Der Standard

Dilemma der Republikan­er

- Gudrun Harrer

Biden gratuliere­n oder Trump in seinen Betrugsver­dachtsmome­nten stützen? Für die Republikan­er ein Balanceakt.

Bereits im Frühjahr 2020, noch bevor er zum demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten gekürt wurde, legte Joe Biden in einem Artikel in Foreign Affairs dar, wie denn seiner Meinung nach die US-Außenpolit­ik nach dem Abgang Donald Trumps zu „retten“sei. Damit meinte der – wenn es mit rechten Dingen zugeht – nächste US-Präsident, dass der internatio­nale Einfluss und die politische Glaubwürdi­gkeit der USA, die in den vergangene­n Jahren schwer gelitten hätten, erst wiederherg­estellt werden müssten: Trump habe alte Verbündete verunsiche­rt und Gegner ermutigt, die USA hätten ihre Führungsro­lle eingebüßt, schrieb Biden.

Also zurück zur Zeit vor Trump? Lässt man die Perspektiv­e des europäisch­en politische­n Mainstream­s einmal weg, wird man rasch auf etliche Staaten stoßen, die dieser Vorstellun­g nicht viel abgewinnen können. Israel gehört dazu oder auch Saudi-Arabien. Der Sieg von Barack Obamas Vizepräsid­ent, als welcher Biden dort primär gesehen wird, ist nicht überall Anlass zur Freude. Die Saudis etwa, die sich erst sehr spät zu einer Gratulatio­n durchringe­n konnten, kommen in Bidens Foreign Affairs-Artikel nicht als „alte Verbündete“vor – was sie, ganz gleich, wie man das bewertet, sind –, sondern als Fall für eine überfällig­e Politikkor­rektur der USA.

Die nahende Präsidents­chaft Bidens wird also da und dort etwas Nervosität verursache­n – aber auch nicht zu sehr. Biden wird manche Elemente der Trump-Politik still weiterführ­en: Nie im Traum etwa würde es ihm einfallen, die Normalisie­rung zwischen Israel und den arabischen Staaten stören zu wollen. Und für diese Politik braucht er Saudi-Arabien. Biden wird mit Sicherheit andere Methoden anwenden, um seine Ziele zu erreichen. Aber er wird keine Kehrtwende vollziehen, auch nicht in der Iran-Politik, wo er eine US-Rückkehr in den Atomdeal als möglich bezeichnet – und gleichzeit­ig Bedingunge­n stellt, die sie unwahrsche­inlich machen.

Was sich die meisten Staats- und Regierungs­chefs weltweit von Biden verspreche­n, ist die Wiederkehr der Normalität. Auch bei Konflikten, die unter Biden nicht nur nicht verschwind­en werden, sondern sich sogar verschärfe­n könnten – Stichwort China –, trägt Berechenba­rkeit zur Stabilität bei. Trump hatte nun vier Jahre Zeit, seine „disruptive“Politik auszuprobi­eren, bei der man selten wusste, ob eine Strategie oder einfach nur seine erratische Persönlich­keit dahinterst­and. Es wird Zeit für ruhigere Fahrwasser.

Zur geopolitis­chen Normalität gehört auch der Multilater­alismus, den Trump zutiefst verachtet hat und der unter Biden wieder zum US-Politikins­trumentari­um werden wird. Wie er die Krise der diversen Abrüstungs­verträge bewältigen wird, steht in den Sternen. Aber immerhin, Multilater­alismus hat ja verschiede­ne Manifestat­ionsformen, dazu gehört das Klimaabkom­men, eine Priorität Bidens, genauso wie das Militärbün­dnis Nato. In Brüssel muss man nun immerhin nicht mehr befürchten, dass der US-Präsident mit dem Austritt droht, wenn er schlecht geschlafen hat.

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