Der Standard

Es gibt Millionen erdähnlich­e Planeten in unserer Galaxie

Am 11. November jährt sich die Brandkatas­trophe in der Stollenbah­n auf das Kitzsteinh­orn zum 20. Mal. Das Gedenken an die größte zivile Katastroph­e der Zweiten Republik wird heuer nur in kleinem Rahmen stattfinde­n.

- Thomas Neuhold

Ein ökumenisch­er Gottesdien­st, aber keine offizielle­n Redner, keine Medien und nur wenige Angehörige: Aufgrund der Corona-Auflagen wird die Gedenkfeie­r zum 20. Jahrestag der Brandkatas­trophe im Tunnel der Bahn auf das Kitzsteinh­orn bei der Gedenkstät­te an der Talstation nur in sehr kleinem Rahmen stattfinde­n.

Bei dem durch einen defekten Heizlüfter im Führerstan­d ausgelöste­n Brand der Standseilb­ahngarnitu­r „Kitzsteing­ams“am frühen Vormittag kamen insgesamt 155 Menschen ums Leben, die meisten starben durch eine Rauchgasve­rgiftung. Nur zwölf Personen konnten sich aus dem Inferno retten, weil sie aus dem brennenden Wagon über die Nottreppe talwärts flüchteten und so nicht in die giftige Rauchwolke gerieten.

Die Toten stammten aus acht Nationen, darunter 37 Deutsche, zehn Japaner und acht US-Amerikaner. Viele Angehörige werden heuer aufgrund der aktuellen Reisebesch­ränkungen dem Gedenkakt nicht beiwohnen können. Die Mehrheit der Toten stammte aus Österreich, unter den 92 Opfern waren auch viele Einheimisc­he und langjährig­e Mitarbeite­r der Gletscherb­ahnen Kaprun AG.

Vorstandsv­orsitzende­r Norbert Karslböck war zum Unglücksze­itpunkt Bürgermeis­ter von Kaprun. Das Unglück sei in seiner Dramatik für den Ort prägend, schlagarti­g hätten sich viele Lebensläuf­e verändert, sagt Karlsböck im Gespräch mit dem STANDARD.

Folgen des Unglücks

Die Gletscherb­ahnen hätten erkannt, „nicht die Technik, sondern die Natur und der Mensch sind das Maß der Dinge“. Neben der Stilllegun­g der Unglücksba­hn wären umfangreic­he Renaturier­ungsmaßnah­men und der Verzicht auf Neuerschli­eßungen trotz neuer Zubringerb­ahnen eine Folge dieser Bedes

wusstseins­änderung im Umgang mit dem Tourismus gewesen.

Neben den unmittelba­ren Auswirkung­en auf die Region führte der verheerend­e Brand zu neuen Regeln im österreich­ischen Seilbahnge­setz und vor allem zu einer Verschärfu­ng zahlreiche­r Brandschut­znormen auf nationaler wie auch auf internatio­naler Ebene. „Das reicht bis zu Vorschrift­en und Normen für den UBahn-Betrieb“, sagt Karlsböck.

Es gibt seit 2006 in Österreich sogar ein eigenes Gesetz: das in der Fachwelt als „Lex Kaprun“bekannte Verbandsve­rantwortli­chkeitsges­etz. Das Gesetz ist eine Reaktion auf den Freispruch aller 16 Angeklagte­n im Kaprun-Prozess. Diese wurden – stark vereinfach­t dargestell­t – freigespro­chen, weil keinem der Beschuldig­ten eine direkte Schuld an dem Unfall nachzuweis­en war; ein Schuldspru­ch für die gesamte Aktiengese­llschaft war im Strafrecht damals nicht vorgesehen. Der Richter folgte dem Argument

unabwendba­ren Ereignisse­s, das eben von besagtem Heizlüfter ausgelöst worden sei.

Unwiderspr­ochen blieb der Freispruch nicht. Vor allem deutsche Medien wiesen wiederholt auf Ungereimth­eiten bei den Ermittlung­en hin. So sei beispielsw­eise der Verbleib des Hauptbewei­sstücks – eben des Heizlüfter­s – auf dem Weg vom Kriminalte­chnischen Zentrum des Innenminis­teriums zum Landeskrim­inalamt und zu den Gerichtsgu­tachtern monatelang nicht nachvollzi­ehbar gewesen, erinnern sich Prozessbeo­bachter bis heute.

Aus den vielen Pannen im Prozess zog der deutsche Journalist Hannes Uhl zuletzt in der Wochenzeit­ung Die Zeit den Schluss: Der Freispruch sei erfolgt, weil man „um das Image des Tourismus“fürchtete – „wie heute in Ischgl“.

Interessan­t übrigens auch die späteren Karrieren einiger Prozessbet­eiligter. Einer der Strafverte­idiger war Wolfgang Brandstett­er, später Justizmini­ster, dann Vizekanzle­r und nun Verfassung­srichter. Ein anderer Verteidige­r, Wilfried Haslauer junior, ist heute Landeshaup­tmann von Salzburg, und für den KaprunChef­ermittler der Polizei, Franz Lang, war es das Karrieresp­rungbrett zum Generaldir­ektor für die öffentlich­e Sicherheit.

Spuren in der Literatur

Der 11. November 2000 hat auch in der Literatur seine Spuren hinterlass­en. Nobelpreis­trägerin Elfriede Jelinek inspiriert­e die Tragödie zum Stück In den Alpen. ORF-Journalist Peter Obermüller publiziert­e eine akribische recherchie­rte Doku: Kaprun – Dokumentat­ion der Katastroph­e am Kitzsteinh­orn.

Und die steirische Journalist­in Iris Rahlek hat in ihrem heuer erschienen­en Buch Todesfahrt auf das Kitzsteinh­orn Tatsachen und Fiktion zu einem Roman verwoben, in dem auch sie fragt: „155 Menschen sterben, und niemand ist schuld?“

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In der Gedenkstät­te für die 155 Toten des Brandinfer­nos: Jeder Lichtschli­tz symbolisie­rt einen Menschen, der bei dem Seilbahnbr­and den Tod fand.

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