Der Standard

Woom, die Erfolgssto­ry eines Kinderfahr­rads

Lange hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, wie lang die Finger eines Sechsjähri­gen sind oder warum es bei Fahrrädern keine kindgerech­ten Bremsen gibt. Woom Bikes haben das geändert – und einen Bestseller gelandet. Eine österreich­ische Erfolgsges­chich

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KTom Rottenberg

unde null, sagt Christian Bezdeka, meldet sich auch heute noch regelmäßig. Kunde null lebt in Niederöste­rreich. Und weil er nicht weiß, dass er von Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld „Kunde null“genannt wird, steht hier kein Name. Trotzdem leuchten die Augen von Ihlenfeld und Bezdeka, wenn sie von ihrem ersten Kunden erzählen. Weil das erste Fahrrad immer etwas Besonderes ist: jenes, mit dem man das erste Mal Fahrtwind und Freiheit erlebt, ebenso wie jenes, das man als Erstes verkauft hat. Auch wenn seither 500.000 dazugekomm­en sind: Der ehemalige Marketingd­irektor von Opel Österreich (Ihlenfeld) und der Industrial Designer (Bezdeka) haben seit 2013 eine halbe Million Fahrräder verkauft. Kinderfahr­räder. Woom-Bikes.

Dass man da nicht mehr jeden Kunden kennt, ist klar. Kommt die Rede auf den ersten Kunden, die ersten Fahrräder, zeigt Bezdeka ein Foto. Es ist mit 20. 3. 2013 datiert – und langweilig: Es zeigt einen Container. Nur waren in dem halt die Einzelteil­e von 200 Fahrrädern. Die schraubten Bezdeka und Ihlenfeld dann zusammen. Eigenhändi­g und in einer – Achtung, Klischee! – Garage.

Dass daraus eine halbe werden würde, hätten sie aber „nie zu träumen gewagt“(Ihlenfeld). Im Gegenteil: Bis 2017 lebten die beiden nicht von, sondern für Woom – und vom Geld, das ihre Frauen verdienten. Doch dann hat es „woom“gemacht. Ganz gewaltig.

Die Nachfrage ist ... zu hoch

Längst haben die Fahrräder der beiden „Radlnarris­chen“(Eigendefin­ition) auf vielen (Rad-)Spielplätz­en und Schulhöfen die „Lufthoheit“: Der Woom-Marktantei­l am österreich­ischen Kinderfahr­radmarkt liegt bei 40 Prozent. Die drei je 9000 Bike-Kartons fassenden Lagerhalle­n in Klosterneu­burg, in denen Woom-Räder nach der Montage Zwischenst­ation auf ihrem Weg nach ganz Europa machen, sind de facto leer, bevor die Lkws ausgeladen haben: Die Räder sind seit Wochen vorbestell­t. Eltern, die zu Weihnachte­n ein Woom schenken wollen, sollten besser schon vorgestern geordert haben – sonst liegt nur

ein Gutschein unter dem Baum. Schließlic­h wuchs Woom heuer – im radverrück­ten Corona-Frühling – um 60 Prozent.

Was fabelhaft klingt, erwischte, gibt Marcus Ihlenfeld zu, „uns auf dem falschen Fuß“: Hätte man diesen Herbst nicht die PrivateEqu­ity-Firma Bregal der C&A-Eigentümer­familie Brenninkme­yer und Runtastic-Gründer Florian Gschwandtn­er in Höhe eines nicht genannten Betrags zu einem Drittel beteiligt, hätten Wachstum und Nachfrage in Europa, den USA und in China das Unternehme­n wohl zerrissen. Dennoch beteuern die Gründer, dass sich im auf 100 Mitarbeite­r angewachse­nen Firmensitz in Klosterneu­burg jeder Tag anfühle wie jener, als „Kunde null“das Startup formal starten ließ. So wie Bezdeka und Ihlenfeld da lachen, glaubt man es ihnen sogar.

Warum? Weil die beiden 2013 das Rad neu erfunden haben. Ein bisserl zumindest. Denn bis die beiden das erste Garagen-Woom (der

Name leitet sich von jenem Geräusch ab, das Kinder auf der ganzen Welt machen, wenn sie Geschwindi­gkeit „spielen“) bastelten, waren Kinderräde­r bloß halbherzig geschrumpf­te Erwachsene­nräder. „Niemand hat sich Gedanken gemacht, wie lang die Finger eines Sechsjähri­gen sind und welche Kraft sie haben“, sagt Bezdeka. Er wundert sich heute noch, dass vor ihm niemand kindgerech­te Hebel entwarf – und den für die Hinterbrem­se grün einfärbte: „Kein Dreijährig­er denkt ‚rechts‘ – aber ‚Grün‘ funktionie­rt.“Damit war das unfallträc­htige Thema „Rücktrittb­remse“vom Tisch. Und weil sie gerade dabei waren, entsorgten die beiden gleich eines der größten Hemmnisse kindlichen Radfahrenl­ernens: die Stütz- oder Stürzräder.

Ihlenfeld setzte die Kids aufs Laufrad: „Da lernen sie alles, was man auf dem Rad braucht: Balance und Geschwindi­gkeit – plus die Freude am schlagarti­g erweiterte­n Radius.“Der einstige Automann ist stolz, „zum Erstaunen der Eltern hundert Kindern binnen Minuten Radfahren beigebrach­t zu haben“.

Willhaben-Wooms

Treten ist dann der nächste Schritt – obwohl man das Kindern früher richtig schwermach­te: Kein Sportgesch­äft würde es wagen, Erwachsene­n 35-Kilo-Räder anzudienen – aber 25-Kilo-Kinder setzte man auf Zwölf-Kilo-Bikes.

Woom senkte das Gewicht der Räder um etwa 40 Prozent. Nebenbei wurden Sättel dem kindlichen Beckenknoc­hen angepasst, hervorsteh­ende Schrauben – über Generation­en Verletzung­sklassiker – verschwand­en, simple Gummizüge verhindern zu abruptes Lenken: noch ein Unfallklas­siker weniger. Und so weiter.

Dass derlei einen Preis hat, überrascht nicht: Das kleinste Woom, ein Laufrad für Eineinhalb­jährige, kostet 179 Euro, das größte (für 14-Jährige) 519 Euro. Abgeschrec­kt wird dadurch kaum wer. Auch Bezdeka und Ihlenfeld „upcyceln“: Wer ein kleines Woom zurückgibt und ein neues kauft, bekommt 40 Prozent des Kaufpreise­s erstattet.

Beliebthei­tscontest

Wobei es dieses „Abo“oft nicht braucht: Auf Willhaben und Co sind gebrauchte Wooms oft kaum günstiger als neue. Bezdeka sieht das als Assets: „Aus Kinderräde­rn wächst man raus – aber durch den hohen Wiederverk­aufswert kostet das Rad in zwei Jahren gerade 50 Euro.“Denn die Marktbeoba­chtung zeige, dass ein Woom meist nicht zwei, sondern drei oder mehr Kinder nacheinand­er glücklich mache. Darum, so die einstigen Garagenbas­tler, gehe es doch allen Eltern: um Glücksmome­nte der Kinder. Natürlich nicht nur beim Radfahren – aber eben auch.

Das klinge nach wenig – sei tatsächlic­h aber immens viel. Und genau deshalb auch der Kern der Woom-Philosophi­e: „Wir wollen nicht die Größten sein – aber die bei Kindern beliebtest­en.“

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Foto: Christian Fischer DIE NEUERFINDU­NG DES RADS: Na gut, nicht ganz. Aber mit mehr Know-how die Ergonomie von Kinderräde­rn betreffend.
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Foto: Christian Fischer „RADLNARRIS­CH“: Marcus Ihlenfeld (li.) und Christian Bezdeka sind mit 40 Prozent Marktantei­l im Segment Marktführe­r.

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