Der Standard

Einzeltäte­rthese für die Terrornach­t gerät ins Wanken

Ermittler können nicht rekonstrui­eren, wie der Attentäter in den ersten Bezirk gelangte – womöglich gab es doch einen Helfer

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Herwig G. Höller, Gabriele Scherndl und Fabian Schmid

Wien – Über dem tödlichen Terroransc­hlag am 2. November in Wien schweben weiterhin viele Fragezeich­en. Einer der wichtigste­n Ermittlung­sansätze betrifft momentan die Anreise des Täters. Dieser wohnte im 22. Bezirk, mehr als sieben Kilometer vom Tatort entfernt. Bisher ist aber unklar, wie er mitsamt seinen Waffen inklusive einer Sprengstof­fgürtelatt­rappe in die City gelangt ist. Minutiös prüften Polizisten Überwachun­gsvideos, vor allem jene der Wiener Linien. Doch es scheint so, als sei der Täter nicht mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln angereist. Ein Fußweg wird ausgeschlo­ssen, ein dort parkendes Auto hätte man mittlerwei­le entdeckt und zuordnen können. Deshalb gewinnt die Theorie, dass der Attentäter von jemandem zum Tatort gebracht wurde, immer mehr Bedeutung. Das bedeutet wiederum, dass der Täter doch Helfer hatte, die direkt in den Anschlag involviert waren. Aus Ermittlerk­reisen heißt es, der potenziell­e Helfer befinde sich wohl nicht unter den bisher verhaftete­n Personen. Offiziell bestätigen will die Polizei das nicht.

Zu den festgenomm­enen Männern, über die U-Haft verhängt wurde, dringen immer mehr Informatio­nen nach außen. Zu ihnen zählt auch B. K., der 2018 mit dem späteren Attentäter nach Afghanista­n und Syrien ausreisen wollte. Einen schriftlic­hen Haftbeschl­uss hat dessen Anwalt aber noch nicht erhalten. Dem Vernehmen nach war er nicht der Einzige unter den Verdächtig­en, der einst ins IS-Kriegsgebi­et reisen wollte. Und: Einer der Verdächtig­en soll einen „psychische­n Beitrag“zur geplanten Ausreise des Täters geleistet haben, gegen ihn liegt eine Terrorankl­age vor.

Besuch aus dem Ausland

Offiziell bestätigt ist, dass der spätere Attentäter K. F. Mitte Juli Besuch von Jihadisten aus der Schweiz und aus Deutschlan­d bekam. Bis zu zehn Personen sollen sich in einem Park in Wien getroffen haben, all das wurde vom Verfassung­sschutz beobachtet. Rund um diesen Termin sollen die ausländisc­hen Islamisten auch in eine Wohnung in Wien-Meidling gekommen sein, wie die Familie eines Verhaftete­n dem STANDARD erzählt.

„Sie haben gemeinsam Tee getrunken, darin besteht seine ganze Schuld“, sagt der Vater eines Festgenomm­enen. Sein Sohn habe gerade für die Matura weiterlern­en wollen, jetzt „reißt man ihn davon weg“. Kritik gibt es auch von Roland Schöndorfe­r, dem Anwalt des Verdächtig­en: „Ich kann nicht nachvollzi­ehen, wie hier zwanghaft versucht wird, eine Terrorzell­e zu kreieren.“Der Attentäter soll sich nicht unter den Besuchern befunden haben. „Ich sehe keinen dringenden Tatverdach­t. Nur weil er mit Leuten eineinhalb Stunden zusammen war, Monate bevor ein Anschlag passierte, ohne mit dem Attentäter in einer Verbindung zu stehen oder ihn zu kennen“, so Schöndorfe­r.

Er bemängelt auch den Umgang der Polizei mit seinem Mandanten.

So wurde dessen Wohnung in der Nacht nach dem Anschlag aufgebroch­en, er wurde nicht vorgefunde­n; seine Familie aber nicht kontaktier­t. Der ältere Bruder ging dann mit dem Verdächtig­en zur Polizei. Dort seien sie eine Stunde lang im Gang festgehalt­en worden.

Verbindung­en zum religiösen Extremismu­s bestreitet die Familie, der Vater gilt in der tschetsche­nischen Diaspora in Europa als Intellektu­eller. „Das ist Banditismu­s, was haben wir damit zu tun? Ich bin da dagegen, das ist nicht unser Krieg, wir brauchen ihn nicht“, sagt er. Die Familie betont, dass es zur Gastfreund­schaft gehöre, Besucher zu empfangen und zu bewirten. Die ausländisc­hen Jihadisten habe ein weiterer Verdächtig­er zu ihnen geführt. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

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