Sechzig Hausdurchsuchungen gegen den Islamismus
Razzien gegen mutmaßliche Islamisten – Neue Vermutungen über Helfer in der Terrornacht
Wien – In Wien, Niederösterreich und der Steiermark haben am Montagmorgen mehr als 60 Hausdurchsuchungen im Umfeld der Muslimbruderschaft und der Hamas stattgefunden. Die Razzien standen nicht in Zusammenhang mit der Terrornacht von Wien, betonte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Dessen Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) sah das anders, er sprach schon vergangene Woche von der Operation
Ramses und brachte sie in Verbindung mit dem Angriff. Auch deshalb wurde sie in Luxor umbenannt. Wegen dieses Leaks wurde eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht.
Was die Terrornacht betrifft, gibt es immer noch Unklarheiten: Nach wie vor ist nicht geklärt, wie der Attentäter zum Schwedenplatz kam. Das nährt die These eines Helfers. (red)
Es ist seit Montag ein merkwürdig vertrautes Bild: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Franz Ruf, der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, stehen nebeneinander an den Rednerpulten in den Ministeriumsräumlichkeiten. Thema ist, wie fast täglich in der vergangenen Woche: Terror. Konkret geht es um einen Schlag gegen die Muslimbruderschaft und die Hamas, ganze 60 Hausdurchsuchungen wurden in den frühen Morgenstunden am Montag durchgeführt.
Und doch, so betonen die beiden und die Staatsanwaltschaft Graz, die zuerst über die Razzia informierte: Einen Zusammenhang mit der Terrornacht am Montag gebe es nicht. Anders sah das Nehammers Vorgänger, Herbert Kickl. Der nunmehrige FPÖ-Klubchef wusste schon vergangener Woche von der geplanten Operation, brachte sie mit dem Terroranschlag in Verbindung und verriet sie. Infolge dessen wurde sie umbenannt – von „Ramses“auf „Luxor“– und verschoben.
Doch erst zu Montagmorgen. Noch vor Sonnenaufgang griffen 930 Einsatzkräfte in vier Bundesländern durch. In Wien, der Steiermark, Kärnten und Niederösterreich wurden gemeinsam mit Verfassungsschutz, Cobra, Wega und Bargeldspürhunden 60 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Ziel der Zugriffe waren Personen und Vereine, die die Muslimbruderschaft und die Hamas unterstützen sollen.
Ermittelt wird nun gegen mehr als 70 Beschuldigte, 60 Wohnungen, Häuser sowie Geschäfts- und Vereinsräumlichkeiten wurden durchsucht, sichergestellt wurden elektronische Geräte wie Handys und Computer, aber auch einfache Dokumente. Auch „beträchtliche Vermögenswerte“seien beschlagnahmt worden, Ruf sprach von „Millionenbeträgen“.
Kickl wusste Bescheid
Im Zuge der Operation wurden 30 Personen festgesetzt, sie sollen zur sofortigen Vernehmung den Behörden vorgeführt werden. Es besteht der Verdacht der terroristischen Vereinigung, der Terrorismusfinanzierung, der staatsfeindlichen Verbindungen, der kriminellen Organisation und der Geldwäsche.
Die Staatsanwaltschaft Graz wie auch der Innenminister unterstrichen jedoch prompt, dass sich die Aktion nicht gegen Muslime oder gegen die Religionsgemeinschaft des Islam richtet, sondern diese vielmehr schützen solle.
Laut Ruf wurden allein in die Observation 21.000 Stunden investiert. Begonnen habe die Operation schon
Mitte 2019. Da war Kickl nicht mehr Innenminister, dennoch wusste er offenbar von dem umfassenden Plan. Schon vergangenen Mittwoch – zwei Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt – hieß es von Kickl, in den frühen Morgenstunden des 3. November wäre unter dem Decknamen Ramses eigentlich eine große Operation inklusive zahlreicher Hausdurchsuchungen in der Islamistenszene angesetzt gewesen. Kickl nannte damals nicht die Muslimbrüder als Ziel der Aktion, sondern zog stattdessen eine direkte Verbindung zum Attentat in Wien.
Im Zuge des Leaks wurde die Operation jedenfalls umbenannt, wegen des Terroranschlags dann auch verschoben. Man hätte schlicht nicht genug Einsatzkräfte gehabt, heißt es von der Staatsanwaltschaft Graz. Diese betont aber auch: Kickls Aussagen hätten die Aktion nicht gefährdet.
Im Innenministerium ist man trotzdem in Aufruhr. „Kennzeichen einer geheimen Operation ist, dass sie dann effizient ist, wenn sie geheim ist“, sagt Nehammer. Ruf schließt sich an: „Es kann nicht sein, dass Informationen und Unterlagen an die Öffentlichkeit gelangen“. Daher habe man laut Ruf bereits am Samstag eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Dort werde nun ermittelt. Denkbar wäre, dass der Vorwurf des Amtsmissbrauchs oder der Verletzung des Dienstgeheimnisses im Raum stehen.
In Österreich war die Muslimbrüderschaft 2014 überraschend ans Licht der Öffentlichkeit gerückt. Die Scheinwerfer hatten sich auf die steirische Landeshauptstadt Graz gerichtet. Hier, so hatte die britische Tageszeitung Daily Mail berichtet, wolle die Muslimbruderschaft ihr neues europäisches Hauptquartier eröffnen. Beweise dafür wurden nicht mitgeliefert, eine tatsächliche „Umsiedelung“von London nach Graz lässt sich bis heute nicht verifizieren.
Graz ist beliebt
Seitens der Grazer Staatsanwaltschaft heißt es dennoch, „ja es gibt hier eine Szene in Graz“. Die Muslimbruderschaft sei in ganz Europa bestens vernetzt, und Österreich scheine „ein beliebter Ort“zu sein.
Warum ausgerechnet Graz? Auch das sei Gegenstand der Ermittlungen, heißt es. Graz gilt schon seit Jahren als Sammelpunkt nicht nur der Muslimbruderschaft, sondern auch als Hotspot diverser Zellen radikaler Islamisten. Hier fanden zuletzt auch große Strafprozesse gegen führende Köpfe der radikalen Jihadistenszene statt.