Der Standard

Albtraum für die Demokratie

- Eric Frey

Für die Mehrheit der Amerikaner, für die Medien und die wichtigste­n politische­n Institutio­nen ist die Präsidents­chaftswahl entschiede­n. Aber nicht für Donald Trump. Der amtierende Staatschef scheint weiterhin überzeugt, dass er die Wahl gewonnen hat und nur durch Wahlbetrug der Demokraten um den Sieg gebracht wird.

Die bisher vorgebrach­ten Vorwürfe sind fadenschei­nig und sollten von den angerufene­n Gerichten rasch ad acta gelegt werden. Dennoch gilt es als unwahrsche­inlich, dass Trump seine Meinung bis zur Angelobung am 20. Jänner 2021 noch ändert. Er dürfte der erste unterlegen­e Präsidents­chaftskand­idat sein, der seine Niederlage nie eingesteht. Das ist demokratie­politisch höchst problemati­sch, weil er damit die Legitimitä­t seines Nachfolger­s Joe Biden infrage stellt. Allerdings passt das zu Trumps Charakter und erklärt auch, warum er nach vier Jahren abgewählt worden ist – wenn auch knapp.

Es könnte auch schlimmer kommen. Wenn Trump die Mär vom Wahlbetrug in den kommenden Wochen weitertrom­melt und seine Anhänger davon überzeugt, dann wächst der Druck auf republikan­ische Funktionär­e, dass sie mithelfen, Bidens Amtsantrit­t zu verhindern.

Die republikan­isch dominierte­n Staatsparl­amente in Wisconsin, Michigan, Pennsylvan­ia, Arizona und Georgia, wo Biden mit knappen Mehrheiten gewonnen hat, könnten erklären, dass die Wahl „unheilbar kompromitt­iert“sei und deshalb sie bestimmen müssen, wer in ihrem Staat der Sieger ist – nämlich Trump. Der Oberste Gerichtsho­f in Washington könnte dies mit seiner konservati­ven Mehrheit absegnen. Das wäre das Ende der amerikanis­chen Demokratie.

Das Szenario ist unwahrsche­inlich, aber leider nicht ausgeschlo­ssen. Denn auch bisher haben sich Republikan­er wenig um demokratis­che Usancen geschert, wenn es um den Machterhal­t ging. Für viele Abgeordnet­e ginge es dabei auch ums politische Überleben: Wenn Trump jeden, der nicht bis zuletzt für ihn kämpft, per Tweet zum Verräter stempelt, dann müssen sie Trump-treue Gegenkandi­daten in der nächsten Vorwahl fürchten.

Setzt sich dieser Zug einmal in Bewegung, dann liegt es an den Spitzen der republikan­ischen Partei wie Senatsführ­er Mitch McConnell oder den Senatoren Lindsey Graham und Ted Cruz, ihn zu stoppen. Um die älteste Demokratie der Welt zu retten, müssten sie nur Biden und Kamala Harris zum Wahlsieg gratuliere­n. Bisher hat keiner von ihnen das getan.

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