Enorme Verluste durch kompletten Schul-Lockdown
IHS: Ein Monat Distance-Learning würde Schüler später zwei Milliarden Euro kosten
Wien – Die mögliche Schließung aller Schulen sorgt für viel Aufregung unter Eltern, Lehrkräften, aber auch zwischen Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Auf die Forderung von zwei Physikern, einem Mathematiker und einem Informatiker nach sofortiger Totalsperre am Montag folgte am Dienstag eine breite Front dagegen: Katholischer Familienverband, Kinderfreunde, aber auch Corona-Spezialisten und Kinderärzte plädieren dafür, die Schulen so lange wie nur möglich offen zu halten.
Schulschließungen verursachen aber auch hohe Kosten. Laut einer Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) bedeutet ein Schullockdown für alle davon betroffenen Schülerinnen und Schüler für ihr späteres Leben einen durchschnittlichen jährlichen Erwerbseinkommensverlust von 100 bis 200 Euro pro Lockdownmonat. Daraus ergebe sich je nach konkreten Annahmen „ein Verlust von über zwei Milliarden Euro – 0,5 Prozent des BIPs – oder mehr pro Schullockdownmonat“.
Die Produktivitätsverluste durch Betreuungspflichten berufstätiger Eltern summieren sich auf eine weitere Milliarde Euro pro Monat. Darum sollten laut IHS Schulschließungen die „Ultima Ratio in der Pandemiebekämpfung sein“.
Nachdem die Pharmaunternehmen Pfizer und Biontech am Montag verkündet haben, dass ihr Covid19-Impfstoffkandidat zu über 90 Prozent wirksam ist, gibt es aber ein Licht am Ende des Corona-Tunnels. Am Dienstag konnte sich die EUKommission per Vertrag 200 Millionen Dosen des Impfstoffs sichern. Alle 27 Mitgliedsstaaten sollen gleichzeitig Zugriff auf die ersten Lieferungen haben. Sie sollen nach der Bevölkerungsgröße verteilt werden.
Noch keine Impfstrategie
Gesundheitsminister Rudolf Anschobers (Grüne) Ziel ist es, eine Impfquote von 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung zu erreichen. Da klar ist, dass am Anfang nicht genug für alle da sein wird, braucht es eine Strategie, wer zuerst geimpft werden soll. Diese arbeite man aktuell unter Hochdruck aus, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Begonnen werden soll mit den Impfungen jedenfalls dort, „wo das größte persönliche und systemische Risiko besteht“. Laut einer aktuellen Umfrage wollen sich 54 Prozent der Österreicher gegen Covid-19 impfen lassen. (red)
Am Montag meldeten die Pharmafirmen Biontech und Pfizer einen wichtigen Durchbruch bei ihrem Impfstoff BNT162b2. Nach bisherigen Auswertungen der Phase-drei-Studie sei das Vakzin zu mehr als 90 Prozent wirksam, was von unabhängigen Experten übereinstimmend als großer Erfolg beurteilt wird. Bei einigen Wissenschaftern und auch an der Börse hat die Nachricht sogar Euphorie ausgelöst. Doch bis der Impfstoff in ausreichendem Maß vorliegt und bei den Menschen ankommt, sind noch etliche Hürden zu nehmen. Ein Überblick, wie es nun weitergeht.
Frage: Welche Unklarheiten gibt es noch bei der Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech/Pfizer?
Antwort:
Das sind gar nicht so wenige. Unklar ist etwa die Altersstruktur jener Probanden, bei denen der Impfstoff Wirkung bzw. eben keine Wirkung zeigte. Diese Daten wären insbesondere wichtig, um zu wissen, ob damit auch die von Corona besonders betroffene Risikogruppe der älteren Menschen geschützt wird. Man weiß außerdem noch nicht, wie lange die Wirkung des Impfstoffs anhält und ob er auch vor einer Infektion oder nur vor einer Erkrankung schützt.
Frage: Wie ist der aktuelle Stand des Zulassungsverfahrens?
Antwort:
Die beiden Firmen wollen nächste Woche das Verfahren in den USA und vermutlich auch in Europa offiziell beantragen. Studiendaten werden bereits in Form eines „Rolling Review“laufend übermittelt. Bis nächste Woche sollen die Daten nicht mehr nur von 94, sondern von 164 Probanden vorliegen, die sich infizierten und bei denen zu klären ist, aus welcher Gruppe (echter Impfstoff oder Placebo) sie stammten. Außerdem muss man abwarten, bis die Hälfte der rund 20.000 Personen, die den echten Impfstoff erhielten, eine Nachbeobachtungszeit von zwei Monaten absolviert hat.
Frage: Wie lange kann das Zulassungsverfahren dauern?
Antwort:
Das hängt von den Studienergebnissen ab und davon, wie schnell die Zulassungsbehörden tatsächlich prüfen können. Klar ist, dass es sich um eine sogenannte Notfallzulassung handeln wird. Das kann auch sehr zeitnah geschehen. Der in den USA tätige Virologe Florian Krammer rechnet damit, dass zumindest in den USA ein oder mehrere Impfstoffe bis Ende des Jahres auf dem Markt sein werden.
Frage: Wird der konkrete Impfstoff von Biontech/Pfizer danach noch weiter überprüft? Antwort:
Ja, zumindest zwei Jahre lang, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Sicherheit wie auch hinsichtlich seiner Wirksamkeit, die mit der Zeit abnehmen könnte.
Frage: Wie viel von diesem Vakzin wird überhaupt zur Verfügung stehen? Antwort:
Laut den Angaben von Biontech und Pfizer werden das bis Ende 2020 50 Millionen Dosen sein, bis Ende 2021 dann 1,3 Milliarden, wobei pro Immunisierung zwei Dosen nötig sind, die im Abstand von drei Wochen injiziert werden.
Frage: Gibt es besondere logistische Herausforderungen bei der Verteilung dieses Impfstoffs?
Antwort:
Ja. Denn er muss bei minus 80 Grad Celsius gelagert werden, was insbesondere bei der Verteilung in ärmeren Ländern Probleme machen könnte. Die meisten Unikliniken und modernen Krankenhäuser verfügen aber über solche Kühlmöglichkeiten. Die gute Nachricht ist, dass zumindest für die letzten fünf Tage vor der Verimpfung eine Lagerung im normalen Kühlschrank ausreicht.
Frage: Was weiß man über die Kosten? Antwort:
Die USA haben 100 Millionen Dosen des Impfstoffs geordert und zahlten dafür 1,95 Milliarden Dollar – mit der Option auf weitere 500 Millionen Dosen. Da die Impfung aus zwei Teilen besteht, macht das umgerechnet rund 33 Euro pro Immunisierung. Es ist davon auszugehen, dass die Impfung in weniger reichen Ländern günstiger sein wird. Die EU wollte 300 Millionen Dosen ordern, ein Vertrag wurde heute abgeschlossen.
Frage: Wie steht es mit der Zulassung anderer Impfstoffe gegen Covid-19? Antwort:
Derzeit sind weltweit über 220 Impfstoffkandidaten in Entwicklung. Davon werden 68 bereits am Menschen getestet, elf davon sind in der letzten klinischen Prüfungsphase drei. Kurz vor Abschluss dieser Phase steht neben Pfizer/Biontech unter anderen der Impfstoff von Astrazeneca und jener des US-Unternehmens Moderna, dessen Vakzin so wie jenes von
Pfizer/Biontech ein sogenannter mRNA-Impfstoff ist. Ebenfalls sehr weit ist der Kandidat des chinesischen Pharmakonzerns Sinovac, dessen Studie in Brasilien nun aber wegen einer „schwerwiegenden Nebenwirkung“unterbrochen wurde.
Frage: Wie ist der Stand der Dinge beim russischen Impfstoff Sputnik-5?
Antwort:
Russland hat den Impfstoff schon im August offiziell registriert. Ab 1. Jänner 2021 soll er der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Russlands Präsident Putin nannte ihn „sicher und nebenwirkungsfrei“und behauptete am Montag, dass Sputnik-5 ebenfalls zu über 90 Prozent effektiv sei. Eine Phase-drei-Studie ist
Die USA haben 100 Millionen Impfstoffdosen geordert und zahlten dafür 1,95 Milliarden Dollar.
Minister Rudolf Anschober hofft auf erste Impfungen in Österreich im ersten Quartal 2021.
bisher aber noch nicht abgeschlossen. Sprich: Wie gut dieser Impfstoff tatsächlich schützt, ist derzeit unklar.
Frage: Hat Österreich bzw. die EU Verträge mit Biontech/Pfizer?
Antwort:
Ja, seit Dienstag: Die EU-Kommission hat ihren Vertrag zur Lieferung des Impfstoffs von Biontech/Pfizer fertig ausgehandelt. In einem Vorvertrag sicherte sich die EUKommission 200 Millionen Dosen, die nach Bevölkerungsgröße auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Verträge gibt es etwa auch mit Astrazeneca/Oxford. Für Österreich waren im Zuge dessen bisher sechs Millionen Impfdosen reserviert, die für drei Millionen Bürger reichen würden. Ziel sei es, über das EU-Beschaffungsprogramm ausreichend Impfdosen für alle Bürger zu erhalten, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
Frage: Gibt es einen ungefähren Zeitplan, bis wann erste Impfstoffe in Österreich zur Anwendung kommen werden?
Antwort:
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zeigt sich „optimistisch, dass wir tatsächlich eine gute Chance haben, dass im ersten Quartal 2021 die ersten Lieferungen von Impfdosen nach Österreich gelangen und damit schrittweise das Risiko von Covid-19 verringert wird“. Die unabhängige Impfstoffexpertin Christina Nicolodi hofft ebenfalls auf die ersten Impfungen Ende März.
Frage: Hat man in Österreich schon entschieden, wie die Corona-Impfstoffe verteilt werden sollen?
Antwort:
Nein, konkrete Festlegungen gibt es noch nicht. Laut Gesundheitsministerium arbeitet das nationale Impfgremium derzeit „intensiv an einer Impfstrategie“. Begonnen werden soll mit den Impfungen aber dort, „wo das größte persönliche und systemische Risiko besteht“.
Frage: Ist man in Österreich damit anderen Staaten hintennach? Antwort:
Ja. In Deutschland zum Beispiel hat die Ständige Impfkommission zusammen mit der Wissenschaftsakademie Leopoldina und der Ethikkommission bereits am Montag beschlossen, dass zuerst Pflegekräfte und Ärzte und dann Menschen aus Risikogruppen – Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen – immunisiert werden.
Frage: Ist dieser Rückstand Österreichs ein Problem?
Antwort:
Offenbar. Expertin Nicolodi kritisiert, dass eine solche Festlegung in Österreich bisher fehlt. Sie habe bereits vielfach an die Verantwortlichen appelliert, hier nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen. Nicolodi schlägt vor, den zu Beginn wohl nur in relativ geringen Mengen zur Verfügung stehenden Impfstoff in einem ersten Schritt Angehörigen systemrelevanter Berufe wie Ärzten und Pflegekräften, Angehörigen des Sicherheitsapparats und des Bildungssystems zu geben. Danach stünden die von Corona besonders gefährdeten älteren Jahrgänge „oder aber die wirtschaftlich aktiven Menschen zwischen 18 und 65 Jahren“zur Wahl.
Frage: Wird in Österreich eine Corona-Impfpflicht kommen?
Antwort:
Nein. Gesundheitsminister Anschober hat mehrmals klar ausgeschlossen, dass eine solche eingeführt wird. Er strebt aber an, dass sich 50 Prozent der Österreicher impfen lassen. Laut einer ganz neuen Umfrage wären immerhin 54 Prozent dazu bereit.