„Es hat etwas von Magie“
Mit „The Truffle Hunters“widmet sich die Viennale zum Festivalabschluss der Jagd nach weißen Trüffeln. Michael Dweck und Gregory Kershaw über eine Welt, in die noch keine digitale Technologie vorgedrungen ist.
Der Alba-Trüffel gilt als eine der begehrtesten Köstlichkeiten des Planeten, so rar wie schwer zu finden. In ihrem Dokumentarfilm The Truffle Hunters porträtieren die US-Filmemacher Michael Dweck und Gregory Kershaw eine Handvoll ausgewiesener Experten aus dem Piemont. Keiner davon ist unter 70 Jahre alt, und sie wissen ihr Wissen so gut zu hüten wie einen Schatz. Ein Gespräch über eine Kultur, die wie in Bernstein gegossen scheint – und die dennoch nicht länger vor den Beschleunigungen und ökologischen Verwerfungen einer sich rapide verändernden Welt geschützt ist.
STANDARD: Es ist Ende Oktober, die Trüffelsaison hat bereits begonnen. Wie läuft es dieses Jahr?
Dweck: Es ist eine gute Saison, das Wetter hat gepasst. Das wissen wir deshalb, weil wir den Trüffelsuchern weiterhin helfen, sie schicken uns Trüffel, die wir dann weitersenden. Weiße Trüffel kann man nicht züchten, jeder hat seine eigene Philosophie dazu. Manche meinen, es hängt von den Mondphasen ab, die Temperatur muss um 15 Grad sinken, dann einen Tag regnen und danach die Sonne wieder herauskommen… Andere sagen, ein Blitz müsse in der Nähe einschlagen!
Standard: Wie oft sind Sie erfolgreich gewesen, als Sie mit den Männern unterwegs waren?
Dweck: Ach, wir waren oft 15 Kilometer unterwegs. Stellen Sie sich vor, es ist kalt, dunkel und schlammig. Es gibt Steilhänge, man kann da leicht stürzen. Greg, wie oft fanden wir etwas? Zwei-, dreimal? Kershaw: In der ersten Saison, die schlecht war, eigentlich gar keine.
Es gab eine Dürreperiode und kaum Regen, das ist sehr selten: Es gab fast gar keine Trüffel. Die Abnehmer gerieten schon in Rage, denn sie haben Kunden aus der ganzen Welt. Drei-Sterne-Restaurants, die von Trüffel abhängen, Millionäre, Milliardäre. Es war eine sehr angespannte Stimmung in den Wäldern.
StandarD: Erstaunlich, dass sie überhaupt ihre Plätze mit Ihnen geteilt haben.
Dweck: Das haben sie nicht wirklich! Man konnte es an den Hunden sehen.
Kershaw: Es ist wie eine Goldsuche, die einzige Chance, Trüffel zu finden, ist, einen tollen Hund zu haben. Deshalb sind Trüffel so teuer, sie kosten über 10.000 Euro pro Kilo. Auf manchen Auktionen ging es hinauf bis zu 100.000 Euro. Das Wissen wird seit Generationen im engsten Kreis bewahrt. Die Jäger haben eigene Wissensarchive: Wenn sie einen Trüffel finden, schreiben sie alles genau auf, wo und wann sie ihn fanden, unter welchem Baum, auch die Wetterbedingungen. Es hat etwas von Magie, selbst die Wissenschaft hat das nicht gänzlich geklärt.
STANDARD: Die Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing beschreibt anhand des ebenfalls sehr raren MatsutakePilzes eine Art Gegenökonomie, die neue Blüten treibt. Warum ist das beim Trüffel anders und da von einer aussterbenden Kultur die Rede? Dweck: Weil es noch schwierig ist. Die Kinder halten die Tradition nicht mehr aufrecht, sie haben andere Jobs. Es gibt keine Nachfolger oder nur solche, die die Jagd aus den falschen Gründen machen. Sie respektieren die Natur nicht und holen sich den Trüffel, wenn er noch gar nicht zur Gänze gewachsen ist. Dann sind die Sporen noch nicht draußen, und es ist unwahrscheinlich, dass er wieder kommt. Die Entwaldung ist ein weiteres Problem. Kershaw: Es braucht nicht nur Wissen, sondern auch Bereitschaft. Man ist mitten in der Nacht, acht, manchmal zwölf Stunden unterwegs. Es ist saukalt. Doch unsere Protagonisten lieben das. Ein Teil der Freude kommt von der Jagd, ein anderer einfach aus der Naturerfahrung selbst. Ich glaube, das Verlangen ist immer noch groß, aber die Technologie hat die Bereitschaft, das wirklich durchzustehen, verringert. Es ist einfacher, zu Hause Videos auf dem iPhone anzuschauen.
STANDARD: Das heißt, Sie sehen einen größeren kulturellen Wandel, der diese Lebensform bedroht? Kershaw: Wir dachten in der Tat, dass es drängt, diesen Film zu machen, weil die Menschen dieser Welt noch nicht von digitaler Technologie erreicht wurden. Es hat sich so angefühlt, als würden wir in ein Italien der 60er-Jahre zurückkehren – zumindest eines, wie ich es mir vorstellen würde. Nicht nur, was die Beziehung zur Kultur anbelangt, auch das Verhältnis zur Gemeinschaft, zu Traditionen – es sieht nicht so, aus als könnte das gegen den Sog der digitalen Technologie bestehen. Dweck: Das sind Leute, die noch miteinander reden. Wenn sie auf den Markt gehen, dann teilen sie jeden Morgen eine Zeitung und führen danach ein Gespräch über Sport oder Politik. Das hat einen Wert für diese Gemeinschaft. Sie haben keine Handys, auch keine Computer, dafür müssen sie sich mit 200 Kilo schweren Wildschweinen herumschlagen, die auch Trüffel lieben. Standard: Besonders eng scheint die Beziehung der Männer zu den Hunden – noch enger als zu den Frauen. Michael: Als wir die Hunde mit Kameras ausgestattet haben, waren
wir verblüfft: Zwischen den Besitzern und den Hunden gab es sogar eine Art Sprache. Und als wir einmal gemeinsam gefrühstückt haben, gab es vier Plätze am Tisch. Der vierte war für den Hund, dem dann auch noch vor uns dasselbe Essen serviert wurde.
STANDARD: Ein Protagonist, der aus der Reihe fällt, ist Angelo. Er schreibt auf einer Schreibmaschine seine „Kündigung“. Wie haben Sie ihn gefunden? Kershaw: Ein Trüffelsucher hat uns mit ihm vernetzt, wir hatten ein Abendessen bei ihm, zu dem er 45 Minuten zu spät kam. Eines der ersten Dinge, die er sagte, war: „Ich kann Trüffelsucher nicht ausstehen!“
Dweck: „Ich hasse euch alle, ich will mit euch nichts zu tun haben!“Kershaw: Wir mussten ihn filmen. Irgendwann ließ er uns dann in sein Haus, ein großes, verfallenes Gebäude. Er hat dort seine kleine, magische Welt, die er aufrechterhält. Er beschwert sich darüber, was in der Umgebung passiert, wie stark das Trüffelsuchen kommerzialisiert wurde, wie aus einer Delikatesse für ein Luxusgut wurde. Er ist gut informiert und glaubt, dass die Menschen begonnen haben, übereinander herzufallen. Er hat im Film die Position, auf das zu zeigen, was in der Welt außerhalb passiert.
STANDARD: Der Film ist auch visuell bemerkenswert, mit ausgefeilten Einstellungen. Ein Wort zum Stil? Dweck: Wir haben über einen Zeitraum von drei Jahren viel Zeit mit den Protagonisten verbracht, Kaffee und viel Wein getrunken. Wir haben nur gedreht, wenn es uns passend erschien, nie öfter als einmal am Tag. Jedes Bild ist so komponiert, dass sich das Geschehen vor der Kamera vollziehen kann. Lastenfreier Realismus, das war unser Begriff dafür. Es sollte so aussehen, als würde man in ein Gemälde einsteigen.
MICHAEL DWECK ist Fotograf sowie Filmemacher und kommt aus New York. GREGORY KERSHAW lebt als Kameramann und Filmemacher in Stockholm.
Abschlussgala: Gartenbau, 1. 11., 19.00; in allen weiteren Viennale-Kinos um 20.30 bzw. 21.00