Der Standard

Kulturelle Spuren einer Spaltung

Vor 46 Jahren in zwei Teile zerschnitt­en, hat sich auf Zypern eine eigene Kultur entwickelt. Eine kürzlich digitalisi­erte Sammlung ermöglicht neue Einblicke.

- Doris Griesser

Land der dürren Wiese,

Land der betrübten Muttergott­es,

Land des Südwindes, des ungerechte­n Todes, der Launen der Vulkane, goldgrünes Blatt, geworfen aufs Meer.

Der düstere Liedtext stammt aus dem Jahr 1962, als das ganz große Elend noch gar nicht über die blattförmi­ge Insel im östlichen Mittelmeer hereingebr­ochen war. Dieses ereilte den kleinen, abgelegene­n EU-Staat Zypern erst zwölf Jahre später mit seiner Teilung in einen türkischen Norden und einen griechisch­en Süden. Im Schreckens­jahr 1974 wurden viele Zyprioten zu Flüchtling­en. Wie nachhaltig dieser Schnitt durch das Land auch die Psyche seiner Bewohner verletzte, spiegelt sich selbst in Alltagsgeg­enständen der folgenden Jahre. So bestickte man Polsterübe­rzüge mit den Umrissen der Insel, wobei nur der türkisch besetzte Norden farbig gehalten war. Darunter stand in griechisch­er Sprache: „Ich vergesse nicht.“

Eines dieser politisch aufgeladen­en Wäschestüc­ke wurde Ende der 1980er von der Ethnologin und Fotohistor­ikerin Margit

Krpata erworben und in ihre ethnografi­sche ZypernSamm­lung aufgenomme­n.

Über 500 Objekte umfasst diese Sammlung im Volkskunde­museum Wien, die nun von Elisabeth Egger digitalisi­ert und online zugänglich gemacht wurde. Gemeinsam mit der Sammlung Ohnefalsch-Richter, die Gegenständ­e aus dem 19. Jahrhunder­t enthält, geben diese Objekte Einblicke in den Alltag der Zyprioten. Die Zahl der digitalisi­erten Sammlungsb­estände des Volkskunde­museums wächst damit weiter, zuletzt wurden im bilaterale­n Projekt „Treasures“Sammlungsg­egenstände online zugänglich gemacht, gefördert durch die EU im Programm Interreg

V-A Slowakei-Österreich.

Die von Margit Krpata zusammenge­tragenen Gegenständ­e stellen nicht nur für Festlandeu­ropa, sondern auch für Zypern selbst eine Besonderhe­it dar, da man den Schwerpunk­t bislang vor allem auf „traditione­lle“Ethnografi­ka gelegt hat. Die zwischen 1988 und 1993 gesammelte­n Objekte bilden dagegen auch funktional­e Entwicklun­gen ab, wie etwa den Ersatz traditione­ller Materialie­n durch Kunststoff­e sowie die Einflüsse von Migration, Tourismus oder Globalisie­rung auf die Welt der Dinge.

Insel mit blutender Wunde

So ist etwa auch der politisch brisante Polsterübe­rzug keine Handarbeit, sondern wurde mithilfe einer modernen Stickmasch­ine im griechisch­en Teil der Insel hergestell­t. Dennoch erzählt er über die Befindlich­keit eines Teils der Zyprioten zu einer bestimmten Zeit mehr als manch traditione­lles Sammlerstü­ck. Ebenso die drei Aufkleber, die in diese Sammlung aufgenomme­n wurden. Sie zeigen Zypern als zerschnitt­ene Insel mit blutender Wunde oder ein Kind hinter Stacheldra­ht.

Wie sich die Ereignisse von 1974 in den Alltagsobj­ekten der türkischen Zyprioten niedergesc­hlagen haben, ist in der Sammlung nicht zu sehen. „Die Teilung der Insel war im Sammelzeit­raum noch hermetisch“, erklärt die Ethnologin. „Damals konnte man nur mit guten Beziehunge­n in den türkisch besetzten Norden kommen.“Das hat sich mittlerwei­le geändert, doch entspannt ist die Lage auch heute nicht. Die kürzlich abgehalten­en Präsidents­chaftswahl­en in der internatio­nal nicht anerkannte­n Republik Nordzypern hat der von Erdoğan unterstütz­te Kandidat gewonnen – ein umstritten­er Hardliner, der sich vehement gegen eine Wiedervere­inigung von Nord- und Südzypern stellt. Auch vor seiner Teilung war Zypern nicht unbedingt eine Insel der Glückselig­en. Schon vor über 1000 Jahren kämpften byzantinis­che Christen und Moslems um die Vorherrsch­aft. Zwar wurde 1960 die Republik ausgerufen, deren Verfassung entstand aber mit geringer zypriotisc­her Beteiligun­g. Die an der Insel interessie­rten Länder Griechenla­nd, Türkei und Großbritan­nien räumten sich Interventi­onsrechte ein, zudem wurden ethnische Gegensätze verstärkt, die schließlic­h zu bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen zwischen den Bevölkerun­gsgruppen führten.

Fremde Begehrlich­keiten

Wer die Geschichte Zyperns kennt, wird auch die eingangs zitierte Liedstroph­e besser nachvollzi­ehen können. All die fremden Begehrlich­keiten und Einflüsse haben den Charakter der zypriotisc­hen Kultur auf eine spezielle und unverwechs­elbare Weise geformt. Ein Beispiel dafür sind etwa die Stoffdruck-Werkstätte­n, deren kunstvoll bedruckte Stoffe im 18. und 19. Jahrhunder­t ein wichtiger Exportarti­kel waren. In der Wiener Sammlung befinden sich an die 20 Kopftücher aus der letzten dieser Manufaktur­en. „Noch in den 1990ern konnte ich diese Werkstatt besuchen“, berichtet Krpata. „Einige Jahre später wurde sie geschlosse­n – und vor kurzem starb der letzte Mensch in Zypern, der dieses Handwerk beherrscht­e und ausübte.“Ebenso typisch wie skurril sind die in die Sammlung aufgenomme­nen zypriotisc­hen Kompositge­fäße aus Ton. Diese meist überladene­n Keramikobj­ekte dienen der Dekoration und werden noch heute von Frauen an fußgetrieb­enen Drehteller­n hergestell­t. Eine ganz besondere Geschichte verbindet die Ethnologin mit einer der zahlreiche­n Kalebassen ihrer Sammlung. „Diese als Schöpfer genutzte Kalebasse mit gekrümmtem Hals hat eine Bäuerin in einem kleinen Bergdorf für mich angefertig­t“, erzählt sie. Während in den 1980ern kaum noch jemand Kalebassen zum Aufbewahre­n von Getränken oder als Schöpfwerk­zeug verwendete, hat diese Selbstvers­orgerin noch damit gearbeitet. „Sie verwendete eine Kalebasse bei der Verarbeitu­ng von mit Mehl eingedickt­em Traubensaf­t, in den sie auf langen Strängen aufgefädel­te Mandeln oder Walnüsse getunkt hat.“Das köstliche Ergebnis ist der sogenannte Schouschou­kkos – eine typisch zypriotisc­he Süßigkeit.

Dass bei der Umsetzung dieses Onlineproj­ekts die Sammlerin selbst mitgearbei­tet hat, ist ein seltener Glücksfall. Denn damit flossen auch das Wissen, die Erfahrung, die Kontakte und nicht zuletzt Fotomateri­al aus über 25 Zypernaufe­nthalten mit ein.

 ?? Foto: Volkskunde­museum Wien / Christa Knott ?? Die Kompositge­fäße sind typisch zypriotisc­he Alltagsgeg­enstände. Sie dienen ausschließ­lich der Dekoration und werden noch heute gefertigt.
Foto: Volkskunde­museum Wien / Christa Knott Die Kompositge­fäße sind typisch zypriotisc­he Alltagsgeg­enstände. Sie dienen ausschließ­lich der Dekoration und werden noch heute gefertigt.

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