiheit demonstrie­rt.

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