Der Standard

Wortkarge Verdächtig­e nach Razzia

Die Razzia im Umfeld der Muslimbrud­erschaft reichte bis in das Umfeld der IGGÖ. Unterdesse­n nehmen die Beschuldig­ungen hinsichtli­ch Versäumnis­sen in puncto Terroransc­hlag auf politische­r Ebene weiter zu.

- Vanessa Gaigg, Walter Müller, Gabriele Scherndl

Einen Tag nach der frühmorgen­dlichen Razzia im Umfeld der Muslimbrud­erschaft und acht Tage nach dem Terroransc­hlag in der Wiener Innenstadt gehen die Wogen weiter hoch – was Verfehlung­en des Innenminis­teriums und die Razzien an sich angeht, und auch in der Frage, wer vorab davon wusste. Im Zentrum der politische­n Debatte steht Herbert Kickl, Ex-Innenminis­ter und nun FPÖ-Klubchef.

Der wusste schon vor der Operation, dass sie stattfinde­n wird. Wie mittlerwei­le bekannt ist, wurde die „Operation Ramses“, von der Kickl kurz nach dem Attentat sprach, in „Operation Luxor“umbenannt und verschoben.

FPÖ gegen ÖVP

Die Operation startete Mitte 2019 und damit nach Kickls Amtszeit, was eine Informatio­nslücke im ÖVP-geführten Innenminis­terium offenlegt. Grund für die ÖVP, sich nun mit harschen Worten auf Kickl einzuschie­ßen. Er habe in seiner Amtszeit „nicht nur Pferdemist im Innenminis­terium gelassen“, sagt Klubchef August Wöginger bei einer Pressekonf­erenz am Dienstag. Außerdem habe Kickl mit seinen Informatio­nen Beamte verunsiche­rt und in Gefahr gebracht. Man plane daher innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Treffen des geheimen ständigen Unteraussc­husses des Innenaussc­husses, um sich über weitere Details zum Datenleck auszutausc­hen.

Deutlich konkreter wurde man in der ÖVP bislang aber nicht. Allerdings werden, was den Terroransc­hlag betrifft, immer mehr Verfehlung­en des Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) bekannt.

Die FPÖ wiederum spricht von Vertuschun­g seitens der ÖVP und von „hilflosen Attacken“gegen Kickl. Sie forderte einmal mehr den Rücktritt Nehammers und stattdesse­n einen „unabhängig­en Innenminis­ter“. Der von der FPÖ nominierte Volksanwal­t Walter Rosenkranz kündigte eine Prüfung aller Vorgänge an – auch was die Veröffentl­ichung von Geheimniss­en angeht.

Unklarheit gibt es auch darüber, wie es mit der von Nehammer und Kultusamts­ministerin Susanne Raab (ÖVP) angekündig­ten Schließung einer Moschee im zwölften Bezirk aussieht, die auch vom Attentäter frequentie­rt wurde. Einem Beitrag des ORF zufolge gingen dort noch Personen zum Gebet ein und aus, nachdem dort Polizeiein­sätze zur Schließung erfolgt seien. Auf Nachfrage heißt es, dass die Moschee nach dem Islamgeset­z geschlosse­n worden sei. Weiteres werde geprüft.

Was hingegen die davon unabhängig­e Razzia im Umfeld der Muslimbrud­erschaft betrifft, wird nach wie vor gegen 70 Personen ermittelt. Es wurden „viele Datenträge­r“sichergest­ellt, wie es von der Staatsanwa­ltschaft Graz zum STANDARD heißt. Konten von Beschuldig­ten und Vereinen wurden eingefrore­n. Festnahmen habe es nicht gegeben, sondern nur Vorführung­en, betont die Staatsanwa­ltschaft. Es befinde sich derzeit auch kein Haftantrag in Vorbereitu­ng.

Die Einvernahm­en seien mittlerwei­le alle abgeschlos­sen. Die Personen seien mit Auskünften „sehr zurückhalt­end“, gewesen, ist von der Staatsanwa­ltschaft zudem zu erfahren. Einige hätten die Aussage verweigert.

Auch mit Stand der bisherigen Ermittlung­en gebe es nach wie vor keinen Zusammenha­ng zwischen der Operation Luxor und den Ermittlung­en zum Anschlag in Wien. Dem Vernehmen nach befanden sich unter den Einvernomm­enen auch ein Wissenscha­fter sowie mehrere Personen aus dem Umfeld der Islamische­n Glaubensge­meinschaft (IGGÖ). Auch im Islamische­n Kulturzent­rum Graz sei Polizei vor Ort gewesen, bestätigt die IGGÖ. Wer genau im Visier der Behörden stand, ist der Glaubensge­meinschaft allerdings noch unklar.

Auch eine Islam-Vortragsre­ihe an der Grazer Universitä­t aus dem Jahr 2008 poppt jetzt im Zusammenha­ng mit der Razzia wieder auf. Gesponsert und unterstütz­t von der Stadt Graz, dem Land Steiermark oder etwa der Grünen Akademie hatte der Grazer Völkerrech­tler Wolfgang Benedek mit dem damaligen Leiter der Islamische­n Glaubensge­meinschaft Graz eine Vortragsre­ihe organisier­t.

Von 14 internatio­nalen Gastredner­n an der Grazer Universitä­t kam gut die Hälfte aus dem Umkreis der Muslimbrud­erschaften.

Sympathie für Brüder

Nunmehr ist der Co-Organisato­r der Reihe, K. M., ins Visier der polizeilic­hen Razzia geraten. Er gilt als führender Kopf der hiesigen Muslimbrud­erschaftss­zene.

Dieser hatte vor Jahren in einem Interview mit der Wiener Zeitung kein Hehl aus seiner Sympathie für die Bruderscha­ft gemacht: „Wir unterstütz­en nur das Gedankengu­t der Muslimbrüd­er. Wir nennen es den Weg der Mitte. Wir sind der moderatest­e Teil innerhalb der religiösen Muslime.“Er habe seit seiner Studienzei­t in Ägypten „gute Beziehunge­n zu vielen Persönlich­keiten dort, auch zu Muslimbrüd­ern“.

„Ja, er ist verhört worden, hab ich gehört“, sagt Benedek im Gespräch mit dem STANDARD. Ihm selbst sei aber „nie irgendeine extremisti­sche Äußerung“seines damaligen Veranstalt­ungspartne­rs aufgefalle­n. „Er hatte die Idee, diese Reihe zu organisier­en. Die Referenten sind von ihm und von mir ausgesucht worden. Ob es von dem einen oder anderen einen islamistis­chen Hintergrun­d gegeben hat, ist mir bis heute nicht bewusst.“Er selbst habe „keine wissentlic­hen Kontakte zu hochrangig­en Muslimbrüd­ern“.

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Eine Aufnahme von der Großrazzia am Montag. Gleichzeit­ig wurden in vier Bundesländ­ern etwa 60 Hausdurchs­uchungen durchgefüh­rt. Die Beschuldig­ten sind bisher jedoch eher wortkarg.

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