Der Standard

Am Persischen Golf entsteht eine neue Gefahr für Europa

- Gudrun Harrer

s gehört eine Portion Courage dazu, im Oktober 2020 ein Buch herauszubr­ingen, dessen Inhalt – beziehungs­weise die Frage, wie die darin erzählte Geschichte weitergeht – ganz eng mit dem Ausgang der kurz darauf stattfinde­nden US-Präsidents­chaftswahl­en zusammenhä­ngt. Man kann Guido Steinberg anderersei­ts nur dankbar sein, dass er mit

Krieg am Golf. Wie der Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien die Weltsicher­heit bedroht das solide Fundament legt für das Verständni­s dessen, was sich jetzt, nach der Abwahl von Donald Trump, an dieser Front entwickeln könnte.

Es ist zweifellos jene Front im Nahen Osten, die das größte Eskalation­spotenzial hat. Steinberg nennt die Auseinande­rsetzung zwischen Teheran und Riad den „Kernkonfli­kt“der Region, der alle anderen in den Hintergrun­d drängt. Beeinfluss­te etwa früher der Israel-Palästina-Konflikt die Politik in Teheran und Riad, so ändert die iranischsa­udische Auseinande­rsetzung heute die arabische Politik vis-à-vis Jerusalem und Ramallah, wie die Normalisie­rungswelle zwischen Israel und arabischen Staaten zeigt.

Der Islamwisse­nschafter und Politologe Guido Steinberg, der an der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin tätig ist, ist vor allem für seine Expertise über die sunnitisch­e islamistis­che und jihadistis­che Szene – auch in Österreich – bekannt. In seinem neuen Buch sieht er sich nun unter anderem jene Gruppen an, die im Auftrag Teherans agieren, von der libanesisc­hen Hisbollah, die – gemeinsam mit anderen Schiitenmi­lizen – an der Seite Bashar al-Assads in Syrien kämpft, bis zu den jemenitisc­hen Huthis, die nominell die Verantwort­ung für jene Operation im Sommer 2019 übernahmen, die in der Folge zum Ausbruch eines vollen Kriegs hätte führen können: den Angriff auf saudische Ölanlagen.

Steinberg zeichnet die Ereignisse mit der für ihn üblichen Sorgfalt – aber dennoch auch für den Laien gut lesbar – nach, die zur Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani und des irakischen Milizenfüh­rers Abu Mahdi al-Muhandis am Flughafen in Bagdad führten – und danach zum Abschuss einer ukrainisch­en Passagierm­aschine durch iranische Abwehrrake­ten. Der Gewaltzykl­us wurde danach nicht gestoppt, aber gebremst. Doch gerade vor den US-Wahlen hielten Beobachter eine Eskalation als sogenannte Oktober-Überraschu­ng für durchaus möglich.

Was nun auf die „Maximum Pressure“-Politik Donald Trumps auf den Iran folgt, bleibt zu sehen. Steinberg wagt die düstere Prognose, dass der Iran, veranlasst durch die Ereignisse der vergangene­n Jahre, „nicht mehr davon abzubringe­n sein wird, eine Atombombe zu bauen“. Und Saudi-Arabien könnte nachziehen, denn das Vertrauen, dass die USA die iranische Atombewaff­nung verhindern würden, ist gering: Barack Obama war dem Iran mit dem Atomdeal 2015 entgegenge­kommen, aber auch Trump war ja letztlich nicht dazu bereit, für seine Verbündete­n am Golf in den Krieg zu ziehen. Die USA sind auf dem Rückzug aus dem Nahen Osten – und die Gefahr für Europa, den Preis für kommende Verwerfung­en zahlen zu müssen, wächst.

Der Autor ist am Mittwoch, 11. November, um 19 Uhr virtuell bei STANDARD-Redakteuri­n Gudrun Harrer im Bruno-Kreisky-Forum in

Wien zu Gast. Online-Teilnahme möglich, Sie können über www.kreiskyfor­um.org einsteigen. Aufgrund der aktuellen Situation haben wir das Programm geändert, das Thema ist nun das Attentat von Wien.

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„Krieg am Golf. Wie der Machtkampf zwischen Iran und SaudiArabi­en die Weltsicher­heit bedroht“.
€ 20,– / 357 Seiten. Droemer, München 2020
Guido Steinberg, „Krieg am Golf. Wie der Machtkampf zwischen Iran und SaudiArabi­en die Weltsicher­heit bedroht“. € 20,– / 357 Seiten. Droemer, München 2020

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