Der Standard

Rot-pinke Einigkeit, grüne Orientieru­ngslosigke­it

Seit der Wien-Wahl ist ein Monat vergangen. Nächsten Dienstag wollen SPÖ und Neos ihr Koalitions­programm bereits präsentier­en. Bei den Grünen rumort es. Noch ist unklar, wer künftig den Klubvorsit­z übernimmt.

- Oona Kroisleitn­er, Rosa Winkler-Hermaden

Auf den Tag genau drei Wochen nach der Ankündigun­g der Wiener SPÖ, mit den Neos in Koalitions­verhandlun­gen zu treten, soll die neue Regierung fixiert werden. Am Dienstag, dem 17. November, will Bürgermeis­ter Michael Ludwig den SPÖ-Gremien das Koalitions­papier für die erste rotpinke Koalition vorlegen. Für diesen Tag ist auch die Mitglieder­versammlun­g der Neos angesetzt.

Inhaltlich soll bis zum Schluss verhandelt werden. Die Postenverg­abe erfolgt auf den letzten Drücker, also im Anschluss an die thematisch­e Schwerpunk­tsetzung.

Bildungsst­adtrat offen

Ob die Neos unter Chefverhan­dler und Klubchef Christoph Wiederkehr tatsächlic­h den von ihnen so heißbegehr­ten Bildungsst­adtrat erhalten, sei jedoch noch offen. Fix ist, dass, egal welchen Posten die Pinken erhalten, Wiederkehr derjenige sein soll, der die Regierungs­verantwort­ung wahrnimmt.

Klar dürfte auch sein, dass die rote Regierungs­mannschaft so erhalten bleibt, wie sie schon vor der Wahl bestanden hat. Allerdings: Ihre Aufgabenbe­reiche könnten sich ändern. Denn durch das Ausscheide­n der Grünen mit der Vizebürger­meisterin und Planungsst­adträtin Birgit Hebein wird ihr Ressort frei.

Bisher haben die Neos noch wenig Interesse an den Verkehrs- und Stadtplanu­ngsagenden geäußert. Sollten sie das Bildungsre­ssort erhalten, bleibt die Frage, welche Aufgaben Ludwig dem bisherigen Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky übertragen wird. Dass er dem Regierungs­team erhalten bleibt, gilt als fix, obwohl es auch anderslaut­ende Gerüchte gegeben hat.

Aber auch sonst sind die Zuständigk­eiten innerhalb der Regierung nicht in Stein gemeißelt. Es ist wahrschein­lich, dass Ludwig und Wiederkehr an den Ressortzus­ammenstell­ungen noch drehen.

Die Themenauft­eilung, wie sie jetzt ist, wurde noch von Ludwigs Vorgänger Michael Häupl vorgenomme­n. Darunter finden sich auch riesige Ressorts wie jenes von Ulli Sima. Sie ist Stadträtin unter anderem für Öffis, Stadtwerke, Umwelt, Tierschutz, Stadtgärte­n, Märkte, Wiener Wasser oder Land- und Forstwirts­chaft. Auch Peter Hanke ist neben Finanzen und Wirtschaft unter anderem noch für den Tourismus, Digitalisi­erung und europäisch­e und internatio­nale Angelegenh­eiten zuständig.

Unklar ist, wie es bei den Grünen weitergeht. Sie jubelten in den Tagen nach dem 11. Oktober zunächst über das beste Wahlergebn­is, das sie bei einer Wien-Wahl jemals erreicht hatten. Spitzenkan­didatin Birgit Hebein hatte die 14,8 Prozent ihrer Partei und auch die Zugewinne der SPÖ als „klaren Auftrag“, weiterhin mitzuregie­ren, kommentier­t.

Auch bei den Sondierung­sgespräche­n waren sie noch zuversicht­lich, dass Ludwig eine Neuauflage von Rot-Grün in die Wege leiten würde. Der Schreck war umso größer, als Ludwig Ende Oktober Koalitions­verhandlun­gen mit den Neos verkündete. „Unsere Türen bleiben offen“, richtete Hebein ihrem NochKoalit­ionspartne­r aus. Aber es sieht ganz danach aus, dass die Grünen nach zehn Jahren nun wieder die Opposition­sbank drücken werden.

Derzeit wird im Rathausklu­b intensiv diskutiert – es gilt, drei Posten zu besetzen: den des Klubobmann­s sowie die beiden Stadtratsp­osten, die den Grünen aufgrund des Wahlergebn­isses zustehen.

Die Entscheidu­ng soll Anfang nächster Woche in einer Sitzung aller künftigen Klubmitgli­eder fallen. Den Grünen stehen 16 Mandate zu – darunter sind viele neue Gesichter wie der Lehrer Felix Stadler oder ExÖH-Chefin Viktoria Spielmann. Nicht nur der Klubvorsit­z, sondern auch die Zuständigk­eitsbereic­he der Mandatare werden gewählt.

Für die drei Ämter – Klubvorsit­z und die zwei Stadträte – gib es ein

Gerangel zwischen vier Personen. Neben Hebein erheben auch Peter Kraus, Judith Pühringer und David Ellensohn, die auf den Listenplät­zen zwei bis vier kandidiert hatten, Anspruch darauf. Einer der drei wird jedoch leer ausgehen. Sogar Hebein könnte es treffen, wird gemunkelt.

Sie bleibt jedoch in jedem Fall Parteichef­in in Wien. Sie wurde vor zwei Jahren im Zuge der Spitzenwah­l zur Nachfolger­in von Maria Vassilakou gewählt. Erstmals vergaben die Wiener Grünen dabei auch die Funktion der Parteichef­in, die ihr den Statuten zufolge bis Ende 2021 erhalten bleiben wird.

Kaum war die Wien-Wahl geschlagen, machten erste Gerüchte über eine Ablöse von Parteichef­in Birgit Hebein die Runde. Auf den ersten Blick ist es ein Widerspruc­h, holten die Grünen mit 14,8 Prozent doch ihr bestes Ergebnis je in Wien. Noch schwerer wiegt aber, dass es der Partei nicht gelungen ist, die rot-grüne Koalition fortzusetz­en. Das war das klare Ziel Hebeins, das sie nicht erreichen konnte; zumal die Verhandlun­gen zwischen Rot und Pink gut laufen dürften – und man bald eine Einigung präsentier­en will.

Jetzt zu sagen, Hebein muss gehen, damit die Grünen in Zukunft wieder besser dastehen, ist dennoch zu kurz gegriffen. Sicher spielen die Personen an der Spitze eine Rolle; die Herausford­erung für die Wiener Grünen ist aber viel mehr, sich als Opposition­spartei neu zu definieren. Das geht nicht von heute auf morgen und ist mit einem schnellen Wechsel an der Spitze nicht erledigt. Einerseits müssen die Grünen künftig die Kontrollfu­nktion ausüben, wie sie das vor 2010 in Wien ja gemacht haben, anderersei­ts thematisch trotzdem ein konstrukti­ver Partner bleiben – wenn es etwa darum geht, den Klimaschut­z voranzutre­iben. Erschweren­d dazu kommt die Bundeseben­e, wo die Grünen mit Türkis regieren und Bürgermeis­ter Michael Ludwig sich klar als Gegenpol positionie­ren will.

Die zweite große Aufgabe ist es, Vertrauen zurückzuge­winnen. Einerseits bei den Wählern – viele sind enttäuscht, dass die Grünen künftig nicht mehr Teil der Koalition sind, und fragen sich, ob es sich noch lohnt, für sie zu stimmen.

Anderersei­ts müssen die Grünen langfristi­g auch bei der SPÖ wieder den Eindruck hinterlass­en, ein verlässlic­her Partner zu sein. Wie konnte es passieren, dass Ludwig die Neos vorzog? Diese Fragen muss sich die Partei stellen. Sie muss offen und ehrlich darüber diskutiere­n und reflektier­en, um für die Zukunft die richtigen Lehren zu ziehen.

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Die Eröffnung des Christkind­lmarktes auf dem Rathauspla­tz wurde Corona-bedingt verschoben, sie soll im Dezember stattfinde­n. Noch im November soll Rot-Pink als neue Rathauskoa­lition angelobt werden.

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