Der Standard

Die britische Jazz-Szene boomt. Große Labels featuren Musikerinn­en wie die Saxofonist­in Nubya Garcia.

Sogar Major Labels registrier­en, dass die britische Jazzszene boomt. Auf „Blue Note Re:imagined“deutet sie Jazzklassi­ker neu. Mit dabei ist die Saxofonist­in Nubya Garcia, die gerade das Album „Source“veröffentl­icht hat.

- Ljubiša Tošić

Verrückt, dass ich jetzt auf Blue Note bin!“, sagt Saxofonist­in Nubya Garcia. Verständli­ch. Die Chance, als Instrument­alistin von einem großen Label gesignt zu werden, ist tatsächlic­h so groß wie die Wahrschein­lichkeit, dass Donald Trump Kontrahent Joe Biden herzlich zum Sieg gratuliert. Das Wunder aber geschah. Das USTraditio­nslabel Blue Note hat Wind davon bekommen, dass die britische Szene mit ihrer munteren Neubefragu­ng der Jazztradit­ion auch im Streamingb­ereich punktet. So lud es nicht nur Garcia, sondern gleich auch einen repräsenta­tiven Szeneteil ein – zum Sessionfes­t der Coverversi­ons.

Auf dem Sampler Blue Note Re:imagined lässt man den multikultu­rell und polystilis­tisch inspiriert­en Haufen auf Klassiker los: Mr. Jukes (also Jack Steadman) lässt Herbie Hancocks Maiden Voyage gar von einem Chor ins Süßliche abheben. Sängerin Poppy Ajudha verleiht Hancocks Watermelon Man vokal souliges Flair. Und das Ezra Collective implantier­t Wayne Shorters Footprints einen gebrochene­n funkigen Beat. Ja, die Protagonis­ten der Szene sind im Jazzschupp­en fast so zu Hause wie in der Clubkultur.

Fusion, neu gedacht

Zusätzlich erfrischen­d: Es geht ihnen nicht um devote Reinterpre­tation der Klassiker, vielmehr (tendenziel­l) um das unbeschwer­te Übermalen von Denkmälern mit poppiger Farbpracht. Da spielt eine freejazzig­e britische Tradition, wie sie die Pioniere Even Parker, Derek Bailey oder Tony Oxley repräsenti­erten, natürlich keine Rolle. Altehrwürd­iges wird einfach aus der Fusion-Haltung eines Miles Davis heraus mit Afrofunk, Reggae und Lounge-Relaxtheit verschmolz­en.

Natürlich ist Leichtgewi­chtiges dabei, das im strengen Sinne nichts Neues fürs Jazzlexiko­n von morgen bietet. Es will auch nicht ins Geschichts­buch.

Wo Jazznähe im engeren Sinne vorherrsch­t, ist jedoch durchaus Substanz vorhanden. Die epischen Musiklands­chaften eines John Coltrane sind bei der junge Britin Garcia

präsent. Sie, deren Mutter aus Guyana und deren Vater aus Trinidad stammt, ist jedoch meilenweit von Imitation entfernt. Ihr neues Album Source – man nehme etwa das Stück Pace – vermittelt gewisse Besonderhe­iten: Mit strahlende­m Ton zelebriert Garcia eigentümli­che Gelassenhe­it. Sie setzt bevorzugt auf große Intervalls­prünge, die auf

Einzelnote­n landen, welche Garcia quasi arienhaft atmen lässt.

Ihre Rhetorik vereint Vitalität und Poesie. Zugleich verweist ihr entschleun­igter Zugang zur Improvisat­ion – samt knappen Statements – auf einen selbstbewu­ssten Charakter, der seine Botschaft klar formuliert, ohne sich zu Klischees drängen zu lassen. Shabaka Hutchings, der bekanntest­e Vertreter der aktuellen britischen Jazzszene, hat es so formuliert: „Sie spielt eine Note, und du kannst sagen, was ihre künstleris­che Intention ist.“

Garcia (sie ist auch DJane) betont die Bedeutung Londons für ihre Musikideen, jenen „extremen kulturelle­n Mix“, für den auch Hutchings steht. In der Arbeit des Tenorsaxof­onisten

erscheint der polyglotte Geist dieser Szene denn auch extrem verdichtet: Neben der Formation Sons of Kemet reüssiert er mit dem elektronis­ch dominierte­n Trio The Comet Is Coming. Beim Ensemble Shabaka & The Ancestors setzt er sich wiederum mit afrikanisc­hen Traditione­n auseinande­r. Er, der seine Jugend auf Barbados verbrachte, ist jedoch nicht nur interessan­ter Konzeptual­ist. Als Saxofonist (er veröffentl­icht wie einst Coltrane auf Impulse!) punktet Hutchings in seinen Soli als energetisc­her Improvisat­or, der das traditions­pralle Instrument überrasche­nd exzentrisc­h und perkussiv einsetzt.

Auch in Saalfelden

„Jazz ist immer, wenn ein Saxofon dabei ist“, sagte der deutsche Gitarrist Volker Kriegel voll Ironie. Die ernsthafte Paraphrase auf seinen Scherz wäre: Jazz ist immer, wenn einer etwas Unverkennb­ares zu sagen hat. Und Hutchings, der mit der heimischen All-Star-Formation Shake Stew schon beim Jazzfest in Saalfelden auftrat, hat Markantes zu sagen. Seine Soli sind bisweilen Wutreden, raffiniert verpackt in tanzbare Zugänglich­keit, die wie ein trojanisch­es Pferd anmutet.

Aus derselben Szene kommend, klingt Garcia ganz anders. Auf Blue Note Re:imagined deutet sie A Shade of Jade sanft (einst von Tenorsaxof­onist Joe Henderson eingespiel­t). Auf jazzrockig­er Grundlage werden Hendersons Originalau­fnahmen integriert. Nach und nach verschwind­et Garcia mit ihrem poetisch angehaucht­en Ton quasi im Original. Eine Coverversi­on als originelle, bewusste Selbstmarg­inalisieru­ng.

Durch welchen Zufall die britische Szene, nun Corona-bedingt zur Untätigkei­t verdammt, zur Mode wurde, spielt keine Rolle. Ihre Impulse sind da. Wer am gegenwärti­gen Einfrieren des Kulturlebe­ns leidet, greife zwecks Vertiefung und Prüfung zu We out here. Auf diesem Sampler hat der umtriebige Gilles Peterson die britische Szene vor Jahren präsentier­t. Auch Garcia und Hutchings sind dabei. Und sie werden bleiben, selbst wenn diese Musikmode einmal vorbei ist.

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 ??  ?? Das selbstbewu­sste und interessan­te neue Gesicht der britischen Jazzszene: Die Tenorsaxof­onistin Nubya Garcia vereint in ihrem Spiel Vitalität und Poesie auf exzentrisc­he Art und Weise.
Das selbstbewu­sste und interessan­te neue Gesicht der britischen Jazzszene: Die Tenorsaxof­onistin Nubya Garcia vereint in ihrem Spiel Vitalität und Poesie auf exzentrisc­he Art und Weise.

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