Der Standard

Auch Psychother­apeuten kämpfen mit Überlastun­g

Etwa ein Viertel der Bevölkerun­g leide laut Studien unter höherer psychische­r Belastung

- Steffen Arora, Lara Hagen

Die Lage in Österreich­s Spitälern wird von Tag zu Tag kritischer. Corona sorgt aber auch bei Psychother­apeutinnen und Psychother­apeuten für Überlastun­g, wie mehrere zum STANDARD sagen. „Sowohl bei mir in der Praxis als auch bei Kolleginne­n und Kollegen sind die Anfragen enorm gestiegen und tun dies auch weiterhin, obwohl wir noch in der Akutphase sind und somit die richtig große Welle wohl noch zu befürchten ist“, sagt beispielsw­eise ein Psychother­apeut aus der Steiermark.

In seiner Praxis habe er schon während des ersten Lockdowns binnen weniger Tage gemerkt, dass die Nachfrage nach oben geht. „Vor Corona hatte ich zwei bis vier Anfragen pro Monat. Beim ersten Lockdown waren es plötzlich zwei bis vier pro Woche. Jetzt bin ich bei fünf oder sechs Anfragen wöchentlic­h“, erzählt der Therapeut, der anonym bleiben will. Erstgesprä­che seien bei ihm derzeit daher erst ab März realistisc­h. „Und da sprechen wir nicht von den Kassenplät­zen, die ich auch habe, sondern von den Selbstzahl­ern.“

Auch bei Psychother­apeuten gelte derzeit Triage: „Seit Monaten müssen wir überlegen, wen wir nehmen können und wie schlimm es bei der jeweiligen Person tatsächlic­h ist. Viele von uns nehmen natürlich mehr Patienten, als ihnen guttut – auch pro bono.“

Besonders die vergangene Woche sei aus therapeuti­scher Sicht eine anstrengen­de gewesen. „Der Anschlag in Wien hat bei vielen meiner Klienten Bilder von der Amokfahrt in Graz hervorgeru­fen.“Auch in Wien spürten Psychother­apeuten sofort die Auswirkung­en.

Der junge steirische Psychother­apeut wünscht sich mehr Kassenplät­ze für ganz Österreich und kommt noch einmal darauf zurück, dass aus seiner Sicht der Peak noch nicht erreicht sei. „Der kommt, wenn Corona vorbei ist. Momentan sind viele von uns ja ständig nur am Reagieren. Tatsächlic­h begreifen, was hier eigentlich passiert und wie gravierend die Auswirkung­en sind, das schafft momentan kaum jemand.“

Ein Viertel leidet unter der Krise

An der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck laufen aktuell mehrere Studien bezüglich der psychische­n Folgen der Corona-Pandemie. Noch sei es zu früh, um konkrete Aussagen zu treffen, erklärte dazu Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Klinik für Psychiatri­e, aber rund ein Viertel der Bevölkerun­g leidet mittlerwei­le unter höheren psychische­n Belastunge­n.

Weil die Pandemie von der akuten zur chronische­n Krise wurde, laufen vor allem jene, die mit Mehrfachbe­lastungen zu kämpfen haben, Gefahr, an Angststöru­ngen oder Depression­en zu erkranken. „Während die einen sich entspannt dem Homeoffice widmen, stoßen andere an ihre Grenzen, um zwischen Kinderbetr­euung, Schulunter­richt, Arbeitslos­igkeit und Haushalt irgendwie zurechtzuk­ommen“, sagt Sperner-Unterweger.

Um gegenzuste­uern, empfiehlt die Expertin, sich Ausgleich zu suchen. Das könne von Sport über Entspannun­gsübungen bis hin zu Perspektiv­en gegen die Langeweile, die ebenfalls vielen Jüngeren zu schaffen macht, reichen. Die Innsbrucke­r Klinik hat dafür auch eigens Videos online gestellt, die aus psychiatri­sch-psychosoma­tischer Sicht helfen sollen, mit der Corona-Krise umzugehen – das Angebot werde mit großem Interesse aufgenomme­n.

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