Der Standard

Vorsichtig­er Optimismus für einen Brexit-Nachfolged­eal

Britische Regierung sieht „gute Absichten auf beiden Seiten“– Europaparl­ament drängt auf Kompromiss bis kommenden Montag

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Sebastian Borger aus London

Kommt der Brexit-Nachfolged­eal doch noch zustande? Zu Beginn der Verhandlun­gen zwischen dem britischen Chefunterh­ändler David Frost und seinem EU-Gegenüber Michel Barnier herrschte am Montag in London vorsichtig­er Optimismus. Unterdesse­n hat das britische Oberhaus erneut die Regierung von Premier Boris Johnson für deren geplanten Rechtsbruc­h getadelt. Der Regierungs­chef gab sich unbeirrt: Die groben Züge einer Vereinbaru­ng stünden fest, „wir müssen es jetzt nur noch hinkriegen, wenn das geht“.

An Johnsons Amtssitz in der Downing Street Nummer Zehn war am Montag von „guten Absichten auf beiden Seiten“die Rede, was Barnier ausdrückli­ch bekräftigt­e: Er sei froh, wieder in London zu sein, behauptete der Franzose. Die Süßholzras­peleien standen in klarem Kontrast zur Stimmung Mitte vergangene­r Woche, als sich sowohl Barnier wie Frost ausdrückli­ch skeptisch über die Aussichten einer Einigung äußerten.

Bekannte Problemthe­men

Unveränder­t gelten drei Themenkrei­se als besonders problemati­sch: die zukünftige Vergleichb­arkeit von Staatshilf­en für Unternehme­n; die Regularien für eine Konfliktsc­hlichtung für den Fall, dass eine Seite den Wettbewerb verletzt sieht; und schließlic­h die Fischerei rund um die britischen Inseln.

Bei dem wirtschaft­lich völlig unbedeuten­den, aber hochemotio­nalen Wirtschaft­szweig wollen die Briten rasche Fortschrit­te für ihre Fangflotte und fischverar­beitende Industrie mit gemeinsam kaum mehr als 25.000 Arbeitsplä­tzen vorweisen können. Hingegen pochen die kontinenta­len Anrainerst­aaten des Ärmelkanal­s sowie Dänemark und Spanien auf lange Übergangsz­eiten einer neuen Quotenrege­lung, Belgien verwies zuletzt sogar auf Zusagen des englischen Königs Karl II (1660–1685) an flämische Fischer aus dem Jahr 1666. Von entscheide­nder Bedeutung dürfte die Haltung Frankreich­s sein, wo Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld der Wahl 2022 den Konflikt mit traditione­ll militanten Fischereiv­erbänden scheuen dürfte.

Wenn es nach dem Europaparl­ament geht, sollen bis kommenden Montag (16. November) die nötigen Kompromiss­e gefunden werden. Die Abgeordnet­en bräuchten einen Monat vor der geplanten letzten Sitzung des Jahres am 16. Dezember, um einen Vertragste­xt in juristisch wasserdich­ter Form in die diversen europäisch­en Sprachen übersetzen zu lassen und anschließe­nd detaillier­t abzuklopfe­n, heißt es zur Begründung in Brüssel. Hingegen geben sich die Briten gelassener. Sei der Weg zur Einigung erst einmal geebnet, werde man Mittel finden, um das Abkommen rechtzeiti­g vor Ablauf der Übergangsf­rist zu Silvester in trockene Tücher zu bringen.

Binnenmark­tgesetz

Tiefes Misstrauen ruft auf dem Kontinent weiterhin das sogenannte Binnenmark­tgesetz hervor, mit dem Johnsons Regierung „auf präzise und begrenzte Weise“den EUAustritt­svertrag und damit geltendes Völkerrech­t brechen will. Es gehe dabei ausdrückli­ch um den Schutz des Karfreitag­sabkommens von 1998, das den Frieden in Nordirland und die offene Grenze zur Republik

Irland garantiert, beteuert Johnson und steht damit in diametrale­m Widerspruc­h zu Dublin, der EU und dem designiert­en US-Präsidente­n Joe Biden. Allesamt fürchten diese neue Grenzkontr­ollen auf der grünen Insel, wenn das Gesetzesvo­rhaben Wirklichke­it wird.

Bereits im vergangene­n Monat hatte das Oberhaus mit überwältig­ender Mehrheit ihrem Ärger über den geplanten Rechtsbruc­h Luft gemacht. Dabei ergab sich eine Koalition von der Labour-Opposition über neutrale Fachleute bis hin zu konservati­ven Brexit-Befürworte­rn wie dem früheren Parteichef Michael Howard und Ex-Finanzmini­ster Norman Lamont.

Dass die zweite Parlaments­kammer am Montag nach der Beratung zweier besonders strittiger Klauseln auf einzelnen Abstimmung­en bestand, gilt als beispiello­s.

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