Der Standard

Sexistisch­e Interviews

„Der Spiegel“fiel in den letzten Wochen mit sexistisch­en Interviews auf. Geschlecht­erklischee­s sind in Medien nach wie vor keine Seltenheit, beobachtet die Medienwiss­enschafter­in Elizabeth Prommer.

- Doris Priesching

Medienwiss­enschafter­in Elizabeth Prommer über sexistisch­e Interviews im Spiegel und andere Geschlecht­erklischee­s in Medien.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen sorgt Der Spiegel mit einem Interview für Gesprächss­toff zum Thema Sexismus. Die ehemalige FDP-Politikeri­n Silvana Koch-Mehrin spricht in dem Interview über ihre im vergangene­n Herbst diagnostiz­ierte Brustkrebs­erkrankung. Es geht um Krankheit, Therapie und Verlauf, um körperlich­e und seelische Folgen, Auswirkung­en auf ihre Karriere und das Tabuthema Brustkrebs. Es ist sehr lange ein einfühlsam­es und aufschluss­reiches Gespräch.

Dann schwenkt Interviewe­r Hajo Schumacher um, spricht KochMehrin als „liberale Superfrau“an, „bei der Karriere, Familie, Frisur immer perfekt aussahen. Sie haben sich auch ganz gern so inszeniert.“

Verzerrte Wahrnehmun­g

„Was hat der Brustkrebs mit Ihrem Gefühl von Weiblichke­it gemacht?“, will Schumacher wissen. Koch-Mehrin antwortet mit einer Gegenfrage: „Höre ich da eine Männerwahr­nehmung? Auf dem Kopf lange Haare und an den Beinen keine? Nur mit Brüsten eine Frau? Das ist doch Unsinn.“Und es geht noch weiter.

„Sie haben, ob Sie wollten oder nicht, früher das Stereotyp der klassische­n Blondine bedient. Was haben Glatze und Perücke mit Ihnen gemacht?“, will der Fragestell­er wissen. Koch-Mehrin antwortet kämpferisc­h: „Klischees zu bedienen gehört hier offenbar immer noch zum journalist­ischen Standardre­pertoire.“Koch-Mehrin verweist in dem Zusammenha­ng auf das Spiegel-Interview mit der Virologin Sandra Ciesek im Oktober. Ciesek liefert seit September alterniere­nd mit Christian Drosten im bereits preisgekrö­nten NDR-Podcast Coronaviru­sUpdate im Zweiwochen­rhythmus wissenscha­ftliche Kontexte zur Corona-Pandemie. Das von Veronika Hackenbroc­h und Rafaela von Bredow geführt Interview beginnt mit der Frage: „Ihnen ist klar, dass Sie die Quotenfrau sind?“Das Gespräch schlug ebenfalls in sozialen Medien Wellen.

Für die deutsche Medienwiss­enschafter­in Elizabeth Prommer sind solche Interviews Ausdruck „unbewusste­r Wahrnehmun­gsverzerru­ng“. Dass ausgerechn­et „Männer, die sich selbst für aufgeklärt halten, Frauen über das rein Äußerliche definieren“,

sei nicht selten. „Für solche Männer sind Frauen, die Karriere machen, immer noch etwas Besonderes.“Im Journalism­us sei das offenbar auch nicht anders. Dass Der Spiegel hier besonders auffalle, findet sie nicht unbedingt. Ähnliche Zugänge beobachtet sie immer wieder auch in anderen Medien.

Im Interview mit Koch-Mehrin geht Schumacher weiter in die Offensive: „Nun ist aber gut. Sie haben das Blondinens­piel schon sehr gut beherrscht. Sie wussten genau, dass sich in einer Männerpart­ei viel Aufmerksam­keit auf Sie richtet, dass Sie als Mann nicht so fix an die Spitze der FDP marschiert wären. Genau deswegen haben die Neider Sie doch 2011 alleingela­ssen und vergnügt fallen sehen, als mal Loyalität gefragt war.“Die Interviewt­e geht darauf gar nicht mehr ein, sondern plädiert für „Zugang zu erstklassi­ger Gesundheit­sversorgun­g“, „unabhängig vom Geldbeutel“. Woraufhin ihr Schumacher vorwirft, jetzt klinge sie wie der deutsche Schauspiel­er Heiner Lauterbach.

Koch-Mehrin habe „souverän reagiert“, urteilt Prommer. Frauenfein­dliche Fragen kennt die Medienwiss­enschafter­in aus eigener Erfahrung. „Wir sind ja diese Fragen gewohnt. Einer der Klassiker, der immer wieder kommt, ist, wie man Karriere mit Kindern macht. Eine Politikeri­n sagte dazu einmal scherzhaft: Ich stelle die Kinder morgens in den Schrank und hole sie abends wieder raus.“Worauf Prommer hinauswill: „Fragen Sie das meine Kollegen auch?“

Diese Frage sollten sich auch Medienarbe­iter immer wieder stellen, empfiehlt Prommer: „Journalist­innen und Journalist­en können sich überprüfen: Würden sie diese Frage auch Männern stellen?“

„Frech“und „provokant“

Prommer forscht zum Thema Frauen in Medien. Gemeinsam mit der Malisa-Stiftung der Schauspiel­erin Maria Furtwängle­r veröffentl­ichte sie unter anderem eine Studie über audiovisue­lle Diversität. Für Aufsehen sorgte 2017 ein TV-Interview, in dem der ZDF-Journalist Claus Kleber Furtwängle­r fragte, ob sie das Publikum umerziehen wolle.

Bei Ciesek hat Der Spiegel sich nicht entschuldi­gt, eine Frage wurde konkretisi­ert, ansonsten wurde der Stil von den Fragestell­erinnen als „frech“und „provokant“verteidigt. „Warum muss man uns provokant fragen?“, will Prommer wissen. „Wissenscha­fterinnen sind keine Medienprof­is. Wer traut sich schon zu sagen, das ist eine unfaire Frage?“

Einwänden, wonach sowohl Ciesek als auch Koch-Mehrin die Interviews vor Abdruck gelesen und freigegebe­n hätten, wie das in Deutschlan­d so Praxis ist, entgegnet Prommer: „Was kannst du machen? Sagen, ich ziehe das Interview zurück? Der Spiegel ist ein mächtiges Magazin. Wer traut sich schon zu sagen, mach das anders? Da vergisst Der Spiegel, dass die meisten seiner Interviewp­artner keine Pressestel­len

haben. Hey, ich bin Uniprofess­orin und forsche mit meinem Team, es ist nicht mein tägliches Geschäft mit Medien zu sprechen.“

Anfragen des STANDARD an Spiegel-Chefredakt­eur Steffen Klusmann und den Journalist­en Hajo Schumacher blieben bis Redaktions­schluss unbeantwor­tet.

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Blondine und Quotenfrau: Das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“bediente in zwei Interviews Geschlecht­erklischee­s.

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