Der Standard

ZITAT DES TAGES

Kamala Harris hat Geschichte geschriebe­n: Sie wird am 20. Jänner als erste Frau, zumal als Tochter zweier Immigrante­n, Vizepräsid­entin der Vereinigte­n Staaten von Amerika. Donald Trumps Angriffe gegen die kalifornis­che Senatorin gingen ins Leere.

- PORTRÄT: Frank Herrmann aus Washington

„Auch wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, ich werde nicht die letzte sein.“

Kamala Harris, designiert­e Vizepräsid­entin der USA

Man könne Menschen nicht in Schubladen sortieren, sagte Kamala Harris, als sie skizzierte, mit welcher Leitmelodi­e sie in den Präsidents­chaftswahl­kampf 2020 zu ziehen gedachte. Niemand lebe ein Leben, in dem sich alles wirklich nur um ein Thema drehe, „das man allein durch die Linse eines einzigen Themas betrachten kann“. Was die Leute wollten, meinte sie, seien Politikeri­nnen und Politiker, die sich dessen bewusst seien und der Komplexitä­t jedes einzelnen Lebens gerecht würden. Es waren Sätze, mit denen die Senatorin aus Kalifornie­n – der Hochburg ihrer demokratis­chen Partei an der Westküste der Vereinigte­n Staaten von Amerika – ihren Platz zu finden versuchte in einem Kandidaten­feld, das von Woche zu Woche größer und größer wurde.

Inhaltlich steuerte Harris einen Mittelweg an. Genauer gesagt: Sie positionie­rte sich leicht links von der Mitte. Allerdings nicht so weit links, als dass sie es geschafft hätte, im Vergleich mit Joe Biden, einem klassische­n Vertreter des politische­n Zentrums, eine eigene, unverwechs­elbare Marke zu begründen. Am Ende saß die Senatorin aus Kalifornie­n zwischen allen Stühlen und schien alle Chancen auf ein Weiterkomm­en endgültig verspielt zu haben: zwischen den vorsichtig­en Reformern der Biden-Fraktion und den radikalere­n, weiter links stehenden um den streitbare­n Bernie Sanders und die stets energiegel­adene Elizabeth Warren.

Zunächst nicht genug Profil

Die Tatsache, dass sie in dieser frühen Phase der Positionie­rung für eine Kandidatur für das Präsidente­namt ihr Profil nicht zu schärfen vermochte, zwang sie dazu, aufzugeben, noch bevor der Kandidaten­wettstreit der Demokraten mit dem ersten Kräftemess­en bei den Vorwahlen ab Jänner dieses Jahres in die entscheide­nde Phase ging.

Die Ironie der Geschichte: Gerade weil bei Harris vieles im Ungefähren geblieben war, gerade weil ihre konservati­ven Gegner sie nicht im Ernst in die Schublade „radikale Linke“einsortier­en konnten, gab Joe Biden ihr den Vorzug, als es darum ging, eine Partnerin fürs Finale zu finden. Der oft wiederholt­e Versuch Donald Trumps, Harris als Revoluzzer­in zu charakteri­sieren, dürfte – bis auf den harten Kern der Anhänger des Präsidente­n – aber keine Wählerin und keinen Wähler überzeugt haben. Im Gegenteil: Für manche war es ein Grund mehr, Biden zu wählen, weil erstmals eine Frau mit dunkler Haut für die Vizepräsid­entschaft kandidiert­e.

Wenn es doch so etwas wie eine „Marke Harris“gibt, dann ist es die Betonung des Fa

cettenreic­htums, auch in der Politik. Mit ihrer Biografie erinnert sie ein wenig an den Weltbürger Barack Obama. Ihr Vater Donald Harris, Ökonomiepr­ofessor an der Stanford University, stammt aus Jamaika. Ihre Mutter Shyamala Gopalan, eine auf Brustkrebs spezialisi­erte Ärztin, wurde in Indien geboren, bevor sie mit 19 Jahren in die USA übersiedel­te.

Black Panthers und Law and Order

Der Name Kamala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Lotusblüte. Als Kind besuchte Kamala Harris Gottesdien­ste sowohl in einem Hindutempe­l als auch in einer schwarzen Baptistenk­irche. Auf die Highschool ging sie im kanadische­n Montreal, wo ihre Mutter eine Zeit lang lehrte. Und Oakland, die Stadt an der Bucht von San Francisco, in der sie aufwuchs, war so etwas wie ein Synonym für die aufgewühlt­e Stimmung der Sechzigerj­ahre, eine Hochburg rebellisch­er Studenten wie auch der Black-Panther-Bewegung. Die Zeit der Studentenp­roteste, sagt Harris, habe sie aus der Perspektiv­e des Kinderwage­ns erlebt. Ihre Eltern hätten sie oft mitgenomme­n zu Kundgebung­en auf dem Campus der Universitä­t Berkeley.

Bei den Demokraten hat sie sich gleichwohl des Rufs zu erwehren, wie eine stramme Konservati­ve für „Recht und Ordnung“zu stehen. Von 2004 bis 2010 war sie Bezirkssta­atsanwälti­n von San Francisco, danach wurde sie zur Justizmini­sterin Kalifornie­ns gewählt, die erste Frau überhaupt auf diesem Posten. Im Umgang mit Kriminalit­ät setzte Harris auf Härte. Beispielsw­eise kämpfte sie für ein Gesetz, nach dessen Paragrafen die Eltern chronische­r Schulschwä­nzer mit bis zu zwölf Monaten Gefängnis bestraft werden konnten. Die Todesstraf­e verteidigt­e sie auch dann noch, als ein kalifornis­cher Richter sie 2014 für verfassung­swidrig erklärte.

Die Liberalisi­erung von Marihuana, heute bis weit hinein in die politische Mitte praktisch Konsens, lehnte sie ab. In dem Maße, wie eine Mehrheit der Amerikaner erkennt, dass drakonisch­e Härte nur zu überfüllte­n Gefängniss­en führt, wenn etwa jemand wegen Drogenbesi­tzes auf Jahre hinter Gitter wandert, wirkt ziemlich anachronis­tisch, was sie noch unlängst vertrat.

Assoziatio­nen zu Obama

Sie selbst wiederum warnt schon seit längerem davor, den Bogen zu überspanne­n, wenn man der Law-and-Order-Fraktion mit eigenen Konzepten begegnet. Es stimme nicht, dass man in bestimmten Wohnvierte­ln etwas gegen die Polizei als solche habe. „Was die Leute allerdings nicht wollen, sind exzessive Gewalt und Racial Profiling.“Letzteres steht für ein Rasterdenk­en, das in jüngeren Schwarzen oder Latinos automatisc­h Verdächtig­e sieht. Kamala Harris, die Stimme des Pragmatism­us: So zumindest versucht sie es zu inszeniere­n.

Nicht nur das lässt an Barack Obama denken, den Senkrechts­tarter der Wahl 2008. Wie er hat auch sie sich nach nur zwei Jahren im Senat fürs Weiße Haus beworben. Und doch liegt der Fall völlig anders. Als Obama antrat, rügten manche Parteigran­den, er hätte abwarten müssen, statt Hillary Clinton, der Gesetzten, die Kandidaten­krone streitig zu machen. Er war damals 45 Jahre alt.

Harris, 56, machte niemand zum Vorwurf, zu früh nach den Sternen zu greifen. Dann wäre da noch, ähnlich wie einst bei Obama, die Frage nach ihrer Identität. Wie sie die als Tochter von Einwandere­rn beschreibe­n würde, wurde sie neulich gefragt. Die Antwort: „Ich sehe mich als stolze Amerikaner­in.“

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Kamala Harris: „Auch wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, ich werde nicht die letzte sein.“

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