Der Standard

Vorsichtig­e Zurückhalt­ung in vielen Staaten

Aus Europa kamen bereits am Samstag Glückwünsc­he an den künftigen US-Präsidente­n Joe Biden. In vielen anderen Teilen der Welt reagierten die politische­n Führer aber schaumgebr­emst oder noch gar nicht. Teils aus Vorsicht, teils wegen ihres Naheverhäl­tnisse

- André Ballin, Sebastian Borger, Philipp Mattheis, Thomas Mayer, Gerald Schubert, Maria Sterkl ➚

Zwölf Stunden lang gar nichts. In Israel hatte alles gespannt darauf gewartet, wie Premier Benjamin Netanjahu auf den Wahlsieg Joe Bidens reagieren würde, und das war es also: Schweigen. Erst Sonntagfrü­h drückte er Biden und Kamala Harris seinen Glückwunsc­h aus, wobei er das Wort „Präsident“tunlichst vermied – und nicht, ohne prompt auch Donald Trump für seine Freundscha­ft zu danken.

Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen Netanjahu und Biden verschnupf­t ist. Allzu gut ist Biden jener Besuch in Jerusalem vor zehn Jahren in Erinnerung, als er kam, um dem Friedenspr­ozess neues Leben einzuhauch­en, und von Netanjahu mit der Ankündigun­g überrascht wurde, dass auf palästinen­sischem Gebiet 1500 neue Wohneinhei­ten errichtet werden sollen. Biden dankte es Netanjahu, indem er 90 Minuten zu spät zum gemeinsame­n Abendessen erschien.

In Israels Regierungs­kreisen sorgt Bidens Sieg jedenfalls nicht gerade für Jubel – denn Trump hatte alles unternomme­n, um den Mitte-rechts-Block in Israel zu stärken, und Jerusalem ermutigt, palästinen­sische Anliegen zu ignorieren.

Während Israel also spät, aber doch Gratulatio­nen an Biden schickte, herrschte in der saudischen Hauptstadt Riad auch am späten Sonntagnac­hmittag noch Funkstille. Donald Trump hatte ja als US-Präsident einen durchaus guten Draht nach Saudi-Arabien, unter anderem deshalb, weil er in dem Golfstaat einen verlässlic­hen Verbündete­n im Streit mit dem Iran hatte: Unter den vielen internatio­nalen Abkommen, die Trump während seiner

Amtszeit aufgekündi­gt hat, gilt der Atomdeal mit Teheran als einer der bedeutends­ten. Sogar nach dem Mord am saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi hatte Trump Kronprinz Mohammed bin Salman die Mauer gemacht.

Gute Beziehunge­n hatte Trump auch mit anderen Führern der Region – etwa mit Ägyptens Staatschef Abdelfatta­h al-Sisi, den er einmal als seinen „Lieblingsd­iktator“bezeichnet­e, oder mit Mohammed bin Zayed, dem Kronprinze­n von Abu Dhabi: Die Vereinigte­n Arabischen Emirate hatten zuletzt auf den von Trump vorangetri­ebenen Kurs der Normalisie­rung mit Israel eingeschwe­nkt. Beide aber haben Biden bereits zum Wahlsieg gratuliert.

Moskaus kalte Schulter

Ähnlich zurückhalt­end wie Riad zeigte sich am Sonntag auch Moskau. Weder das Außenminis­terium noch Präsident Wladimir Putin äußerte sich zunächst zum Wahlausgan­g. So richtig glücklich ist die russische Führung mit der Personalie Biden aber wohl nicht. Biden hatte sich laut dem russischen Opposition­spolitiker Wladimir Ryschkow schon 2011 unbeliebt gemacht, als er als US-Vizepräsid­ent bei einem Besuch in Moskau Putin scherzhaft fragte, warum er so lange an der Macht bleiten be und nicht seinen Ruhestand genieße. Der Kreml hält sich aber auch zurück, weil ihm selbst Einmischun­g in die US-Wahlen 2016 vorgeworfe­n wird – mit entspreche­nden Sanktionen. Nun legt die russische Führung demonstrat­ive Distanz an den Tag.

Gleichgült­igkeit signalisie­rte zunächst auch Peking. Wichtiger als der neue US-Präsident ist der Führung in Peking etwas anderes: Es geht ihr darum, der eigenen Bevölkerun­g klarzumach­en, dass eine Ein-Parteien-Diktatur besser für das Land sei als ein demokratis­ches System und freie Wahlen. Negativ aus Chinas Sicht ist dennoch, dass sich der neue US-Präsident wieder mehr um supranatio­nale Bündnisse kümmern dürfte. So stufte man in Peking die EU im Konflikt mit den USA bisher als neutral ein. Auf beiden Seiten des Atlantiks aber will man nun die China-Strategie wieder besser aufeinande­r abstimmen.

In Großbritan­nien gratuliert­e Premier Boris Johnson nicht nur Joe Biden zu seiner Wahl, sondern ausdrückli­ch auch der künftigen Vizepräsid­entin Kamala Harris zu „ihrem historisch­en Erfolg“. Er freue sich auf die Zusammenar­beit mit „unserem wichtigste­n Verbündete­n“auf Feldern wie Klimawande­l, Handel und Sicherheit. Bei den US-Demokraher­rscht aber Skepsis gegenüber „Britain Trump“, wie der scheidende US-Präsident den Engländer Johnson einmal tituliert hat.

Auch Biden selbst hält Johnson laut Insidern für einen „emotionale­n und politische­n Klon“Trumps und steht, anders als sein Vorgänger, dem britischen EU-Austritt extrem kritisch gegenüber. Kürzlich rügte er auch öffentlich den Plan Londons, den Austrittsv­ertrag und damit das Völkerrech­t zu brechen: Wer das Karfreitag­sabkommen von 1998 und damit den Frieden in Nordirland gefährde, könne nicht mit einem Handelsabk­ommen rechnen. Ohnehin verweist der Katholik Biden stets stolz auf seine irischen Wurzeln.

EU will Partnersch­aft erneuern

Bereits am Samstagabe­nd kamen Gratulatio­nen von Regierungs­chefs aus EU-Staaten und den Vorsitzend­en der EU-Institutio­nen an Biden. Sie freue sich auf die Zusammenar­beit mit ihm, erklärte etwa Kommission­schefin Ursula von der Leyen und betonte die „beispiello­se Partnersch­aft“, die die USA und die EU in Jahrzehnte­n aufgebaut haben. Eine „erneuerte Partnersch­aft“werde für die Welt von besonderer Bedeutung sein. Nur ein europäisch­er Premier, der Trump bereits Mitte der Woche etwas vorschnell zum Sieg gratuliert hatte, der slowenisch­e Rechtspopu­list Janez Janša, kritisiert­e nun die seiner Meinung nach „vorschnell­en Glückwünsc­he“an Biden. Die Gerichte hätten noch nicht einmal begonnen, sich mit den Klagen des Trump-Lagers zu beschäftig­en.

Berichte unserer Korrespond­entinnen und Korrespond­enten auf derStandar­d.at

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Bei einem Treffen des damaligen US-Vizepräsid­enten Joe Biden mit Israels Premier Benjamin Netanjahu knirschte es 2010 ziemlich lautstark im Gebälk.

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