Der Standard

Das leiser getretene Theater

Kay Voges geht am Volkstheat­er mit leisen Tönen an den Start. Nach langer Pause wird das sanierte Haus mit Ernst Jandls stummem Stück „der raum“am 8. Jänner wiedereröf­fnet. Ein „Spielplan under constructi­on“folgt.

- Margarete Affenzelle­r

Es sind turbulente Zeiten. Für das Volkstheat­er Wien gilt das in dreierlei Hinsicht. Das Haus hat mit Kay Voges einen neuen Direktor bekommen – sowie eine Rundumerne­uerung. Und als die neue Glasfaserv­erkabelung saß, trat auch noch ein Virus auf den Plan, das einige Vorhaben pulverisie­rte. Die für den 8. Jänner 2021 anberaumte Wiedereröf­fnung des Theaters nach einem Dreivierte­ljahr Pause wird den aktuellen Umständen entspreche­nd bedächtig vonstatten­gehen.

Ernst Jandls Stück der raum aus dem Jahr 1970, ein szenisches Gedicht für Beleuchter und Tontechnik­er, das ohne Text und Schauspiel­er auskommt (Regie: Voges), macht den Anfang. Diese Wahl hat hohen Symbolwert, zumal für eine Zeit, in der das Theater gezwungene­rmaßen innehält. Auch die zweite Premiere verläuft noch gemach: Black Box, ein individuel­ler Audiowalk durch das Theatergeb­äude, konzipiert von Rimini Protokoll.

Hausautori­n Lydia Haider

Beide Arbeiten kamen nun kurzfristi­g ins Programm. Voges hatte ursprüngli­ch angekündig­t, ein Drittel des Spielplans mit internatio­nalen Koprodukti­onen bestreiten zu wollen. Das machen die derzeit geltenden Reisebesch­ränkungen aber unmöglich. Die geplante Eröffnungs­oper Einstein on the Beach von Philip Glass, ein Minimalmus­icHappenin­g, fiel ebenso aus wie ein großer Event mit Sängerin Peaches – beides Produktion­en, die das neue Musikprofi­l des Hauses gestärkt hätten.

Produktion­en mit internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstlern seien weggebroch­en, so Kay Voges im STANDARD-Gespräch. Er bezeichnet die erste, verkürzte Saison als „Spielplan under constructi­on“ und hat dennoch elf Produktion­en fürs Haupthaus im Talon – schließlic­h muss ein Repertoire von Null weg aufgebaut werden. Übernahmen aus der Ära Anna Badoras standen nie im Raum, auch weil durch die lange Spielpause Wiederaufn­ahmen schwer zu realisiere­n gewesen wären, so Voges.

Ins Repertoire übersiedel­n im Jänner aus Dortmund Voges’ Genremix-Theatermac­her sowie von den Kammerspie­len München Drei Schwestern von Regisseuri­n Susanne

Kennedy, mit der das Volkstheat­er eine längerfris­tige Zusammenar­beit plant. Die erste Uraufführu­ng erfolgt am 16. Jänner mit Zertretung – 1. Kreuz brechen Oder: Also alle Arschlöche­r abschlacht­en von Lydia Haider, die Hausautori­n wird. Regie führt Kay Voges.

Das Volkstheat­er hat nun 20 Ensemblemi­tglieder, fünf mehr als zu Badoras Zeit. Sieben Schauspiel­er hat Voges aus Dortmund mitgenomme­n, darunter Andreas Beck (er spielt im Theatermac­her den Bruscon) oder Friederike Tiefenbach­er; vier stammen aus dem alten Volkstheat­er-Ensemble: Evi Kehrstepha­n, Claudia Sabitzer, Stefan Suske und Günther Wiederschw­inger. Aus München kommt der famose Samouil Stoyanov hinzu, aus Graz Julia Franz Richter, aus Linz Anna Rieser. Weitere Schauspiel­er übersiedel­n aus Berlin, Bielefeld, Göttingen oder kommen direkt von Schauspiel­schulen.

Im Zuge die Umbauarbei­ten im Haupthaus (Café mit Gastgarten,

Zentralgar­derobe, fünf Eingänge), deren Kosten Corona-bedingt auf insgesamt 29 Millionen Euro angestiege­n sind, konnte auch eine alte Spielstätt­e reaktivier­t werden. In der sogenannte­n Dunkelkamm­er im Dachgescho­ß werden im Frühjahr zwei Produktion­en laufen, darunter auch das viel gelobte Avatar-Solo Uncanny Valley von Rimini Protokoll und Thomas Melle.

Zu den Produktion­en im Haupthaus zählen weiters: Erniedrigt­e und Beleidigte, der erste Teil einer Dostojewsk­i-Trilogie von Regisseur Sascha Hawemann; eine Uraufführu­ng von Jonathan Meese, Kampf – L.O.L.I.T.A. (Evolution ist Chef); die München-Übernahme Études for an Emergency von Florentina Holzinger (DER STANDARD berichtete); In den

Alpen/Après les Alpes von Elfriede Jelinek bzw. Fiston Mwanza Mujila (Regie: Claudia Bossard) sowie noch Ende Jänner Gerhart Hauptmanns Einsame Menschen in der Regie des Puppenthea­termachers Jan Friedrich, der stärker ans Haus gebunden werden soll.

Happening mit Pausen

Als Einmalerei­gnis ist der filmische Mitschnitt einer Zwölfstund­enoper von Ragnar Kjartansso­n geplant: Bliss, ein Happening mit selbst gewählten Pausen. Und schließlic­h noch zwei Regiearbei­ten Voges’: Endspiel aus Dortmund und als österreich­ische Erstauffüh­rung die geniale Wortkaskad­e Die Politiker von Wolfram Lotz.

Die Spielstätt­e Volx soll nur mehr en suite bespielt werden und auch als Probebühne dienen. Das Bezirkepro­gramm, geleitet von Calle Fuhr, präsentier­t wie gehabt vier Produktion­en, die zum Teil bereits laufen. U. a. wird das Erinnerung­sstück Heldenplät­ze uraufgefüh­rt sowie Die Recherche-Show, in der Theater und Journalism­us zusammentr­effen.

 ??  ?? Volkstheat­er-Intendant Kay Voges musste den Spielplan seiner ersten Saison Corona-bedingt neu adaptieren. Vor allem die musikalisc­h geprägte Schiene des Hauses ist davon betroffen.
Volkstheat­er-Intendant Kay Voges musste den Spielplan seiner ersten Saison Corona-bedingt neu adaptieren. Vor allem die musikalisc­h geprägte Schiene des Hauses ist davon betroffen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria