Vorsichtige Zurückhaltung in vielen Staaten
Aus Europa kamen bereits am Samstag Glückwünsche an den künftigen US-Präsidenten Joe Biden. In vielen anderen Teilen der Welt reagierten die politischen Führer aber schaumgebremst oder noch gar nicht. Teils aus Vorsicht, teils wegen ihres Naheverhältnisse
Zwölf Stunden lang gar nichts. In Israel hatte alles gespannt darauf gewartet, wie Premier Benjamin Netanjahu auf den Wahlsieg Joe Bidens reagieren würde, und das war es also: Schweigen. Erst Sonntagfrüh drückte er Biden und Kamala Harris seinen Glückwunsch aus, wobei er das Wort „Präsident“tunlichst vermied – und nicht, ohne prompt auch Donald Trump für seine Freundschaft zu danken.
Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Netanjahu und Biden verschnupft ist. Allzu gut ist Biden jener Besuch in Jerusalem vor zehn Jahren in Erinnerung, als er kam, um dem Friedensprozess neues Leben einzuhauchen, und von Netanjahu mit der Ankündigung überrascht wurde, dass auf palästinensischem Gebiet 1500 neue Wohneinheiten errichtet werden sollen. Biden dankte es Netanjahu, indem er 90 Minuten zu spät zum gemeinsamen Abendessen erschien.
In Israels Regierungskreisen sorgt Bidens Sieg jedenfalls nicht gerade für Jubel – denn Trump hatte alles unternommen, um den Mitte-rechts-Block in Israel zu stärken, und Jerusalem ermutigt, palästinensische Anliegen zu ignorieren.
Während Israel also spät, aber doch Gratulationen an Biden schickte, herrschte in der saudischen Hauptstadt Riad auch am späten Sonntagnachmittag noch Funkstille. Donald Trump hatte ja als US-Präsident einen durchaus guten Draht nach Saudi-Arabien, unter anderem deshalb, weil er in dem Golfstaat einen verlässlichen Verbündeten im Streit mit dem Iran hatte: Unter den vielen internationalen Abkommen, die Trump während seiner
Amtszeit aufgekündigt hat, gilt der Atomdeal mit Teheran als einer der bedeutendsten. Sogar nach dem Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi hatte Trump Kronprinz Mohammed bin Salman die Mauer gemacht.
Gute Beziehungen hatte Trump auch mit anderen Führern der Region – etwa mit Ägyptens Staatschef Abdelfattah al-Sisi, den er einmal als seinen „Lieblingsdiktator“bezeichnete, oder mit Mohammed bin Zayed, dem Kronprinzen von Abu Dhabi: Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten zuletzt auf den von Trump vorangetriebenen Kurs der Normalisierung mit Israel eingeschwenkt. Beide aber haben Biden bereits zum Wahlsieg gratuliert.
Moskaus kalte Schulter
Ähnlich zurückhaltend wie Riad zeigte sich am Sonntag auch Moskau. Weder das Außenministerium noch Präsident Wladimir Putin äußerte sich zunächst zum Wahlausgang. So richtig glücklich ist die russische Führung mit der Personalie Biden aber wohl nicht. Biden hatte sich laut dem russischen Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow schon 2011 unbeliebt gemacht, als er als US-Vizepräsident bei einem Besuch in Moskau Putin scherzhaft fragte, warum er so lange an der Macht bleiten be und nicht seinen Ruhestand genieße. Der Kreml hält sich aber auch zurück, weil ihm selbst Einmischung in die US-Wahlen 2016 vorgeworfen wird – mit entsprechenden Sanktionen. Nun legt die russische Führung demonstrative Distanz an den Tag.
Gleichgültigkeit signalisierte zunächst auch Peking. Wichtiger als der neue US-Präsident ist der Führung in Peking etwas anderes: Es geht ihr darum, der eigenen Bevölkerung klarzumachen, dass eine Ein-Parteien-Diktatur besser für das Land sei als ein demokratisches System und freie Wahlen. Negativ aus Chinas Sicht ist dennoch, dass sich der neue US-Präsident wieder mehr um supranationale Bündnisse kümmern dürfte. So stufte man in Peking die EU im Konflikt mit den USA bisher als neutral ein. Auf beiden Seiten des Atlantiks aber will man nun die China-Strategie wieder besser aufeinander abstimmen.
In Großbritannien gratulierte Premier Boris Johnson nicht nur Joe Biden zu seiner Wahl, sondern ausdrücklich auch der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris zu „ihrem historischen Erfolg“. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit „unserem wichtigsten Verbündeten“auf Feldern wie Klimawandel, Handel und Sicherheit. Bei den US-Demokraherrscht aber Skepsis gegenüber „Britain Trump“, wie der scheidende US-Präsident den Engländer Johnson einmal tituliert hat.
Auch Biden selbst hält Johnson laut Insidern für einen „emotionalen und politischen Klon“Trumps und steht, anders als sein Vorgänger, dem britischen EU-Austritt extrem kritisch gegenüber. Kürzlich rügte er auch öffentlich den Plan Londons, den Austrittsvertrag und damit das Völkerrecht zu brechen: Wer das Karfreitagsabkommen von 1998 und damit den Frieden in Nordirland gefährde, könne nicht mit einem Handelsabkommen rechnen. Ohnehin verweist der Katholik Biden stets stolz auf seine irischen Wurzeln.
EU will Partnerschaft erneuern
Bereits am Samstagabend kamen Gratulationen von Regierungschefs aus EU-Staaten und den Vorsitzenden der EU-Institutionen an Biden. Sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit ihm, erklärte etwa Kommissionschefin Ursula von der Leyen und betonte die „beispiellose Partnerschaft“, die die USA und die EU in Jahrzehnten aufgebaut haben. Eine „erneuerte Partnerschaft“werde für die Welt von besonderer Bedeutung sein. Nur ein europäischer Premier, der Trump bereits Mitte der Woche etwas vorschnell zum Sieg gratuliert hatte, der slowenische Rechtspopulist Janez Janša, kritisierte nun die seiner Meinung nach „vorschnellen Glückwünsche“an Biden. Die Gerichte hätten noch nicht einmal begonnen, sich mit den Klagen des Trump-Lagers zu beschäftigen.
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