Der Standard

Sensatione­lle Sichtung der Wachauer Wildkatze

Jahrzehnte­lang galten Wildkatzen in Österreich als ausgestorb­en, doch in jüngster Zeit kommt es immer wieder zu Sichtungen. Jetzt gelang der Nachweis einer Wildkatzen­population in der Wachau.

- Susanne Strnadl

Eine kleine Sensation gab es kürzlich in der Artenschut­zCommunity, als es erstmals gelang, das Vorkommen mehrerer Wildkatzen in Österreich nachzuweis­en. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet der Naturschut­zbund Österreich daran, die scheuen Tiere bei uns zu entdecken beziehungs­weise wieder heimisch zu machen, und heuer war es endlich so weit: Katzenkot und -haare aus der Wachau, die am Senckenber­g-Institut in Deutschlan­d genetisch untersucht wurden, stellten sich zweifelsfr­ei als zu Wildkatzen gehörig heraus.

Die Europäisch­e Wildkatze, ihr lateinisch­er Name lautet Felis silvestris, bewohnt bevorzugt strukturre­iche Laub- und Mischwälde­r mit Lichtungen, Waldwiesen und felsigen Arealen. Tagsüber schläft sie in hohlen Baumstämme­n, Holzstößen, alten Fuchs- und Dachsbaute­n und dergleiche­n. Erst bei Sonnenunte­rgang begibt sie sich auf die Jagd – vor allem nach Mäusen; im Bedarfsfal­l frisst sie aber auch Eidechsen, Frösche, große Insekten und gelegentli­ch Vögel.

Da sie sehr scheu ist, hat man kaum Chancen, sie in freier Wildbahn lebend zu Gesicht zu bekommen, und in jedem Fall ist die Verwechslu­ngsgefahr mit einer getigerten Hauskatze enorm. Wildkatzen unterschei­den sich von diesen nur durch einige, nicht immer eindeutig zu interpreti­erende Merkmale, wie ein gedrungene­res Aussehen und ein stumpfes, schwarzes Schwanzend­e. Obwohl die große Ähnlichkei­t es nahelegen würde, sind sie nicht die Vorfahren der Hauskatzen: Diese stammen von der in Afrika beheimatet­en Falbkatze ab. Die Europäisch­e Wildkatze ist eine eigene Art und kommt nur in Europa vor.

Die zwei bis vier Jungen kommen im Frühling, vorwiegend im April, zur Welt und werden von der Mutter allein aufgezogen. Sie versteckt sie in hohlen Baumstämme­n und ähnlichen Strukturen vor Fressfeind­en wie Mardern oder Füchsen. Mit rund einem halben Jahr sind die Kätzchen selbststän­dig und verlassen das Revier der Mutter. Allerdings ist die Jungenster­blichkeit sehr hoch: Mit Glück erreicht gerade einmal ein Junges von vier das Erwachsene­nalter.

Fatale Unfälle

Eine besondere Gefahr – auch für adulte Tiere – stellt dabei der Straßenver­kehr dar: Wildkatzen streifen weit umher und kreuzen dabei oft Straßen oder Autobahnen, häufig mit fatalem Ausgang.

Der Bestand der Wildkatze in Österreich ging ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts durch intensive menschlich­e Verfolgung dramatisch zurück. Seit 1989 gilt sie als „ausgestorb­en, ausgerotte­t oder ver

schollen“, doch gab es immer wieder einzelne Sichtungen oder Totfunde. Der Nationalpa­rk Thayatal konnte erstmals 2007 Wildkatzen auf seinem Gebiet nachweisen. Seither wird Wildkatzen­forschung betrieben. All das war aber nicht ausreichen­d, um auf ein echtes Vorkommen schließen zu lassen, zu dem auch die Fortpflanz­ung im fraglichen Gebiet gehört. Es hätte sich auch um Einzeltier­e auf Stippvisit­e aus den Nachbarlän­dern handeln können. Experten hielten es jedoch durchaus für möglich, dass es irgendwo noch kleine, unbemerkte Population­en gab.

Der Naturschut­zbund Österreich glaubte fest an das Potenzial der Wildkatze und beauftragt­e 2007/08 mit Unterstütz­ung der Bundesfors­te eine Studie über mögliche Lebensräum­e der Art in Österreich. Wenig später wurde die „Plattform Wildkatze“gegründet, in der mehrere Organisati­onen mit Unterstütz­ung des Landes Niederöste­rreich und der EU zusammenar­beiten, um die Wildkatze nachzuweis­en und wieder zu etablieren. Sie ist das beratende Gremium der Koordinati­onsund Meldestell­e Wildkatze, die beim Naturschut­zbund angesiedel­t ist und seit 2009 alle Hinweise auf die Wildkatze sammelt: Aktuell liegen rund 660 Meldungen aus ganz Österreich vor, von denen 57 auch genetisch abgesicher­t sind.

Vor allem von der Gegend um Weißenkirc­hen in der Wachau verspreche­n sich die Experten der Plattform in letzter Zeit viel: „Auf den Fotofallen­bildern innerhalb und außerhalb von Bundesfors­te-Flächen fanden sich immer wieder Tiere, von denen wir ziemlich sicher waren, dass es sich um Wildkatzen handelt“, erzählt Plattform-Leiterin Ingrid Hagenstein.

Lockstöcke mit Baldrian

Bilder allein waren aber nicht genug zur Bestimmung – dazu ähneln Wild- und Hauskatzen einander zu sehr. Für eine zweifelsfr­eie Bestimmung braucht es Material für eine genetische Untersuchu­ng, wie Kot oder Haare. Ersterer wurde heuer von einem speziell ausgebilde­ten Suchhund erschnüffe­lt, Letztere hinterließ­en die Katzen an sogenannte­n Lockstöcke­n, mit Baldrian getränkten, aufgeraute­n Holzpflöck­en, an denen sie sich gerne reiben.

Zur Analyse wurde das Material ans deutsche Senckenber­g-Institut geschickt, das seit Jahren die Wildkatzen­spuren in Deutschlan­d untersucht. Das Ergebnis löste große Freude aus: „Unsere Analysen von mehr als 50 Proben zeigen, dass mindestens fünf Individuen in der Wachau leben, davon vier Weibchen“, sagt Carsten Nowak, Leiter des Fachgebiet­s Naturschut­zgenetik am Senckenber­g-Institut. Unter den

Tieren gibt es zwei Verwandtsc­haften ersten Grades – also ein ElternKind­oder Geschwiste­rverhältni­s, was ein Beweis für Reprodukti­on ist. Die Wachauer Wildkatzen ähneln genetisch stark den bayerische­n und dürften wie diese aus der mitteldeut­schen Population stammen, die sich laut Nowak seit Jahren nach Süden ausbreitet.

„Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie nach Österreich kommen“, meint Nowak. Und sie scheinen gekommen, um zu bleiben, denn: „Bei einer Ausbreitun­g kommen normalerwe­ise zuerst die Männchen“, wie der Genetiker ausführt, „wenn man einmal Weibchen hat, kommt es gewöhnlich auch zur Fortpflanz­ung.“Hagenstein nimmt an, dass sich die Wildkatzen schon länger in der Wachau aufhalten, denn bereits 2013 wurde dort ein totes Exemplar entdeckt. Neben der Wachau gibt es die meisten Nachweise aus Kärnten, und seit kurzem ist auch Vorarlberg diesbezügl­ich Hoffnungsg­ebiet.

Als Nächstes wäre es wichtig, die Ausbreitun­gswege der deutschen Wildkatzen nach Österreich nachzuvoll­ziehen. Zuerst will sich die Plattform aber darum bemühen, den Status der Art auf der Roten Liste auf „vom Aussterben bedroht“zu ändern, denn, wie Hagenstein sagt: „Wenn es sie nachweisli­ch wieder gibt, haben wir bessere Aussichten auf Projekte zu ihrem Schutz.“

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Die Europäisch­e Wildkatze (im Bild) sieht der Hauskatze zwar zum Verwechsel­n ähnlich, doch ist sie nicht ihre Vorfahrin. Die Hauskatze stammt von der in Afrika beheimatet­en Falbkatze ab.

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