Republikaner spielen nach Biden-Sieg auf Zeit
Der innerste Kreis um den abgewählten US-Präsidenten versucht behutsam, ihn zum Rückzug zu bewegen. Die Parteigranden wissen: An der Niederlage Donald Trumps wird sich auch durch Gerichtsklagen nichts ändern.
Als Mitch McConnell zum ersten Mal in den US-Senat gewählt wurde, war Ronald Reagan gerade für eine zweite Amtszeit bestätigt worden. In Moskau war Michail Gorbatschow noch nicht an der Macht, vom Fall der Berliner Mauer wagten nur die kühnsten Optimisten zu träumen.
36 Jahre später ist der Veteran aus Kentucky nicht nur unangefochtene Nummer eins im Senat: Er wird auch der zentrale Gegenspieler des Präsidenten Joe Biden sein. Vorläufig aber lautet die spannendste Frage, ob und wann McConnell dem abgewählten Präsidenten signalisiert, dass er sich bei der Anfechtung des Wahlergebnisses auf seine Partei nicht mehr verlassen kann.
Dass Donald Trumps familiäre Berater zum Aufgeben raten, ist ein Gerücht. Insider glauben erfahren zu haben, dass Jared Kushner geduldig versucht, seinen Schwiegervater zum Rückzug zu überreden. Was daran stimmt und was nicht, wissen nur die unmittelbar Beteiligten, und die schweigen. Daher sind alle Blicke auf McConnell gerichtet. Der aber will Trump Zeit lassen.
Der amtierende Präsident habe zu hundert Prozent das Recht, eventuelle Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe prüfen zu lassen, sagte der 78-Jährige am Montagabend. Noch habe kein einziger Bundesstaat die Ergebnisse bestätigt. Kommentare der Medien hätten keine Vetomacht über die Rechte der Bürger, eingeschlossen die des Präsidenten. Im Übrigen habe sich Al Gore im Jahr 2000 ebenfalls sämtlicher
juristischer Mittel bedient, ehe er seine Niederlage eingestand.
Der Vergleich ist interessant, denn McConnell scheint damit einen Zeitrahmen abzustecken. Damals war in Florida eine Neuauszählung erforderlich. Gore und George W. Bush mobilisierten ihre Anwälte, die sich wochenlang harte Duelle lieferten, bis der Oberste Gerichtshof entschied – und Gore dem de facto juristisch ermittelten Sieger gratulierte. Seine „concession speech“hielt er am 13. Dezember, kurz bevor die 538 Wahlleute den Präsidenten zu benennen hatten. Was McConnell verklausuliert sagen will: Man möge sich noch ein paar Wochen gedulden.
Die üblichen Verdächtigen
Die von Joe Biden erhoffte Absetzbewegung in den Reihen der Republikaner ist jedenfalls ausgeblieben. Nur vier der 53 konservativen Senatoren konnten sich, Stand Dienstagmittag Ortszeit, dazu durchringen, den Sieg des Demokraten anzuerkennen. Der prominenteste ist Mitt Romney, der sich schon im Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gestellt hatte. Auch Lisa Murkowski und Susan Collins riefen Biden an, um zu gratulieren. Roy Blunt aus Missouri attestierte zumindest, dass sich am Resultat nichts mehr ändern werde.
Chris Christie forderte Trump auf, Beweise für angebliche Manipulationen vorzulegen. „Ein Anheizen ohne Informationen dürfen wir nicht zulassen.“George W. Bush hat Biden ebenfalls beglückwünscht, bereits am Sonntag. Allerdings gibt es in der „Grand Old Party“nur wenige, bei denen der Texaner noch Gehör findet. Dazu hat Trump der Partei, deren Basis ihm bis heute die Treue hält, zu eindeutig seinen Stempel aufgedrückt.
Auch deshalb unterstützen Generalstaatsanwälte in einem Dutzend republikanisch regierter Staaten eine Klage, über die der Supreme Court demnächst befinden muss. Demnach sollen in Pennsylvania Briefe mit Stimmzetteln, die erst nach dem Wahltag eingingen, nicht berücksichtigt werden. Das widerspricht dem lokalen Wahlrecht. Wie der Streit ausgeht, ist offen. Selbst wenn Trump recht bekommen sollte, dürfte es sich Behördenvertretern Pennsylvanias zufolge um zu wenige strittige Stimmen handeln, als dass sich etwas am Ergebnis ändern würde.
In Georgia, wo Biden so knapp vorn liegt, dass wohl eine Neuauszählung ansteht, fordern zwei republikanische Senatoren den Rücktritt eines Parteifreunds, der die Erfolgschancen von Beschwerden skeptisch beurteilt: Brad Raffensperger, als Secretary of State für das Organisatorische zuständig, hatte erklärt, in seinem Staat gebe es keine Beweise für groß angelegten Wahlbetrug. Er habe das Volk Georgias im Stich gelassen und müsse seinen Hut nehmen, schrieben Kelley Loeffler und David Perdue. Darauf Raffensperger: „Die Wähler Georgias haben mich angeheuert, und nur die Wähler Georgias können mich feuern.“
Angesichts der sich zuspitzenden Corona-Pandemie, die die Menschen bei Strafe einer möglichen schweren Erkrankung dazu zwingt, einander aus dem Weg zu gehen, wirkt die Nachricht von der offenbar guten Schutzwirkung des Biontech-PfizerImpfstoffs elektrisierend. Hoffnung kommt auf, dass es in absehbarer Zeit gelingen könnte, das sozial distanzierende Seuchenjammertal zu verlassen – langsam, mit großem logistischem Aufwand und in kleinen Schritten, aber doch.
Nur: Was tun wir bis dahin, bis zu diesem vielbeschworenen Zeitpunkt, an dem die Infektionszahlen unter Kontrolle gebracht wurden, weil bereits genug Menschen durch Vakzine immunisiert werden konnten? Sowie: Was geschieht, sollte sich, wider Erwarten, bis auf weiteres keine Impfung als tauglich herausstellen – und sich der Ausnahmezustand auf unabsehbare Zeit verlängern?
Die bisherigen Erfahrungen im politischen Umgang mit der Infektion in Österreich lassen hier Schlimmes befürchten, denn die vergangenen Wochen haben gezeigt: Das Virus profitiert extrem von der kalten und dunklen Jahreszeit, wenn die Menschen in geschlossenen Räumen eng zusammenkommen, sei es aus Notwendigkeit oder weil man in Österreich wie sonst wo in Europa vielfach undiszipliniert ist – ein Zug des Volkscharakters, den die Aussicht auf eine Impfung übrigens weiter schüren könnte.
Auf diese pandemischen Herausforderungen reagiert die Bundesregierung mit einer Mischung aus massenpädagogischen Appellen und schrittweisen Einschränkungen auf einer nach oben offenen Härteskala. Ihr Vorgehen, das Massenhappenings in Einkaufszentren zulässt, während Theateraufführungen trotz Sicherheitskonzepten untersagt sind, wirkt vielfach wenig konsistent. Weitere Verschärfungen erscheinen derzeit fast unvermeidlich, sogar wenn deren Evidenz unklar ist und sie gleichzeitig großen Schaden anrichten würden – Stichwort: alle Schulen schließen.
Setzt sich dieser Stil fort – und ein Kurswechsel ist derzeit nicht in Sicht –, dürften die hiesigen Lebensrealitäten bis auf weiteres aus einer Aufeinanderfolge von Lockdown-ähnlichen Maßnahmen bestehen, unterbrochen durch kurze Perioden der Lockerungen. Rein in den Keller, raus aus dem Keller: Was das für Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen, auf ihre Einkommenssituation und den Zusammenhalt der Gesellschaft hat, ist unabsehbar. Und die Regierenden kämen dadurch noch weiter in die Rolle der missliebigen Obrigkeit.
Was aber anders machen? Hier böten sich Maßnahmen im Sinne von mehr Transparenz an. Etwa bei der Datenlage, die, was die tägliche Infektionsentwicklung angeht, immer noch von unterschiedlichen Informationen geprägt ist. Auch bundesweit koordinierte Mikrostrategien, etwa zum Schutz von Altenund Pflegeheimen, wären sinnvoll. Und nicht zuletzt sollten einschränkende Maßnahmen schon im Vorfeld so gestaltet sein, dass die Verbote dort wirken, wo die Infektionsgefahr am größten ist – und nicht dort, wo es am einfachsten geht oder der Widerstand am geringsten ist.
Das würde die Einsicht stärken, dass wir in der Corona-Krise alle im selben Boot sitzen. Und es würde das Vertrauen in die Politik erhöhen. Dieses werden wir sehr brauchen, wenn die Impfung einmal da ist und es um die Bereitschaft vieler Menschen gehen wird, sich für eine Immunisierung zu entschließen.