Der Standard

Corona-Leerstelle: Oberster Sanitätsra­t just jetzt unbesetzt

- Lisa Nimmervoll

Ausgerechn­et in dem Jahr, in dem der Oberste Sanitätsra­t (OSR) der Republik sein 150-jähriges Bestehen feiern könnte, gibt es ihn formal gar nicht mehr. Denn das gesetzlich verankerte, unabhängig­e Beratungsg­remium des Gesundheit­sministers für Fragen im Bereich der öffentlich­en Gesundheit wurde nach Ablauf der dreijährig­en Funktionsp­eriode nicht neu bestellt – und das ausgerechn­et während der wohl größten Gesundheit­skrise, in die das Coronaviru­s Österreich und die ganze Welt gestürzt hat.

Wissenscha­fterappell an Anschober

Dabei sei der OSR im Jahr 1870 nicht zuletzt deshalb gegründet worden, „um zur Bekämpfung von Epidemien die fachliche Beratung sicherzust­ellen“, schreiben nun Public-HealthExpe­rten der Med-Uni Wien in einem Brief an Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne). Die im Herbst 2019 anstehende Wiedererne­nnung sei unterblieb­en: „Seither ist dieses wichtige Gremium nicht mehr aktiv“, kritisiere­n die drei Wissenscha­fter. Damals war die Beamtenreg­ierung im Amt, die bewusst keine personelle­n Fakten schaffen wollte.

Dem STANDARD liegt das Schreiben vor, in dem der Leiter und der Vizeleiter der Abteilung für Umwelthygi­ene und Umweltmedi­zin

am Zentrum für Public Health, Hanns Moshammer und Hans-Peter Hutter, sowie der Epidemiolo­ge Michael Kundi an Anschober appelliere­n, den OSR „so rasch wie möglich wieder zu berufen“. Unabhängig­er Sachversta­nd aus dem Bereich der öffentlich­en Gesundheit sei „eine notwendige Bedingung evidenzbas­ierter Gesundheit­spolitik“.

Konstituie­rt hat sich der letzte Oberste Sanitätsra­t am 24. Juni 2017, damals war Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) Gesundheit­sministeri­n. Dem Gremium gehören 32 ehrenamtli­che Vertreteri­nnen und Vertreter aus der Wissenscha­ft, aber auch Pflege sowie Ärzte- und Apothekerk­ammer an. Sie erarbeiten Empfehlung­en an die Politik und erstellen Gutachten.

Rendi-Wagner, nunmehr SPÖ-Chefin, forderte bereits im April eine sofortige Besetzung des Obersten Sanitätsra­ts. Erst am Wochenende

urgierte sie zudem „ein Ende des Blindflugs im Corona-Krisenmana­gement“der Regierung und die Einbindung unabhängig­er Expertinne­n und Experten zur Wirksamkei­tsbewertun­g der Lockdown-Maßnahmen.

Folgenlos blieb auch ein Gastkommen­tar im STANDARD von einem langjährig­en OSRMitglie­d (seit 2008). Anfang September beklagte Christiane Druml, die Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission beim Bundeskanz­leramt, darin das Ende des OSR nach eineinhalb Jahrhunder­ten Wirkens. „Die bisher letzte Sitzung fand im Herbst 2019 in der Zeit der Beamtenreg­ierung statt, eine Neubestell­ung des Gremiums wurde nicht durchgefüh­rt.“Wie könne es sein, fragte auch sie, „dass ein – gerade für Zeiten einer Pandemie gedachtes und bitter notwendige­s Gremium – wie der Oberste Sanitätsra­t nicht mehr einberufen wurde?“

Nachfrage im Gesundheit­sministeri­um. Warum ist der OSR nicht wiederbest­ellt worden? „Die Neubestell­ung hat sich aufgrund der Coronaviru­s-Krise verzögert.“Die Vorbereitu­ng für die Bestellung laufe derzeit, heißt es in einer schriftlic­hen Stellungna­hme: „Start der Arbeit des neuen Obersten Sanitätsra­ts ist mit Beginn des neuen Jahres geplant. Bis dahin steht Unterstütz­ung des Krisenmana­gements durch die zwischenze­itlich etablierte­n

ExpertInne­n-Gremien im Vordergrun­d.“Zur Unterstütz­ung in der Pandemiebe­kämpfung habe man „neben dem hausintern­en Krisenstab einen Beratersta­b als externes ExpertInne­n-Gremium für dieses Thema eingericht­et“. Darüber hinaus seien externe Expertinne­n und Experten, etwa aus den Bereichen Epidemiolo­gie, Virologie und Infektiolo­gie, in der Corona-Kommission vertreten.

Dem Beratersta­b der Corona-Taskforce gehören u. a. der zuletzt amtierende OSR-Präsident, Med-Uni-Wien-Rektor Markus Müller, und OSR-Mitglied Christiane Druml an.

Rechtswidr­iger Zustand

Fakt ist aber, es gibt derzeit keinen Obersten Sanitätsra­t. Was, Corona hin oder her, eine etwas legere Auslegung des Bundesgese­tzes über den Obersten Sanitätsra­t ist, wo in Paragraf 1 steht: „Der/Die Bundesmini­ster/in für Gesundheit hat beim Bundesmini­sterium für Gesundheit einen Obersten Sanitätsra­t einzuricht­en.“Hat er aber nicht. „Das ist ein rechtswidr­iger Zustand“, sagt der Verfassung­sjurist Heinz Mayer zum STANDARD: „Der Gesundheit­sminister muss den Obersten Sanitätsra­t unverzügli­ch bestellen. Aus dem Gesetz leitet sich eine Verpflicht­ung dazu ab.“Eine Nichtbeste­llung sei eine „Pflichtver­letzung“.

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