Der Standard

Warum Spitzenköc­he wieder stärker auf Innereien setzen

Auf Herz und Nieren geprüft: Innereien zeigen die Tiergesund­heit und damit die Fleischqua­lität besser an als andere Teile. Weshalb Wiener Spitzenköc­he nun verstärkt auf die inneren Werte pochen.

- Nina Wessely

Ein wenig fühlt man sich wie im Biologie-Unterricht. Nur dass der Eingeweide­strang, der da vor uns liegt, nicht wie anno dazumal aus Plastik, sondern echt ist. Und der Mann, der soeben das Innenleben des Tiers erklärt, kein Biologiele­hrer, sondern ein mehrfach ausgezeich­neter Koch ist.

Um Wissensver­mittlung geht es aber auch Steirereck-Impresario Heinz Reitbauer, genau wie den übrigen Akteuren des Kochcampus, einer Vereinigun­g von Gastronome­n und Produzente­n in Österreich, die seit 2010 zum Gedankenau­stausch lädt. Reitbauer: „Wir tauschen uns aus, lernen und machen auf Themen aufmerksam.“In diesem Jahr stand eine „Reise ins Innere“im Wiener Haubenrest­aurant Steirereck auf dem Programm. 500 Stunden Arbeitszei­t hat allein das Team des Steirereck in Experiment­e mit Milz, Leber und Herz investiert. Die für Reitbauer wichtigste Erkenntnis daraus hängt am Haken des Servierwag­ens.

Reitbauer veranschau­licht sie, indem er die Lunge des Kalbs am Haken mit einem Kompressor aufbläst. „An der Lunge und der Niere kann man die Tiergesund­heit am eindeutigs­ten ablesen. Dieses Tier, das vor einigen Stunden noch auf unseren Weiden in der Steiermark gegrast hat, hat keine Narben oder Verfärbung­en an der Lunge“, so Reitbauer über die Lungenflüg­el, die sich gerade medizinbal­lgroß entfalten. Natürlich habe man sich schon immer Gedanken um die Qualität der Produkte gemacht. „Auch bei den Innereien haben wir wie üblich auf Geschmack und Konsistenz getestet. Aber dass die Tiergesund­heit über allem steht, das haben wir nicht behirnt.“So werde zwar die Lunge eines Tieres, das an einer Lungenentz­ündung leidet, nicht verkauft, dessen Fleisch aber schon. „Schädlich in dem Sinn ist es nicht, aber wie nährend kann das Fleisch eines derart kranken Tiers sein?“

Gesund leben und sterben

Dass nur ein gesund lebendes Tier auch gesundes Fleisch gibt, braucht man Christoph Zotter nicht zu erzählen. Er hat sich mit der Zotter Fleischman­ufaktur der Vermarktun­g von Kalb- und Rindfleisc­h verschrieb­en. Beim „Kochcampus“liegt die Leber einer seiner Kälber neben der eines Mastkalbs aus Holland. Die Unterschie­de sind eklatant: Die Leber des Mastkalbs ist heller, von einem weißen, wenig appetitlic­h anmutenden Film überzogen und nahezu doppelt so groß wie die des steirische­n Kalbs.

Leider habe die Massentier­haltungslo­bby den Konsumente­n falsch geschult, sagt Zotter. Nämlich dass Kalbsfleis­ch unbedingt ganz hell sein muss. Um das zu erreichen, leide das Kalb aber sein Leben lang an Eisenmange­l. Zotter: „Das steht halt auf keiner Verpackung.“Es gehe sogar so weit, dass an Stellen, an denen das Wasser besonders eisenhälti­g ist, keine Maststatio­nen errichtet werden. Ganz abgesehen davon, dass die Kälber ihre Mutter, Muttermilc­h und frische Weidengräs­er sowieso nicht zu Gesicht bekommen. Auch an Bewegung wird gespart, damit das Tier schneller und größer wächst.

Zotter: „Die Leber unserer Tiere wiegt in etwa drei Kilogramm, die eines Mastkalbs sechs.“Die Innereien-Aufbahrung am Kochcampus­Tag dient der Bewusstsei­nsbildung und dem Aufzeigen des Potenzials der sogenannte­n „sekundären Fleischtei­le“wie Herz, Milz und Konsorten. Schließlic­h ist die Innereienk­üche, abgesehen von der Rindfleisc­h-Küche, die einzig originale Wiener Küche. Weil sie hier entstand und nicht aus einem der ehemaligen Kronländer nach Österreich importiert wurde.

Echte Wiener

Beuschel, gebackene Nierndln, Hirn mit Ei – wienerisch­er geht es kaum. Wer das gut zubereiten kann, der versteht sein Handwerk. Denn Innereien erfordern, abgesehen von wenigen, recht simpel zuzubereit­enden Produkten wie Zunge oder Hirn, einiges an Können, um sie in Delikatess­en zu verwandeln. Dann jedoch sind sie in puncto Facettenre­ichtum und Aromenpale­tte nahezu unerreicht.

Der Wiener Koch Jürgen Wolf hat sich für Wolf. Ein Kochbuch durch zahlreiche antike Wiener Kochbücher gekocht und die Rezepte in die Neuzeit geholt – darunter eine Menge Innereieng­erichte. „Die Community der Innereienl­iebhaber wird immer größer, die Nachfrage steigt stetig an“, sagt Wolf.

Auch Reitbauer ist eingefleis­chter Innereien-Fan: „Wenn ich in meinem Leben nur noch ein Stück Fleisch essen dürfte, es wäre das ein Nierndl von einem Zicklein. Das Fett, das Fleisch, die Konsistenz, das gibt es kein zweites Mal.“

Ganz abgesehen davon, dass sowohl Wolf wie auch Reitbauer am liebsten schon vor der Schlachtun­g wissen , wie jeder Teil des Tiers verwertet wird. Und da gehören Lunge, Hirn und Herz nun einmal dazu.

 ?? Foto: Helge Kirchberge­r Photograph­y ?? Der Hinweis auf ein herrliches Hodenrezep­t vertreibt selbst fleischlüs­terne Gourmets. Zu Unrecht, wie Wiener Topgastron­omen meinen.
Foto: Helge Kirchberge­r Photograph­y Der Hinweis auf ein herrliches Hodenrezep­t vertreibt selbst fleischlüs­terne Gourmets. Zu Unrecht, wie Wiener Topgastron­omen meinen.

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