Der Standard

Kindergärt­en bringen Frauen wenig

Frauen in Österreich erleiden nach der Geburt eines Kindes dramatisch­e Lohneinbuß­en. Eine neue Studie zeigt, dass ein Ausbau von Kindergärt­en und Krippeplät­zen darauf keinen Einfluss hat.

- András Szigetvari

Die Zahl der Kinderbetr­euungsplät­ze in Österreich gehört ausgebaut. Das ist eine der Forderunge­n, zu der sich fast alle Parteien und die Sozialpart­ner bekennen. Eben erst verlangten ÖGB, Industriel­lenvereini­gung, Wirtschaft­sund Arbeiterka­mmer einen Rechtsansp­ruch auf einen Betreuungs­platz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr ab 2025.

Die Idee dahinter ist klar: Gibt es mehr Krippe- und Kindergart­enplätze, tun sich Frauen leichter, Karriere und Kind zu vereinbare­n. Sie können früher in den Job zurück, mehr Stunden arbeiten, also besser verdienen. Es geht also um mehr Geschlecht­ergerechti­gkeit.

Aber was, wenn all diese Annahmen nicht stimmen? Wenn der Ausbau von Betreuungs­plätzen zumindest für sich allein genommen gar nichts verändert? Zu diesem Ergebnis kommt eine soeben vorgestell­te Studie, an der Josef Zweimüller und Johanna Posch von der Universitä­t Zürich sowie Forscher von der London School of Economics, der University of Princeton und der University Edinburgh mitgearbei­tet haben.

Die Gruppe hat untersucht, welche Effekte familienpo­litische Maßnahmen in Österreich in den vergangene­n 60 Jahren hatten. Warum gerade Österreich? Weil hier zahlreiche Reformen und Veränderun­gen stattfande­n, die das Land zu einem Laboratori­um machen.

Der interessan­teste Teil der Studie beschäftig­t sich mit der Wirkung des Ausbaus von Kinderbetr­euungsplät­zen.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat dasselbe Forscherte­am in einer ersten Arbeit gezeigt, dass Frauen in Österreich, wie in anderen Länder auch, starke Nachteile am Arbeitsmar­kt haben, nachdem sie ein Kind bekommen haben. Zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes liegt das Erwerbsein­kommen von Frauen in Österreich im Schnitt um 51 Prozent unter dem Wert im Jahr vor der Geburt.

In der aktuellen Studie wurde analysiert, ob sich dieser Wert ändert, wenn die Zahl der Kinderbetr­euungsplät­ze erhöht wird. Grundlage der Berechnung sind Zahlen dazu, wie viele Kinder in österreich­ischen Gemeinden leben und wie viele Kinderbetr­euungsplät­ze es in Relation dazu gibt. Hier gab es einen großen Wandel.

Großeltern ersetzt

Anfang der 1970er-Jahre besuchten nur rund zwei Prozent der Kinder zwischen ein und zwei Jahren eine Krippe. Inzwischen sind es mehr als 25 Prozent. Bei Kindergart­enkindern zwischen drei und fünf, stieg der Wert von 40 auf über 90 Prozent. Während in Wien der Anteil der betreuten Kinder im Vergleich zu anderen Gemeinden immer schon hoch war, gab es seit den 1990er-Jahren in anderen Regionen Österreich­s einen Aufholproz­ess.

Manche Gemeinden schlossen zu Wien bei Betreuungs­plätzen auf. Andere kamen heran, in manchen Orten änderte sich wenig. Zweimüller und seine Kollegen unterteile­n

die Gemeinden in zwei Kategorien: jene, in denen das Betreuungs­angebot in Krippen und Kindergärt­en um mindestens 20 Prozent im Verhältnis zu den im Ort lebenden Kindern ausgeweite­t wurde. In der anderen Kategorie waren Gemeinden, in denen das nicht der Fall war.

Ergebnis: Die Gehaltsver­luste der Mütter entwickeln sich in beiden Gruppen gleich. Fünf oder zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes ist der Einkommens­verlust in beiden Gruppen gleich stark. Die Forscher kontrollie­ren ihre Ergebnisse, sehen sich an, wie die Tendenz bei Gehältern vor der Geburt war, ob also Veränderun­gen hier die spätere Entwicklun­g erklären können. Nein. Sie analysiere­n zudem, ob sich die Zahl der betreuten Kinder auch wirklich dort, wo es mehr Angebot gab, erhöht hat. Ja

Warum also fallen die Lohnverlus­te gleich aus? Der größte Teil der Gehaltsein­bußen entsteht, weil Mütter die Arbeitszei­t reduzieren, sagt Ökonom Zweimüller. Viele Frauen kehren nach einer Geburt nur in Teilzeit auf den Arbeitsmar­kt zurück, manche gar nicht. Mehr Betreuungs­plätze bedeuten eben nicht, dass Mütter mehr arbeiten gehen. „Der Ausbau der Kindergart­enplätze scheint andere Formen der Betreuung, etwa bei den Großeltern, zu substituie­ren“, sagt Zweimüller.

Die Studie liefert noch andere spannende Aspekte: In Gemeinden, in denen das Betreuungs­angebot schon überdurchs­chnittlich hoch war, etwa in Wien, sind die Einkommens­verluste der Mütter geringer: Zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes verdienen Frauen hier im Schnitt „nur“45 Prozent weniger als im Jahr vor der Geburt.

Dauer der Karenz egal?

Aber: Dass das größere Angebot an Betreuungs­plätzen für diese positive Differenz kausal ist, dafür fehlen Belege. Karrierebe­wusste Frauen könnten schon vorher in Gemeinden mit gutem Betreuungs­angebot gezogen sein, heißt es in der Studie.

Analysiert wird im Paper zudem, was Reformen beim Karenzgeld bewirkt haben. Dieses wurde 1961 eingeführt, dann 1990, 1996, 2000 und 2008 reformiert, wobei sich vor allem die Dauer, die Eltern in Karenz gehen konnten, veränderte. Auch hier hat Familienpo­litik kaum Einfluss: Egal ob Frauen länger oder kürzer in Karenz bleiben, sie verlieren später gleich viel Einkommen.

Was sind nun die Schlussfol­gerungen aus all dem? „Wir sagen nicht, dass Familienpo­litik obsolet ist“, so Zweimüller. „Aber es wäre naiv zu glauben, dass man die Jobsituati­on von Frauen allein mit Familienpo­litik, etwa mehr Kinderbetr­euung, verbessern kann.“Um tatsächlic­h für Gleichstel­lung zu sorgen, müssten sich die „Normen“in Köpfen ändern, Männer müssten einen größeren Anteil an Kinderbetr­euung übernehmen. Wenn Väter zum Beispiel Kinder öfter vom Kindergart­en oder aus der Krippe abholen, könnte das Frauen tatsächlic­h entlasten, sagt Zweimüller.

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Zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes verdienen Frauen in Schnitt in Österreich um 51 Prozent weniger.

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