Der Standard

Oberstufen­schulsperr­e hatte „mehr negative Auswirkung­en“

Erhoffte Kontaktred­uktion durch Distance-Learning offenbar durch private Freizeitko­ntakte konterkari­ert

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SLisa Nimmervoll

echs Tage nach Verhängung des zweiten Lockdowns und nach vier Schultagen mit Distance-Learning für die Oberstufen­klassen meldeten sich am Montag vier Wissenscha­fter mit einem Ruf nach sofortiger Schließung aller Schulen zu Wort. Außerdem wollen der Mathematik­er Peter Markowich, der Informatik­er Georg Gottlob und die Physiker Christoph Nägerl und Erich Gornik einen deutlich härteren Lockdown mit der „Pflicht zu Homeoffice, wo immer möglich“, und der Erhöhung des Mindestabs­tands von einem auf zwei Meter, andernfall­s würden Österreich überlastet­e Spitäler und Triage drohen. Wer gegen Schulschli­eßungen sei, sei für Triage, schreiben die vier Wittgenste­in-Preisträge­r. Die Schulen sind ihrer Ansicht nach „einer der Treiber von respirator­ischen Viren, das ist eine bewiesene Tatsache“.

Das Bildungsmi­nisterium verwies im Gegenzug auf „eine vielfältig­e Forschungs­lage zu dem Thema“. Wichtig sei, „die Balance zwischen Gesundheit­sschutz und den berechtigt­en Interessen auf Bildung herzustell­en“.

Anerkannte­s Wissen sei, „dass Kinder eine treibende Rolle in der Verbreitun­g von Influenzav­iren, Masernvire­n und den Pneumokokk­en haben“, betont Infektions­epidemiolo­gin Daniela Schmid von der Ages im STANDARDGe­spräch. Bei Sars-CoV-2 treten jedenfalls weitaus weniger häufig Cluster unter Schülern auf als bei diesen Erregern, das zeigen die verfügbare­n Cluster-Daten. Die unter Zehnjährig­en

spielten nach wie vor keine besondere Rolle im Infektions­geschehen, wohingegen bei den 10- bis 14- sowie den 15- bis 19-Jährigen die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen, mit der Zunahme des Gesamtinfe­ktionsgesc­hehens zunehme.

Die Infektions­entwicklun­g in der Oberstufe, die ja Distance-Learning macht, werde weiter genauesten­s beobachtet, um einen relevanten weiteren Anstieg in dieser Altersgrup­pe durch möglicherw­eise mehr Freizeitak­tivität zu erkennen. „Teenager verbringen offenkundi­g, wenn nicht in der Schule, auch nicht notwendige­rweise die Zeit ausschließ­lich zu Hause, sondern draußen, wo sie dann mehr Kontakte und ein entspreche­nd höheres Infektions­risiko haben“, sagt die Expertin.

Die Gruppe der Zehn- bis 14-Jährigen sei jetzt ebenfalls mehr betroffen als in den Sommermona­ten, stehe also ebenfalls unter besonderer Beobachtun­g. Dessen ungeachtet, so Schmid, nehmen bei den Corona-Clustern in Bildungsei­nrichtunge­n Erwachsene als IndexFall, also Ausgangsfa­ll, eine zentrale Rolle ein.

Das Herausnehm­en der Sekundarst­ufe 2 aus den Kontaktket­ten war laut FPÖ-Gesundheit­ssprecher Gerhard Kaniak auch bei einem Treffen von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) mit der Opposition am Montag ein Thema. Demnach habe der Umstieg der Oberstufen auf Distance-Learning mit

Blick auf das Infektions­geschehen „mehr negative Auswirkung­en gehabt als positive“.

Auf ähnlich unerwünsch­te Nebenwirku­ngen von Schulsperr­en wie die zum Distanzler­nen vergattert­en Oberstufen­schüler, die erst recht das Weite suchen, weist auch der PublicHeal­th-Experte Hans-Peter Hutter (Med-Uni Wien) hin: „Schulsperr­en haben schwere Folgen für Familien. Denn die Eltern müssen eine Betreuung für die Kinder organisier­en und finden sie vielleicht nur bei nicht mehr berufstäti­gen, älteren Angehörige­n mit höherem Covid-Risiko. Es wird zu mehr Kontakten kommen, was wir ja keinesfall­s wollen.“

Fragwürdig­e Priorisier­ung

Er registrier­te die Forderung nach einer Totalschli­eßung von Schulen ohnehin „etwas irritiert“, sagte er zum STANDARD, ebenfalls unter Verweis auf die auch von Ages-Expertin Schmid genannten epidemiolo­gischen Erkenntnis­se. Hutter hält aber auch die „Priorisier­ung für höchst fragwürdig. Es wird wieder bei den Kindern und Familien angefangen, statt zu schauen, wie ein Schulbetri­eb während einer Pandemie aussehen kann. Denn es ist ein gangbarer Weg, wenn die bekannten Maßnahmen eingehalte­n werden.“

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