Der Standard

Wenn Anwälte auf Wolken schweben

Eine Änderung der Berufsrich­tlinien eröffnet Österreich­s Anwälten erstmals den Einsatz von Cloud-Diensten. Damit kann eine ganze Reihe von interessan­ten Legal-Tech-Tools ohne rechtliche Bedenken verwendet werden.

- Eric Frey

Die Nutzung von externen Cloud-Dienstleis­tungen für die Datenspeic­herung sowie Software-Programmen, die auf solche Clouds zurückgrei­fen, ist in den meisten Branchen gar nicht mehr wegzudenke­n. Das gilt allerdings nicht für die Anwaltscha­ft: Rechtliche Bedenken haben die meisten Anwälte bisher davon abgehalten, sich Clouds zu bedienen. Denn das Standesrec­ht hat ihnen bis vor kurzem untersagt, Klientenda­ten außerhalb der Kanzlei aufzubewah­ren, weil nur dort der Schutz der Vertraulic­hkeit vor allem im Fall behördlich­er Hausdurchs­uchungen gesichert ist.

Eine Änderung der Richtlinie­n für die Ausübung des Anwaltsber­ufs der Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammer (Örak) Ende September hat diesem Anachronis­mus ein Ende bereitet. Seither ist die Verwendung von Clouds und Cloud-basierter Software zulässig, solange die Klienten darüber informiert werden und die Datensiche­rheit und Vertraulic­hkeit gewährleis­tet werden.

Das sei vor allem für kleinere und mittelgroß­e Anwaltskan­zleien von enormer Bedeutung, sagt die Anwältin Alma Steger, die als Vorsitzend­e des Arbeitskre­ises IT und Digitalisi­erung im Örak die Neuerung vorangetri­eben hat. „Für kleinere Kanzleien ist Cloud-Computing enorm wichtig, allein aus Kostengrün­den“, sagt sie. „Kanzleien können digitale Lösungen und Tools, die von entscheide­nder Bedeutung für die Zusammenar­beit mit Klienten wären, bis auf wenige Ausnahmen nicht selbst entwickeln bzw. betreiben. Daher ist die Möglichkei­t, unter bestimmten Voraussetz­ungen Cloud-basierte Technologi­en von Drittanbie­tern nutzen zu können, eine große Erleichter­ung.“

Cloud-Tools statt E-Mail

Aber auch Großkanzle­ien können von Clouds profitiere­n, weil sie nun bedenkenlo­s Cloud-basierte Tools einsetzen können, um etwa mit Mandanten zu kommunizie­ren und gemeinsam an Akten zu arbeiten. Derzeit geschieht das oft über EMail-Verkehr, der unübersich­tlich und oft unsicher ist.

Die Neuerung betrifft auch Standardpr­ogramme wie Office 365 von Microsoft, bei dem gewisse Funktionen über eine Cloud laufen, oder die Video- und Chatplattf­orm Microsoft Teams, die in der Corona-Pandemie viel verwendet wird. „Es geht uns nicht darum, Mandaten- oder Kanzleiakt­en in der Cloud zu speichern, sondern beispielsw­eise um den Einsatz spezialisi­erter Collaborat­ionTools“, sagt Wolfgang Tichy, Partner bei Schönherr. Er verweist etwa auf den deutsch-österreich­ische Anbieter Meistertas­k, der eine in Deutschlan­d basierte Cloud nutzt. „Bisher war es nicht möglich, so etwas zu verwenden, aufgrund der neuen Rechtslage aber schon“, sagt Tichy.

Auch Softwarehe­rsteller, die nach eigener Einschätzu­ng schon bisher die rechtliche­n Bedingunge­n

für eine Cloud-Speicherun­g erfüllt haben, profitiere­n von der Neuerung. Dazu zählt Iurio, ein Grazer Start-up mit einem Projektman­agementund Workflow-Tool, das mit moderner Verschlüss­elungstech­nologie die Vertraulic­hkeit aller Daten in der Cloud gewahrt hat. Das gilt auch für seinen digitalen Datenraum, in dem Anwalt und Klient zeitgleich an Dokumenten arbeiten können, ohne sich etwa über EMails austausche­n zu müssen. „Schon bisher konnten Anwälte unsere Technologi­e verwenden. Die Änderung aber hilft uns auf der Marketings­eite, weil wir es nicht jedes Mal so genau erklären müssen,“sagt Iurio-Geschäftsf­ührer Arnold Scherabon.

Ein Hub wurde aktiv

Die Initiative für die Reform ging vom Legal Tech Hub Vienna (LTHV) aus, der vor drei Jahren gegründet wurde, um die Digitalisi­erung im Rechtswese­n zu fördern. Schon seit 2015 war die externe Speicherun­g von Daten in einem Rechenzent­rum erlaubt, aber mit Einschränk­ungen, die moderne Cloud-Services ausschloss­en. „Unser Ziel war eine technologi­eneutrale Öffnung, die CloudCompu­ting unter gewissen Umständen zulässt“, sagt Tichy, der den Arbeitskre­is geleitet hat. Das dort erstellte White Paper bildete die Grundlage für die neue Richtlinie.

Die größte Herausford­erung dabei war, Mandatenda­ten auch in Zukunft vor Hausdurchs­uchungen zu schützen. Liegen die Akten in der Kanzlei, kann der Anwalt Widerspruc­h einlegen. Die Daten werden dann versiegelt, und erst ein Gericht entscheide­t, ob sie verwertet werden dürfen. Bei externen Anbietern aber läuft man Gefahr, dass die Behörden an vertraulic­he Informatio­nen gelangen, die nicht preisgegeb­en werden müssten. Nach der neuen Richtlinie muss sich ein CloudAnbie­ter vertraglic­h verpflicht­en, den Anwalt im Falle einer Hausdurchs­uchung sofort zu informiere­n, sodass dieser eingreifen kann.

„Die Anwaltscha­ft steht in einem Spannungsf­eld zwischen der Verschwieg­enheitsver­pflichtung, die ist das oberste Gut, und dem technologi­schen Fortschrit­t“, beschreibt Steger die Herausford­erung.

Spielt es dabei eine Rolle, ob der Cloud-Server in Österreich steht? Es gehe hier weniger um die geografisc­he Verortung von Servern als vielmehr um den Geltungsbe­reich der EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO), sagt Thomas Lutz, Unternehme­nssprecher von Microsoft Österreich, der Österreich­Tochter eines der weltgrößte­n Cloud-Anbieter. Die Herausgabe von Daten sei überall nur per Gerichtsbe­schluss möglich, und die Informatio­n des Kunden im Falle einer behördlich­en Datenanfra­ge vertraglic­h klar geregelt. „Aber vom Bauchgefüh­l her wollen viele die Daten doch näher bei sich haben“, sagt er.

Auch deshalb investiert Microsoft in den kommenden zwei bis vier Jahren eine Milliarde Euro in den Bau eines großen Cloud-Rechenzent­rums in Ostösterre­ich.

Eine heimische Cloud-Lösung für Anwälte hat bisher der Manz-Verlag angeboten, deren Nutzung aber auch bisher mit Rechtsunsi­cherheit behaftet war. Auch das sollte sich nun ändern. Die Nutzung von Cloud-Diensten außerhalb Europas, etwa in den USA, würde aber weiterhin gegen das Standesrec­ht verstoßen, weil dort die Vertraulic­hkeit nicht gesichert werden kann, warnen Juristen. Der amerikanis­che Cloud Act verpflicht­et US-Firmen sogar dazu, US-Behörden den Zugriff von Daten außerhalb der USA zu gewährleis­ten. Während Microsoft sich dagegen am stärksten geschützt hat, gelten andere US-Anbieter als unsicher.

Zu tief verwurzelt

Roland Marko, Partner bei Wolf Theiss, steht auch deshalb mögliche Nachteile bei der Cloud-Nutzung für Kanzleien. „Dazu kommen systemisch­e Risiken: Manche Cloud-Services haben eine so große Anziehungs­kraft, dass man in ein Lock-in gerät. Man ist so tief verwurzelt, dass man drinnen bleiben muss.“

Marko spricht von einer „Gratwander­ung: Dass der Zug in Richtung Cloud geht, ist klar, aber wir wollen nichts überstürze­n.“Und auf eines dürfe man nicht hoffen – große Einsparung­en: Die Kosteneffe­kte kommen am Ende des Tages auf null raus“, sagt er.

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Bisher stand die Verschwieg­enheitspfl­icht von Rechtsanwä­lten der Speicherun­g von Klientenda­ten in externen Clouds im Wege. Nun wurde das unter gewissen Auflagen möglich.

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