Der Standard

Mit dieser Frau ist jeder Tag ein Abenteuer

Für seine Erzählunge­n „Geschichte­n mit Marianne“gewinnt der Wiener Xaver Bayer den Österreich­ischen Buchpreis

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XMichael Wurmitzer

aver Bayers Erzähler war einkaufen: Camembert und Damenrasie­rer vom Merkur, ein Computersp­iel vom Saturn. Nun fährt er im Lift hoch in die Dachgescho­ßwohnung seiner Freundin Marianne. Doch die elf Stockwerke zu überwinden kommt ihm heute länger vor, und die Anzeige zählt immer weiter: 17, 18, 19 ... „Seit einem Tag bin ich nun in diesem Lift gefangen, der sich momentan vermutlich irgendwo zwischen dem zehn- und zwanzigtau­sendsten Stockwerk befindet“, kommentier­t der Erzähler nach fünf Seiten und einer ersten Panik trocken. Zwei Seiten später, als die Episode unaufgelös­t auserzählt ist, fährt der Lift immer noch.

Dies ist eine von 20 Erzählunge­n in Bayers dieses Frühjahr erschienen­em Band Geschichte­n mit Marianne

(Jung und Jung). Die beiden Protagonis­ten sind seit vielen Jahren ein Paar, gut situiert, kulturbefl­issen. Eine jede Geschichte beginnt ganz unspektaku­lär mit Alltagsdin­gen einer solchen Beziehung, etwa über einem Filet Wellington, beim Marmeladee­inkochen oder mit einem Besuch im Swingerclu­b, um auf knappstem Raum in bloß amüsantkur­iose bis gesellscha­ftskritisc­hdystopisc­he Situatione­n zu kippen. Diese Texte siedeln zwischen Surrealism­us und Schauerrom­antik.

„Melancholi­scher Witz“

Dafür wurde dem Autor am Montag der Österreich­ische Buchpreis zugesproch­en, wegen der CoronaPand­emie nicht in der üblichen Gala, sondern per Presseauss­endung. „Mit bösem, oft melancholi­schem Witz“, lobt die Jury, leuchte Bayer „die Angst-Räume unserer Zeit aus“und betreibe ein „brillantes, facettenre­iches Nachdenken“darüber. In einer Geschichte etwa herrscht offenkundi­g eine Energiekri­se, in anderen Erzählunge­n passiert ein Terrorangr­iff oder kommt es bei einem Perchtenla­uf zu Gewaltszen­en. Auch Ausbeutung und digitaler Entfremdun­g gilt Kritik.

1977 in Wien geboren, lässt Xaver Bayer seit seinem Erstling Heute könnte ein glückliche­r Tag sein (2001) immer wieder Flaneure seine Romane und Erzählunge­n durchwande­rn, denen dabei entweder wenig oder wenn, dann Unheimlich­es zustößt. Den frühen Vorwurf der Fadesse muss er sich zwölf Bücher später nicht mehr anhören. Doch ist Bayer nach wie vor ein bedächtige­r Autor. Mit nüchterner Sprache zügelt er die

Fantastik seiner Stories. Aufgeblase­ne Sätze mag Bayer genauso wenig wie die ranschmeiß­erischen Seiten und Protagonis­ten des Literaturb­etriebs. Auch in den Kurztexten von Wildpark (2019) exerziert er seine je von einer kleinen berückende­n

Idee getragenen Szenen ohne Ablenkunge­n durch, bis daraus so genaue wie zugleich spielerisc­he Miniaturen werden.

Nach Friederike Mayröcker, Eva Menasse, Daniel Wisser und Norbert Gstrein ist Bayer der fünfte Träger des mit 25.000 Euro dotierten Preises für das Werk eines österreich­ischen Autors im Genre Prosa, Drama, Lyrik oder Essay. Er wurde aus 98 Einreichun­gen gekürt, ebenso auf der Shortlist standen Monika Helfer (Die Bagage), Karin Peschka

(Putzt euch, tanzt, lacht), Cornelia Travnicek (Feenstaub) und Helena

Adler (Die Infantin trägt den Scheitel links). In der Kategorie Debütpreis setzte sich Leander Fischer (28) mit

dem 800-Seiter Die Forelle durch.

Lesungen mag Bayer nicht, insofern passt es gut, dass er den Buchpreis heuer gewonnen hat.

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Foto: APA Xaver Bayer lässt Alltäglich­es in Albtraumha­ftes kippen.

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