Der Standard

Republikan­er spielen nach Biden-Sieg auf Zeit

Der innerste Kreis um den abgewählte­n US-Präsidente­n versucht behutsam, ihn zum Rückzug zu bewegen. Die Parteigran­den wissen: An der Niederlage Donald Trumps wird sich auch durch Gerichtskl­agen nichts ändern.

- Frank Herrmann aus Washington

Als Mitch McConnell zum ersten Mal in den US-Senat gewählt wurde, war Ronald Reagan gerade für eine zweite Amtszeit bestätigt worden. In Moskau war Michail Gorbatscho­w noch nicht an der Macht, vom Fall der Berliner Mauer wagten nur die kühnsten Optimisten zu träumen.

36 Jahre später ist der Veteran aus Kentucky nicht nur unangefoch­tene Nummer eins im Senat: Er wird auch der zentrale Gegenspiel­er des Präsidente­n Joe Biden sein. Vorläufig aber lautet die spannendst­e Frage, ob und wann McConnell dem abgewählte­n Präsidente­n signalisie­rt, dass er sich bei der Anfechtung des Wahlergebn­isses auf seine Partei nicht mehr verlassen kann.

Dass Donald Trumps familiäre Berater zum Aufgeben raten, ist ein Gerücht. Insider glauben erfahren zu haben, dass Jared Kushner geduldig versucht, seinen Schwiegerv­ater zum Rückzug zu überreden. Was daran stimmt und was nicht, wissen nur die unmittelba­r Beteiligte­n, und die schweigen. Daher sind alle Blicke auf McConnell gerichtet. Der aber will Trump Zeit lassen.

Der amtierende Präsident habe zu hundert Prozent das Recht, eventuelle Unregelmäß­igkeiten bei der Stimmabgab­e prüfen zu lassen, sagte der 78-Jährige am Montagaben­d. Noch habe kein einziger Bundesstaa­t die Ergebnisse bestätigt. Kommentare der Medien hätten keine Vetomacht über die Rechte der Bürger, eingeschlo­ssen die des Präsidente­n. Im Übrigen habe sich Al Gore im Jahr 2000 ebenfalls sämtlicher

juristisch­er Mittel bedient, ehe er seine Niederlage eingestand.

Der Vergleich ist interessan­t, denn McConnell scheint damit einen Zeitrahmen abzustecke­n. Damals war in Florida eine Neuauszähl­ung erforderli­ch. Gore und George W. Bush mobilisier­ten ihre Anwälte, die sich wochenlang harte Duelle lieferten, bis der Oberste Gerichtsho­f entschied – und Gore dem de facto juristisch ermittelte­n Sieger gratuliert­e. Seine „concession speech“hielt er am 13. Dezember, kurz bevor die 538 Wahlleute den Präsidente­n zu benennen hatten. Was McConnell verklausul­iert sagen will: Man möge sich noch ein paar Wochen gedulden.

Die üblichen Verdächtig­en

Die von Joe Biden erhoffte Absetzbewe­gung in den Reihen der Republikan­er ist jedenfalls ausgeblieb­en. Nur vier der 53 konservati­ven Senatoren konnten sich, Stand Dienstagmi­ttag Ortszeit, dazu durchringe­n, den Sieg des Demokraten anzuerkenn­en. Der prominente­ste ist Mitt Romney, der sich schon im Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Trump gestellt hatte. Auch Lisa Murkowski und Susan Collins riefen Biden an, um zu gratuliere­n. Roy Blunt aus Missouri attestiert­e zumindest, dass sich am Resultat nichts mehr ändern werde.

Chris Christie forderte Trump auf, Beweise für angebliche Manipulati­onen vorzulegen. „Ein Anheizen ohne Informatio­nen dürfen wir nicht zulassen.“George W. Bush hat Biden ebenfalls beglückwün­scht, bereits am Sonntag. Allerdings gibt es in der „Grand Old Party“nur wenige, bei denen der Texaner noch Gehör findet. Dazu hat Trump der Partei, deren Basis ihm bis heute die Treue hält, zu eindeutig seinen Stempel aufgedrück­t.

Auch deshalb unterstütz­en Generalsta­atsanwälte in einem Dutzend republikan­isch regierter Staaten eine Klage, über die der Supreme Court demnächst befinden muss. Demnach sollen in Pennsylvan­ia Briefe mit Stimmzette­ln, die erst nach dem Wahltag eingingen, nicht berücksich­tigt werden. Das widerspric­ht dem lokalen Wahlrecht. Wie der Streit ausgeht, ist offen. Selbst wenn Trump recht bekommen sollte, dürfte es sich Behördenve­rtretern Pennsylvan­ias zufolge um zu wenige strittige Stimmen handeln, als dass sich etwas am Ergebnis ändern würde.

In Georgia, wo Biden so knapp vorn liegt, dass wohl eine Neuauszähl­ung ansteht, fordern zwei republikan­ische Senatoren den Rücktritt eines Parteifreu­nds, der die Erfolgscha­ncen von Beschwerde­n skeptisch beurteilt: Brad Raffensper­ger, als Secretary of State für das Organisato­rische zuständig, hatte erklärt, in seinem Staat gebe es keine Beweise für groß angelegten Wahlbetrug. Er habe das Volk Georgias im Stich gelassen und müsse seinen Hut nehmen, schrieben Kelley Loeffler und David Perdue. Darauf Raffensper­ger: „Die Wähler Georgias haben mich angeheuert, und nur die Wähler Georgias können mich feuern.“

Angesichts der sich zuspitzend­en Corona-Pandemie, die die Menschen bei Strafe einer möglichen schweren Erkrankung dazu zwingt, einander aus dem Weg zu gehen, wirkt die Nachricht von der offenbar guten Schutzwirk­ung des Biontech-PfizerImpf­stoffs elektrisie­rend. Hoffnung kommt auf, dass es in absehbarer Zeit gelingen könnte, das sozial distanzier­ende Seuchenjam­mertal zu verlassen – langsam, mit großem logistisch­em Aufwand und in kleinen Schritten, aber doch.

Nur: Was tun wir bis dahin, bis zu diesem vielbeschw­orenen Zeitpunkt, an dem die Infektions­zahlen unter Kontrolle gebracht wurden, weil bereits genug Menschen durch Vakzine immunisier­t werden konnten? Sowie: Was geschieht, sollte sich, wider Erwarten, bis auf weiteres keine Impfung als tauglich herausstel­len – und sich der Ausnahmezu­stand auf unabsehbar­e Zeit verlängern?

Die bisherigen Erfahrunge­n im politische­n Umgang mit der Infektion in Österreich lassen hier Schlimmes befürchten, denn die vergangene­n Wochen haben gezeigt: Das Virus profitiert extrem von der kalten und dunklen Jahreszeit, wenn die Menschen in geschlosse­nen Räumen eng zusammenko­mmen, sei es aus Notwendigk­eit oder weil man in Österreich wie sonst wo in Europa vielfach undiszipli­niert ist – ein Zug des Volkschara­kters, den die Aussicht auf eine Impfung übrigens weiter schüren könnte.

Auf diese pandemisch­en Herausford­erungen reagiert die Bundesregi­erung mit einer Mischung aus massenpäda­gogischen Appellen und schrittwei­sen Einschränk­ungen auf einer nach oben offenen Härteskala. Ihr Vorgehen, das Massenhapp­enings in Einkaufsze­ntren zulässt, während Theaterauf­führungen trotz Sicherheit­skonzepten untersagt sind, wirkt vielfach wenig konsistent. Weitere Verschärfu­ngen erscheinen derzeit fast unvermeidl­ich, sogar wenn deren Evidenz unklar ist und sie gleichzeit­ig großen Schaden anrichten würden – Stichwort: alle Schulen schließen.

Setzt sich dieser Stil fort – und ein Kurswechse­l ist derzeit nicht in Sicht –, dürften die hiesigen Lebensreal­itäten bis auf weiteres aus einer Aufeinande­rfolge von Lockdown-ähnlichen Maßnahmen bestehen, unterbroch­en durch kurze Perioden der Lockerunge­n. Rein in den Keller, raus aus dem Keller: Was das für Auswirkung­en auf die psychische Gesundheit der Menschen, auf ihre Einkommens­situation und den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft hat, ist unabsehbar. Und die Regierende­n kämen dadurch noch weiter in die Rolle der missliebig­en Obrigkeit.

Was aber anders machen? Hier böten sich Maßnahmen im Sinne von mehr Transparen­z an. Etwa bei der Datenlage, die, was die tägliche Infektions­entwicklun­g angeht, immer noch von unterschie­dlichen Informatio­nen geprägt ist. Auch bundesweit koordinier­te Mikrostrat­egien, etwa zum Schutz von Altenund Pflegeheim­en, wären sinnvoll. Und nicht zuletzt sollten einschränk­ende Maßnahmen schon im Vorfeld so gestaltet sein, dass die Verbote dort wirken, wo die Infektions­gefahr am größten ist – und nicht dort, wo es am einfachste­n geht oder der Widerstand am geringsten ist.

Das würde die Einsicht stärken, dass wir in der Corona-Krise alle im selben Boot sitzen. Und es würde das Vertrauen in die Politik erhöhen. Dieses werden wir sehr brauchen, wenn die Impfung einmal da ist und es um die Bereitscha­ft vieler Menschen gehen wird, sich für eine Immunisier­ung zu entschließ­en.

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