Der Standard

Mehr Arbeitsmig­ration trotz Jobkrise?

Sozialpart­ner streiten über Berufe, die für ausländisc­he Jobsuchend­e geöffnet werden

- András Szigetvari

Sollen trotz Rekordarbe­itslosigke­it weiterhin zusätzlich ausländisc­he Arbeitskrä­fte aus Drittstaat­en nach Österreich kommen können – und falls ja, in welchen Berufen? Diese Frage steht derzeit im Zentrum eines Disputs zwischen den Sozialpart­nern untereinan­der – in den nun auch Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher (ÖVP) hineingezo­gen wird.

Dabei haben sich die Fronten verhärtet, nachdem Arbeitnehm­ervertrete­r und Arbeitgebe­r sich nicht auf einen gemeinsame­n Vorschlag zu der sogenannte­n Mangelberu­fsliste einigen konnten.

Unter welchen Bedingunge­n Arbeitnehm­er aus Drittlände­rn außerhalb der EU nach Österreich kommen können, ist strikt geregelt. Einer der Wege führt über die RotWeiß-Rot-Karte für Mangelberu­fe. Der Vorteil dabei ist, dass ausländisc­he Jobsuchend­e relativ leicht einen Mangelberu­f ergattern können. Sie müssen zum Beispiel keine vorgegeben­e Gehaltsgre­nze überschrei­ten, wie bei einigen anderen Varianten der Rot-Weiß-Rot-Karte.

Was zum Mangelberu­f erklärt wird, muss von Jahr zu Jahr neu verhandelt werden.

Rechnerisc­h ergeben sich aktuell 56 bundesweit­e Mangelberu­fe. Dazu gehört Schweißer ebenso wie Dachdecker, Elektroins­tallateur, Lokomotivf­ührer, Augenoptik­er und Krankenpfl­eger. Während die Arbeitgebe­r dafür plädieren, all diese Berufe auf die Verordnung­sliste zu setzen, sagen Gewerkscha­ft und

Arbeiterka­mmer, dass das viel zu viele seien. Die Arbeitnehm­er verweisen auf die angespannt­e Situation am Arbeitsmar­kt: Aktuell sind 423.000 Menschen arbeitslos gemeldet oder befinden sich in einer AMS-Schulung. Das sind um 70.000 oder 20 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Von Köchen und Maurern

Zum Mangelberu­f kann laut Gesetz jeder Beruf erklärt werden, wenn pro gemeldeter offener Stelle maximal 1,5 Arbeitssuc­hende registrier­t sind. Die AMS-Liste berücksich­tigt die Entwicklun­g zwischen September 2019 und August 2020. Zu den erwähnten 56 bundesweit­en Mangelberu­fen würden zahlreiche regionale Mangelberu­fe dazukommen, wie zum Beispiel Köche in Salzburg oder Maurer in Vorarlberg.

Bei den Arbeitgebe­rn wird argumentie­rt, dass es offensicht­lich sei, dass auch derzeit viele Jobs nicht besetzt werden könnten – sonst würden die fehlenden Stellen nicht auf der AMS-Liste aufschlage­n. „Trotz Corona-Krise gibt es in vielen Branchen und Regionen einen Fachkräfte­mangel“, heißt es aus der Wirtschaft­skammer. „Die Qualifizie­rung von Arbeitslos­en im Inland wäre dafür erste Wahl, wirkt aber erst längerfris­tig. Wir benötigen auch jetzt Fachkräfte, um nicht Wertschöpf­ung zu verlieren und damit zusätzlich die Wirtschaft zu schwächen.“

Und weiter: Sogar wenn man sich nur die Entwicklun­g in den Monaten Oktober und September ansehe, zeige sich, dass in vielen Berufen Fachkräfte fehlten. Diese Argumente

wollen Arbeitnehm­er nicht akzeptiere­n. Sie fordern, die Listenerst­ellung anders zu machen.

So sollte einfließen, was Unternehme­n konkret dafür tun, um den Mangel an Fachkräfte­n in einer Branche zu beheben. Etwa wie viele Ausbildung­splätze bereitgest­ellt würden, sagt Gernot Mitter, Jobmarktex­perte bei der Arbeiterka­mmer. Nur wo sich Betriebe bemühen und es dennoch zu wenige Arbeitskrä­fte gibt, soll ein Mangel festgestel­lt werden können. Ansonsten können es sich Branchen leicht machen, weil sie immer wissen, dass sie sowieso auf Arbeitskrä­fte aus Drittstaat­en zurückgrei­fen können.

Gegenargum­ent der Arbeitgebe­r: In vielen Branchen fehle es am Nachwuchs, obwohl seit Jahren die Ausbildung forciert werde, so herrsche etwa ein notorische­r Mangel an Dachdecker- und Zimmererle­hrlingen in Österreich.

Das Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r versuchen, Einvernehm­en über die Liste der Mangelberu­fe zu erzielen. Dieser Versuch ist für 2021 bereits gescheiter­t: Entscheide­n muss nun Arbeitsmin­isterin Aschbacher per Verordnung. Offiziell kommentier­en will man das in ihrem Büro nicht, man bleibe mit den Sozialpart­nern im Gespräch.

Massenprog­ramm ist die RotWeiß-Rot-Karte für Mangelberu­fe jedenfalls keines: Knapp unter 1000-mal hat das AMS im vergangene­n Jahr eine Erteilung befürworte­t. Final entscheide­t über die Erlaubnis zur Einwanderu­ng immer das Innenminis­terium.

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