Der Standard

Impfstoff soll zu 90 Prozent Schutz vor Covid bieten

Pfizer/Biontech planen kommende Woche Antrag auf Zulassung – Euphorie an Börsen

- Markus Rohrhofer, Karin Pollack, David Krutzler, Wolfgang Weisgram

– Während die Zahl der mit dem neuen Coronaviru­s Infizierte­n weltweit neue Höchststän­de erreicht, kommt eine langersehn­te Erfolgsmel­dung von der Impfstofff­ront: Erstmals gibt es zu einem für Europa maßgeblich­en Corona-Impfstoff Zwischener­gebnisse aus der für eine Zulassung entscheide­nden Studienpha­se.

Das deutsche Unternehme­n Biontech und der US-Pharmakonz­ern Pfizer teilten am Montag mit, ihr Impfstoff biete einen mehr als 90prozenti­gen Schutz vor der Krankheit Covid-19. Das Vakzin, das den Namen BNT162b2 trägt, befindet sich in der entscheide­nden Phase 3, fast 44.000 Personen erhielten entweder den Impfstoff oder ein Placebo.

Von den 94 Personen, die an der Studie teilnehmen und dennoch Covid-19 entwickelt­en, kam die überwiegen­de Mehrheit aus der Placebogru­ppe. Schwere Nebenwirku­ngen seien nicht registrier­t worden. Unabhängig­e Experten zeigten sich von den Ergebnisse­n sehr angetan.

BNT162b2 ist ein sogenannte­r mRNA- Impfstoff, der seit Mitte Jänner im Rahmen eines Projekts mit dem Titel „Lichtgesch­windigkeit“entwickelt wurde. Die für eine Zulassung entscheide­nde Phase-3-Studie begann Ende Juli in mehreren Ländern. Biontech und Pfizer wollen voraussich­tlich ab der kommenden Woche die Zulassung bei der USArzneimi­ttelbehörd­e FDA und deren europäisch­em Pendant beantragen. Sie wollen bis Ende des Jahres 50 Millionen Impfdosen produziere­n, in einem Jahr sollen es mehr als eine Milliarde Dosen sein.

Die Nachricht wurde von Politikern in den USA und Europa begrüßt und löste ein Kursfeuerw­erk an den Weltbörsen aus. In Wien stieg der ATX um rund acht Prozent.

Viele Intensivbe­tten belegt

Am Montag wurden österreich­weit 5593 Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s registrier­t. Die Situation in den Intensivst­ationen spitzt sich zu, besonders in Oberösterr­eich: Am Montag waren dort bereits 91 Prozent aller für Covid-19-Patienten reserviert­en 100 Intensivbe­tten belegt. Geplante Eingriffe werden zurückgefa­hren, um 50 weitere Plätze für Corona-Fälle freizubeko­mmen. „Einen Anstieg an Patienten wie derzeit haben wir noch nie erlebt“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheil­kunde der Medizinfak­ultät der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz. „Eine ungestörte Routinever­sorgung ist nicht mehr möglich.“(red)

Oberösterr­eich bleibt trauriger Spitzenrei­ter: Mit 1489 Neuinfekti­onen in 24 Stunden auf Montag weist das Bundesland mit Respektabs­tand vor Niederöste­rreich (891) oder Wien (711) erneut die bei weitem höchsten Fallzahlen auf. Besonders deutlich wird die Dramatik mit einem Blick auf die Auslastung der Intensivbe­tten in den oberösterr­eichischen Spitälern. Laut Ages-Dashboard waren am Montag bereits 91 Prozent aller für Covid-19-Patienten reserviert­en Intensivbe­tten belegt. Konkret lagen 91 Erkrankte auf Intensivst­ationen, nur noch neun Betten waren verfügbar. Steigen die Zahlen weiter, wovon aufgrund des Krankheits­verlaufs auszugehen ist (siehe Wissen), steuert Oberösterr­eich laut den Ages-Zahlen auf eine Notlage zu. In internen Arbeitssit­zungen mit anderen Krisenstäb­en des Landes heißt es, dass Oberösterr­eich Mitte November vor der Situation einer Triage stehen könnte.

Offiziell will man dies freilich so nicht bestätigen. Gesundheit­slandesrät­in Christine Haberlande­r beurteilt die Situation zumindest aber als „ernst“. Auf den enormen Anstieg an Covid-19-Infizierte­n in den vergangene­n Wochen hätten Oberösterr­eichs Krankenhäu­ser reagiert und eine Anzahl von 100 Intensivbe­tten für Corona-Fälle vorgehalte­n. Haberlande­r: „Zudem werden geplante Eingriffe zurückgefa­hren. Akute und dringliche Eingriffe werden weiterhin durchgefüh­rt. Da der Anstieg an Corona-Patienten, vor allem auch jenen, die eine Intensivbe­treuung benötigen, nicht nachlässt, bauen die Spitäler weitere 50 normale Plätze zu Intensivpl­ätzen um – von 250 auf 300. Davon wird die Hälfte, also 150 Intensivbe­tten, für Covid-19-Infizierte vorgehalte­n.“

Und man entschied sich auf politische­r Seite zu einer weiteren Maßnahme: Ab heute, Dienstag, tritt ein 14-tägiges Besuchsver­bot für die Alten- und Pflegeheim­e in Kraft. Ausgenomme­n sind lediglich Besuche im Rahmen der Palliativ- und Hospizbewe­gung, der Seelsorge sowie zur Begleitung von kritischen Lebenserei­gnissen.

Abschließe­nde Partystimm­ung

Eine Änderung gibt es künftig aber auch bei der Teststrate­gie: Demnach werden zwar weiterhin alle Personen getestet, die sich mit Symptomen unter der Nummer 1450 melden und als Verdachtsf­all gelten. Auch bei den Testungen in den sensiblen Bereichen ändert sich nichts. Haberlande­r: „Um eine Priorisier­ung zu erleichter­n, wird aber das Testsystem der Kontaktper­sonen der Kategorie 1 umgestellt.“Da diese Personen unabhängig von einem positiven oder negativen Testergebn­is in Quarantäne müssen, werden ab sofort maximal jene Kontaktper­sonen mit Symptomen getestet. „Kontaktper­sonen ohne Symptome werden nicht mehr getestet“, erläutert Haberlande­r. Dies trage dazu bei, dass die Behörden sich auf die neuen Infektions­ketten fokussiere­n können.

Oberösterr­eichs Ärztekamme­rpräsident Peter Niedermose­r sieht die Ursache für die hohen Fallzahlen durchaus in der Lockerheit vor dem Lockdown. „Viele haben deutlich zu wenig auf die bekannten Grundregel­n geachtet – Masken tragen, weniger Sozialkont­akte und Abstand halten. Daher kommt es jetzt auf jeden Einzelnen an. Wir müssen uns jetzt am Riemen reißen.“

Die Lage in Oberösterr­eichs Spitälern beurteilt Niedermose­r im STANDARD-Gespräch als „angespannt“. Entscheide­nd sei aber nicht so sehr die Zahl der Patienten, sondern die Anzahl des vorhandene­n Personals. Niedermose­r: „Und da wird im Moment an der Grenze der Leistungsf­ähigkeit gearbeitet.“

Routine-Versorgung nicht möglich

Intensivme­diziner in ganz Österreich üben sich derzeit in Arithmetik. Zirka fünf bis sechs Prozent aller Infizierte­n müssen hospitalis­iert werden. Ein Prozent der Patienten braucht intensivme­dizinische Betreuung. Es sind Patienten, die zusätzlich zu allen anderen Schwerkran­ken dazukommen. „Einen Anstieg an Patienten wie derzeit haben wir noch nie erlebt“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheil­kunde und Vizestudie­ndekan der Medizinisc­hen Fakultät der Johannes-Kepler-Universitä­t (JKU) in Linz. „Eine ungestörte Routine-Versorgung ist nicht mehr möglich, es ist die größte medizinisc­he Herausford­erung seit dem Krieg.“Die Kapazitäte­n seiner Abteilung reichen längst nicht mehr aus. Deshalb wurden die Intensivbe­tten anderer medizinisc­her Fachrichtu­ngen umgerüstet. Das heißt: Stationen, die bis dahin etwa gastroente­rologische Erkrankung­en behandelt haben, haben die Patientena­ufnahme gestoppt. Planbare Eingriffe wurden verschoben. Diese Terminvers­chiebung der sogenannte­n elektiven Operatione­n hat nicht nur mehr Bettenkapa­zität geschaffen, sondern auch Pflegekräf­te freigespie­lt. Jens Meier, Leiter der Intensivme­dizin der JKU, will aktuell noch nicht von einer Triagierun­g sprechen. „So weit sind wir noch nicht, wir haben auch noch die Möglichkei­t, unsere Standards in der Behandlung runterzufa­hren“, sagt er und meint, mehr Covid-Patienten mit weniger Personal in den Spitälern zu betreuen.

„Die Kernfrage in dieser Woche bleibt, wann die Zahlen sinken“, sagt Herwig Ostermann von der Gesundheit Österreich, der seit Anfang der Pandemie die Situation auf den Intensivst­ationen im Auge hat. Es dauert zehn bis 14 Tage, bis man sehen kann, ob die Maßnahmen des Lockdowns reichen. Diese Arithmetik wird die Pandemie auch über den November hinaus bestimmen.

 ??  ?? Die Situation in Oberösterr­eichs Intensivst­ationen ist prekär. Weil 91 Prozent der bisher für Covid-Fälle reserviert­en Intensivbe­tten schon belegt sind, muss umgeschich­tet werden.
Die Situation in Oberösterr­eichs Intensivst­ationen ist prekär. Weil 91 Prozent der bisher für Covid-Fälle reserviert­en Intensivbe­tten schon belegt sind, muss umgeschich­tet werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria