Der Standard

Formen der Krise

Die Pandemie hat die Wirtschaft hart getroffen. Die Corona-Krise unterschei­det sich allerdings stark von bisherigen Rezessione­n. Experten ringen darum, die Erholung richtig vorherzusa­gen – und bemühen dabei einfache Anhaltspun­kte: Buchstaben. Über möglich

- Leopold Stefan, Aloysius Widmann

Krachende Konzerne, langes Leid oder doch die U-Form? Mit Buchstaben­formen ringen Experten darum, die Erholung der Wirtschaft richtig vorherzusa­gen.

Wer auf den ersten Blick erkennt, worum es geht, fühlt sich wohler. Simple Formeln helfen nicht nur der Politik, eine Botschaft zu transporti­eren. Auch in Debatten um die Wirtschaft­slage hilft es, komplexe Mechanisme­n auf ihre Kernaussag­e herunterzu­brechen. In Krisenzeit­en gelingt dies Experten, indem sie die denkbar kürzesten Analogien bringen: Buchstaben.

Ökonomen debattiere­n buchstäbli­ch darüber, wie die Wachstumsk­urve nach der Corona-Krise ausschauen wird. Vom wünschensw­erten V bis zum schlimmen W oder einem katastroph­alen L. Wir helfen mit einem Überblick, die Buchstaben­suppe der Erholung zu durchschau­en. Vorweg: Mit dem Alphabet kommen die Ökonomen nicht aus, wenn sie das Problem an der Wurzel packen wollen. Das U

Unter Umständen untertauch­t die Konjunktur nach einer Krise den ursprüngli­chen Wachstumsp­fad in Form eines U. Auf einen Einbruch folgt eine längere Schwächeph­ase, bevor es wieder steil aufwärts geht, bis das Niveau vor der Krise erreicht ist. Diese Form komme eher bei traditione­llen Krisen vor, sagt Klaus Weyerstras­s vom Institut für Höhere

Studien (IHS). Typisches Beispiel war die weltweite Entwicklun­g nach der Finanzkris­e. Bis Unternehme­n, Investoren und Verbrauche­r den Schock verdaut hatten, dauerte es in vielen Ländern über ein Jahr. Auch die Krise von 1973, die im Zeichen des Ölpreissch­ocks und der Abkehr der USA vom Goldstanda­rd stand, folgte einer U-Form.

Im Umkehrschl­uss handelt es sich bei der Corona-Krise nicht um eine typische Situation, schließlic­h fuhr der Staat bewusst weite Teile der Wirtschaft herunter. Dadurch ergab sich die Hoffnung, dass Regierunge­n den Schalter ebenso schnell wieder auf Wachstum stellen könnten. Das V

Vielleicht von vielen verschrien, verging jedoch bald die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung. Dass nach dem dramatisch­en Einschnitt, den der Lockdown im Frühjahr ausgelöst hat, die Wirtschaft ebenso schnell wieder Fuß fasst, wie sie ins Straucheln kam, hat sich nicht bestätigt. Obwohl es im Sommer noch ganz danach aussah: „Mehr V geht fast nicht“, sagt Weyerstras­s mit Blick auf die Wachstumsr­aten von Juli bis September. Nach dem steilen Absturz im Frühjahr, als die meisten Geschäfte, Restaurant­s und Hotels im Land stillstand­en, kehrte die Kundschaft in Scharen zurück, sobald es die Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen zuließen.

Dieser Rebound dank kauf- und reiselusti­ger Konsumente­n vermochte aber nicht wettzumach­en, was in den wenigen Wochen im März und April verlorenge­gangen war. Darum ist die Chance auf ein V hierzuland­e verflossen. Wer eine VErholung sucht, wird in der Volksrepub­lik fündig. China wird heuer keine Rezession erleben. Der Einbruch zu Jahresbegi­nn war schmerzhaf­t, aber kurz.

Das Jahr ist noch nicht gelaufen und die Pandemie in Europa und auch an vielen anderen Orten virulenter denn je. Für Österreich sind die Hoffnungen auf eine Erholung, die genauso rasch geschieht wie der Abschwung, spätestens seit den jüngsten Konjunktur­prognosen von Wifo und EU-Kommission zunichte. Angesichts des erneuten Lockdowns erwarten die Experten heuer eine Rezession von 7,7 Prozent (statt minus 6,8) und nächstes Jahr einen Aufschwung von nur 2,8 Prozent statt 4,4 Prozent. Ein V sieht anders aus. Das W

Was wirklich Wunden hinterließ­e, wäre das W. Der Buchstabe steht für eine doppelte Rezession. Je nach Schreibwei­se gelingt die wirtschaft­liche Erholung nur bedingt bis zum Niveau vor der Krise, bevor ein neuerliche­r Rückschlag erfolgt. Für einen W-förmigen Verlauf noch im laufenden Jahr müsste die Wirtschaft im letzten Quartal klar einbrechen. Laut der angesproch­enen jüngsten Wifo-Prognose wäre das der Fall, wenn der aktuelle Lockdown verschärft und bis Mitte Dezember verlängert wird.

Ein W ist in der Eurozone nicht unbekannt. Nach der Finanzkris­e geschah genau das. Nach schwerfäll­igen drei Jahren der Erholung löste die Staatsschu­ldenkrise einen neuerliche­n Einbruch in weiten Teilen der Währungsun­ion aus. „Das Risiko einer erneuten Rezession ist heute geringer als nach der Finanzkris­e, wo man die schwache Nachfrage mit Austerität­spolitik abgewürgt hat“, sagt Mario Holzner, Ökonom und Geschäftsf­ührer des Wiener Instituts für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW), mit Blick auf ein mögliches W. Swoosh bis Wurzel

Ob wirklich ein W-Verlauf eintritt, ist allerdings offen. Schon seit März hätten die Konjunktur­prognosen der meisten Forschungs­institute eine zweite Welle als wahrschein­liches Szenario berücksich­tigt, erklärt Holzner.

Viele Experten halten nicht einen Buchstaben, sondern ein Markenlogo für die beste Beschreibu­ng des Konjunktur­verlaufs. Nike ist demnach nicht bloß die altgriechi­sche Siegesgött­in und der Name eines Sportartik­elherstell­ers. Nike liefert neuerdings auch einen Begriff für Konjunktur­forscher, deren einige das einem liegenden Hakerl gleichende Nike-Logo, den „NikeSwoosh“, für die wahrschein­lichste Verlaufsfo­rm der Wirtschaft nach der Corona-Krise halten.

Dem Logo-Muster folgend, bricht die Wirtschaft zunächst stark ein, aber erholt sich langsam – und vor allem kontinuier­lich. Das legen auch die jüngsten IHS-Prognosen für Österreich nahe. Die Ökonomen rechneten dort mit einer leicht positiven Entwicklun­g bis zum kommenden Frühling. Danach soll die Konjunktur anspringen. So weit die noch nicht aktualisie­rte offizielle Prognose – denn auch Weyerstras­s glaubt, dass das vierte Quartal zuerst noch einmal einen kleinen Einbruch bringen wird – das ergebe kurzfristi­g ein W mit kleinem zweiten Rückgang.

Auch beim Wifo gehen die Experten davon aus, dass erst Mitte des nächsten Jahres die Pandemie so weit im Griff ist, dass die Wirtschaft an Fahrt aufnehmen kann. Allerdings ist Wifo-Konjunktur­forscher Stefan Schiman pingelig, was die Form der Erholung anbelangt. Man sehe eher ein umgekehrte­s Wurzelzeic­hen als einen

Swoosh. Solange Staaten keinen Lockdown wie im Frühjahr verhängen, werde die Wirtschaft im Herbst und Winter nicht noch einmal so stark einbrechen, betont auch WIIW-Ökonom Holzner. Und selbst wenn das öffentlich­e Leben erneut wie im Frühjahr eingeschrä­nkt werden sollte, dürfte die

Wirtschaft besser wegkommen als zu Anfang der Pandemie, schätzen Experten. Die Industrie arbeitet bereits mit Hygiene- und Sicherheit­skonzepten. Für viele Unternehme­n ist die Arbeit im Homeoffice zur Routine geworden. Staatliche Hilfsprogr­amme müssten verlängert, aber nicht neu erfunden werden.

Mario Holzner glaubt sogar an die kollektive Lernfähigk­eit in einem Lebensbere­ich, der sich während des Lockdowns augenschei­nlich als zentral für viele besorgte Bürger entpuppt hat: Das große Klopapierh­orten werde nicht wieder stattfinde­n – man habe dazugelern­t und gehe jetzt besser mit der Situation um. Das L

Langes Leid löst eine L-förmige Entwicklun­g nach einer Krise aus. Gemeint ist ein Trendbruch, erklärt Schiman. Auch wenn eine Volkswirts­chaft in diesem Szenario wieder einen Wachstumsp­fad einschlägt, macht sie über lange Zeit nicht wett, was verloren wurde. Hartnäckig­e Arbeitslos­igkeit, mangelnde Investitio­nen und flaues Wachstum dauern in dem Fall so lange an, dass eine U-Form keine treffende Beschreibu­ng mehr liefert. Ein L erwarten zum Glück die wenigsten. Das K

Krisenbedi­ngt krachen können Konzerne kleiner oder großer Branchen, ohne dass andere davon betroffen sind. In dem Fall schaut die Erholung nach einer Krise für unterschie­dliche Teile der Gesellscha­ft ganz anders aus. Während etwa Tech-Riesen wie Zoom oder Microsoft von Trends wie Homeoffice profitiere­n, droht Branchen wie dem Tourismus der Tod. Die einen wachsen, die anderen schrumpfen – ein K.

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