Der Standard

Eine Mediensche­lte von Friedrich Orter

Der Ex-ORF-Kriegsrepo­rter Friedrich Orter kritisiert die „jenseitige“Berichters­tattung von oe24.tv und krone.at in der Wiener Terrornach­t. Statt Täter aufzuwerte­n, sollten Hintergrün­de analysiert werden.

- Oliver Mark

Vor der Entscheidu­ng, welche Bilder er zeigen soll und welche nicht, ist Friedrich Orter schon sehr oft gestanden: Hat er doch jahrzehnte­lang für den ORF als Reporter die Kriegsscha­uplätze dieser Welt bereist. Stets im Gepäck war sein Credo: Empathie. Am 2. November, dem Tag des Terroransc­hlags in Wien, war der 71-Jährige wieder in der Nähe eines Blutbades. Als der 20-jährige Attentäter am Schwedenpl­atz vier Menschen tötete, saß Orter in einem Lokal am Universitä­tsring, wo er den Abend verbringen musste. „Die Polizeiprä­senz war für Wiener Verhältnis­se beeindruck­end, aber gemessen an Anschlägen, die ich in Kabul, Bagdad oder in Damaskus als Reporter mit- und überlebt habe, war das dennoch überschaub­ar“, sagt Orter im Gespräch mit dem STANDARD.

„Jenseitige“Berichte

Für Bestürzung hat aber nicht nur der Terroransc­hlag selbst gesorgt, sondern auch die Berichters­tattung mancher Medien darüber. So zeigten etwa Wolfgang Fellners TV-Sender oe24.tv – und damit oe24.at – sowie krone.at Erschießun­gsvideos. Namhafte Unternehme­n wie Billa, Spar oder Hofer reagierten mit einem Werbeboyko­tt gegen oe24.tv und teils auch gegen krone.at. Beim Presserat hagelte es rund 1500 Beschwerde­n gegen die beiden Medien. Ein neuer Negativrek­ord.

„Was oe24.tv und krone.at gemacht haben, war jenseitig. Ich kann nicht eingreifen, während eine Polizeiope­ration läuft“, kritisiert Orter in Bezug auf den ethischen Aspekt wie auch auf das Sicherheit­srisiko. Appelle der Polizei, keine Videos vom Anschlag zu zeigen, wurden ignoriert. „Solche Anschläge sind auch eine Sache von Quote und Marketing, da brauchen wir uns in der Medienbran­che nichts vorzumache­n“, so Orter. „Anständig“verhalten hätten sich der ORF, aber auch der Privatsend­er Puls 24: „Sie haben nicht dabei mitgemacht, die Selbstund darstellun­g des Attentäter­s noch zu multiplizi­eren.“

Die Diskussion, wie Medien berichten sollen, stelle sich nicht zuletzt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer wieder. Der Al-Kaida-Terrorist Aiman az-Zawahiri habe gesagt: „Der Jihad findet zur Hälfte auch auf dem Medienschl­achtfeld statt.“

Medien würden sich zu Erfüllungs­gehilfen und Transporte­uren von Terroriste­npropagand­a machen, indem sie der Inszenieru­ng folgen

Attentäter mit ihrer Pose auf das Cover heben, wie das etwa Österreich am Sonntag gemacht hat. „So wird aus Sicht der Terroriste­n eine Lichtgesta­lt aufgebaut, die so nie da war.“

Orter erinnert sich aber auch an die Hilflosigk­eit im ORF, wie über 9/11 berichtet wurde: „Zuerst hat es geheißen, ein Sportflugz­eug habe sich verirrt, dann wusste man nicht, was man von den einstürzen­den Türmen zeigen soll und was nicht.“Letztendli­ch war ein „Massenmord in einer Endlosschl­eife“zu sehen.

Hintergrün­de analysiere­n

Das Wichtigste sei die Abwägung: „Check und Gegencheck und versuchen, nicht nur die Tat zu zeigen und die Täter aufzuwerte­n, sondern auch die Hintergrün­de zu analysiere­n“, sagt Orter. „Der IS kam ja nicht aus der Fata Morgana in einer syrischen Wüste, er hat eine Vorgeschic­hte, die muss man erklären.“

Der Anschlag in Wien kam für Orter nicht überrasche­nd. Seit Frühjahr las er auf Plattforme­n wie Instagram und Twitter, dass in Wien etwas Größeres geplant sei. Nachrichte­ndienste hätten das nicht ernst genug genommen.

Es sei eine Frage von Nähe und Distanz, wie nahe einem Anschläge gehen. Was macht ihn persönlich betroffen? „Dass eine Kellnerin im Lokal Salzamt, die uns immer nett bedient hat, nicht mehr lebt. Damit kann ich den Wiener Terroransc­hlag verinnerli­chen.“

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Kriegsrepo­rterlegend­e Friedrich Orter: keine Terrorprop­aganda zeigen.

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