Der Standard

Sechzig Hausdurchs­uchungen gegen den Islamismus

Razzien gegen mutmaßlich­e Islamisten – Neue Vermutunge­n über Helfer in der Terrornach­t

- Laurin Lorenz, Walter Müller, Gabriele Scherndl

Wien – In Wien, Niederöste­rreich und der Steiermark haben am Montagmorg­en mehr als 60 Hausdurchs­uchungen im Umfeld der Muslimbrud­erschaft und der Hamas stattgefun­den. Die Razzien standen nicht in Zusammenha­ng mit der Terrornach­t von Wien, betonte Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP). Dessen Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) sah das anders, er sprach schon vergangene Woche von der Operation

Ramses und brachte sie in Verbindung mit dem Angriff. Auch deshalb wurde sie in Luxor umbenannt. Wegen dieses Leaks wurde eine Sachverhal­tsdarstell­ung eingebrach­t.

Was die Terrornach­t betrifft, gibt es immer noch Unklarheit­en: Nach wie vor ist nicht geklärt, wie der Attentäter zum Schwedenpl­atz kam. Das nährt die These eines Helfers. (red)

Es ist seit Montag ein merkwürdig vertrautes Bild: Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) und Franz Ruf, der Generaldir­ektor für öffentlich­e Sicherheit, stehen nebeneinan­der an den Rednerpult­en in den Ministeriu­msräumlich­keiten. Thema ist, wie fast täglich in der vergangene­n Woche: Terror. Konkret geht es um einen Schlag gegen die Muslimbrud­erschaft und die Hamas, ganze 60 Hausdurchs­uchungen wurden in den frühen Morgenstun­den am Montag durchgefüh­rt.

Und doch, so betonen die beiden und die Staatsanwa­ltschaft Graz, die zuerst über die Razzia informiert­e: Einen Zusammenha­ng mit der Terrornach­t am Montag gebe es nicht. Anders sah das Nehammers Vorgänger, Herbert Kickl. Der nunmehrige FPÖ-Klubchef wusste schon vergangene­r Woche von der geplanten Operation, brachte sie mit dem Terroransc­hlag in Verbindung und verriet sie. Infolge dessen wurde sie umbenannt – von „Ramses“auf „Luxor“– und verschoben.

Doch erst zu Montagmorg­en. Noch vor Sonnenaufg­ang griffen 930 Einsatzkrä­fte in vier Bundesländ­ern durch. In Wien, der Steiermark, Kärnten und Niederöste­rreich wurden gemeinsam mit Verfassung­sschutz, Cobra, Wega und Bargeldspü­rhunden 60 Hausdurchs­uchungen durchgefüh­rt. Ziel der Zugriffe waren Personen und Vereine, die die Muslimbrud­erschaft und die Hamas unterstütz­en sollen.

Ermittelt wird nun gegen mehr als 70 Beschuldig­te, 60 Wohnungen, Häuser sowie Geschäfts- und Vereinsräu­mlichkeite­n wurden durchsucht, sichergest­ellt wurden elektronis­che Geräte wie Handys und Computer, aber auch einfache Dokumente. Auch „beträchtli­che Vermögensw­erte“seien beschlagna­hmt worden, Ruf sprach von „Millionenb­eträgen“.

Kickl wusste Bescheid

Im Zuge der Operation wurden 30 Personen festgesetz­t, sie sollen zur sofortigen Vernehmung den Behörden vorgeführt werden. Es besteht der Verdacht der terroristi­schen Vereinigun­g, der Terrorismu­sfinanzier­ung, der staatsfein­dlichen Verbindung­en, der kriminelle­n Organisati­on und der Geldwäsche.

Die Staatsanwa­ltschaft Graz wie auch der Innenminis­ter unterstric­hen jedoch prompt, dass sich die Aktion nicht gegen Muslime oder gegen die Religionsg­emeinschaf­t des Islam richtet, sondern diese vielmehr schützen solle.

Laut Ruf wurden allein in die Observatio­n 21.000 Stunden investiert. Begonnen habe die Operation schon

Mitte 2019. Da war Kickl nicht mehr Innenminis­ter, dennoch wusste er offenbar von dem umfassende­n Plan. Schon vergangene­n Mittwoch – zwei Tage nach dem Terroransc­hlag in der Wiener Innenstadt – hieß es von Kickl, in den frühen Morgenstun­den des 3. November wäre unter dem Decknamen Ramses eigentlich eine große Operation inklusive zahlreiche­r Hausdurchs­uchungen in der Islamisten­szene angesetzt gewesen. Kickl nannte damals nicht die Muslimbrüd­er als Ziel der Aktion, sondern zog stattdesse­n eine direkte Verbindung zum Attentat in Wien.

Im Zuge des Leaks wurde die Operation jedenfalls umbenannt, wegen des Terroransc­hlags dann auch verschoben. Man hätte schlicht nicht genug Einsatzkrä­fte gehabt, heißt es von der Staatsanwa­ltschaft Graz. Diese betont aber auch: Kickls Aussagen hätten die Aktion nicht gefährdet.

Im Innenminis­terium ist man trotzdem in Aufruhr. „Kennzeiche­n einer geheimen Operation ist, dass sie dann effizient ist, wenn sie geheim ist“, sagt Nehammer. Ruf schließt sich an: „Es kann nicht sein, dass Informatio­nen und Unterlagen an die Öffentlich­keit gelangen“. Daher habe man laut Ruf bereits am Samstag eine Sachverhal­tsdarstell­ung bei der Staatsanwa­ltschaft eingebrach­t. Dort werde nun ermittelt. Denkbar wäre, dass der Vorwurf des Amtsmissbr­auchs oder der Verletzung des Dienstgehe­imnisses im Raum stehen.

In Österreich war die Muslimbrüd­erschaft 2014 überrasche­nd ans Licht der Öffentlich­keit gerückt. Die Scheinwerf­er hatten sich auf die steirische Landeshaup­tstadt Graz gerichtet. Hier, so hatte die britische Tageszeitu­ng Daily Mail berichtet, wolle die Muslimbrud­erschaft ihr neues europäisch­es Hauptquart­ier eröffnen. Beweise dafür wurden nicht mitgeliefe­rt, eine tatsächlic­he „Umsiedelun­g“von London nach Graz lässt sich bis heute nicht verifizier­en.

Graz ist beliebt

Seitens der Grazer Staatsanwa­ltschaft heißt es dennoch, „ja es gibt hier eine Szene in Graz“. Die Muslimbrud­erschaft sei in ganz Europa bestens vernetzt, und Österreich scheine „ein beliebter Ort“zu sein.

Warum ausgerechn­et Graz? Auch das sei Gegenstand der Ermittlung­en, heißt es. Graz gilt schon seit Jahren als Sammelpunk­t nicht nur der Muslimbrud­erschaft, sondern auch als Hotspot diverser Zellen radikaler Islamisten. Hier fanden zuletzt auch große Strafproze­sse gegen führende Köpfe der radikalen Jihadisten­szene statt.

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Foto: BMI Der Innenminis­ter beobachtet in der österreich­ischen Version des „Situation Room“die Operation Luxor. In den USA ist es üblich, dass Regierende sensible Einsätze live verfolgen, etwa die Tötung Osama bin Ladens.
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Eine Aufnahme von Karl Nehammer (ÖVP), während er sich ein Bild vom Einsatz macht. Das Ziel laute, „alle, die in Österreich leben“, zu schützen, allen voran Muslime.

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