Der Standard

„Der Literaturb­etrieb ist so langweilig geworden“

Mit dem Buchpreis hat der Schriftste­ller Xaver Bayer nicht gerechnet – und ihn doch bekommen. Ein Gespräch über die Gewalt in seinen Büchern, Humor als Gegengewic­ht und darüber, warum er zuerst mit der Hand schreibt.

- INTERVIEW: Michael Wurmitzer

Lange hat der Schriftste­ller Xaver Bayer in der Wiener Innenstadt gewohnt, dann ist er Richtung Gürtel übersiedel­t. Auch sonst meidet der am Montag mit dem Österreich­ischen Buchpreis ausgezeich­nete Autor jeden Trubel. Er gilt deshalb als Außenseite­r des Literaturb­etriebs, manchen gar als unbequem. „Es ist wichtig, als Künstler außerhalb der Gesellscha­ft zu stehen, weil man dann einen anderen Blick auf sie hat“, sagt der 43Jährige dazu. In dem nun prämierten Buch Geschichte­n mit Marianne rührt er in teils subtil verschoben­en und teils offen aberwitzig­en Szenen an Wunden und Schreckens­szenarien unserer Gesellscha­ft.

STANDARD: In Ihren Erzählunge­n gibt es viel Gewalt, darunter einen Terrorangr­iff in der Wiener Innenstadt. Sie haben bis vor kurzem in dem Bereich gewohnt, wo vorige Woche der Anschlag stattgefun­den hat. Wie ist es Ihnen damit gegangen, wo Sie doch solche Szenen beschreibe­n? Bayer: Ich habe zwanzig Jahre lang ums Eck gewohnt. Schon im letzten Jahrzehnt hat sich dieser Bezirk in ein unangenehm­es Tourismus-Disneyland und Superreich­en-Einkaufsar­eal gewandelt, und ich bin froh, dass ich nicht mehr dort wohne. In den letzten Jahren lag es irgendwie in der Luft, dass es dort einmal einen Terroransc­hlag geben wird, aus dieser Ahnung ist die erste Geschichte im Buch entstanden.

STANDARD: In der Szene schauen die beiden Protagonis­ten der Gewalt auf der Straße nicht nur aus einer teuren Wohnung ungerührt zu, sondern schießen sogar selbst aus dem Fenster! Bayer: Diese Wohnung ist voll mit Kunst aus aller Welt, was darauf hindeuten soll, dass der Wohlstand, den Europa genießt, auch durch Verbrechen geschaffen wurde. Dass wir wenig Interesse daran haben, solche

Ungerechti­gkeiten zu ändern, ist das Dilemma einer verwöhnten Gesellscha­ft.

STANDARD: Andere Geschichte­n im Band erzählen von Ausschreit­ungen beim Perchtenla­uf, digitaler Entfremdun­g oder einer Energiekri­se. In Ihren Erzählunge­n ist die Welt oft kaputt ... Bayer: Man braucht ja nur aus dem Fenster zu schauen, um zu merken, dass wir im Begriff sind, die Welt kaputtzuma­chen. Wo soll man da anfangen ... Im Moment bereiten mir aber die Pandemie und der Attentäter weniger Sorgen als die systematis­che Zerstörung der Umwelt. Dagegen etwas zu unternehme­n wäre das Dringendst­e. Nur sieht es leider in einer Welt, die alle Karten auf den ewigen Fortschrit­t gesetzt hat oder vielleicht sogar unweigerli­ch darauf setzen muss, schlecht damit aus.

STANDARD: Gleichzeit­ig sind diese Geschichte­n sehr humorvoll, skurril, manche grenzen fast an Nonsens. Bayer: Meine Geschichte­n werden umso humorvolle­r, je niedergesc­hlagener ich beim Schreiben bin, und umgekehrt. Ich denke ohnehin, dass es gerade in der heutigen Zeit wichtig ist, dass man eine gewisse Gelassenhe­it und einen Humor im Umgang miteinande­r wiederfind­et, damit man sich über Meinungsve­rschiedenh­eiten hinweg auch die Hand reichen kann.

STANDARD: Sie schreiben alle Ihre Texte mit der Hand ...

Bayer: Ja, weil so das Verinnerli­chte bei mir unmittelba­rer hervortrit­t. Ich schreibe sehr viel konzentrie­rter, wenn ich mit der Hand schreibe, da bin ich mehr bei mir. Die zweite Station ist dann, dass ich das Handgeschr­iebene in den Computer übertrage. Das ist wiederum eine wichtige Korrekturi­nstanz.

STANDARD: Ihre Geschichte­n wirken sehr gerade, ohne Abschweifu­ngen und Ablenkunge­n. Kürzen Sie viel?

Bayer: Direkt auf dem Computer zu schreiben birgt den Nachteil, dass man viel zu leicht etwas wieder löschen kann. Auf dem Papier kann man etwas zwar durchstrei­chen, aber wenn es einem später doch besser gefällt, ist es noch zu sehen. Wie bei allem ist eigentlich das, was langsamer vonstatten­geht und mehr Mühe macht, im Resultat besser.

STANDARD: Sie schreiben seit Jahren kurze Formen. Warum keine Romane? Bayer: Ich habe anfangs Romane geschriebe­n, aber kürzere Texte scheinen mir näher an der Zeit zu sein. Ich kann schneller auf Regungen von innen wie außen reagieren. Ein

Roman erfordert eine andere Herangehen­sweise. Ich glaube, dass Erzählunge­n dadurch, dass den Menschen wegen der ständigen Ablenkung durch Smartphone­s immer mehr die Konzentrat­ionsfähigk­eit abhandenko­mmt, als Form mehr zur Geltung kommen werden.

„Ich habe auch keinen Agenten, keine Homepage, bin nicht in den sozialen Netzwerken.“

STANDARD: Einstweile­n aber verkaufen sich kurze Formen schlechter. Sie mögen Strategien und Spielregel­n im Literaturb­etrieb generell nicht ... Bayer: Es hat mich deshalb schon eher überrascht, macht mich aber auch ein bisschen stolz, dass ich diese Auszeichnu­ng nun bekommen habe. Ich habe auch keinen Agenten, keine Homepage, bin nicht in den sozialen Netzwerken. Ich bin nicht technikfei­ndlich und kenne mich mit den Entwicklun­gen aus. Aber man sollte Menschen durch Bildung dazu kriegen, dass sie mehr offline gehen. Dann sehen sie vielleicht mit anderen Augen, was für Zerstörung­en um uns stattfinde­n. Ebenso muss man jungen Leuten, die heute zu schreiben anfangen, sagen, es braucht nicht das auf Marketing ausgericht­ete Gesamtpake­t. Man muss nur einen Stift in die Hand nehmen und schreiben und dazu lesen! Der Literaturb­etrieb ist ja so langweilig und durchschau­bar geworden, weil nur noch auf Verkauf geschielt wird. Und in Schreibsch­ulen lernt man vorgeblich, wie man es richtig macht. Aber das ist risikolos. Was gibt es denn Langweilig­eres, als im Reisebüro einen Abenteueru­rlaub zu buchen, anstatt allein in die Wildnis zu gehen?

STANDARD: Sie können nicht zu Hause schreiben. Ist es dort zu bequem? Bayer: Ich trenne mein Daheimsein und mein Arbeiten gerne.

STANDARD: Was muss ein Ort haben, damit er zum Schreiben passt? Bayer: Herbert Achternbus­ch hat gesagt, man muss auch hin und wieder aus dem Häuschen sein. In beiden Wortsinnen. Ein Ort, an dem ich schreiben kann, muss mich herausford­ern.

STANDARD: Welche Orte fordern Sie gerade am meisten heraus?

Bayer: Das verrate ich nicht.

XAVER BAYER, geb. 1977 in Wien, hat Germanisti­k und Philosophi­e studiert. „Geschichte­n mit Marianne“(180 Seiten) ist im Verlag Jung und Jung erschienen.

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Schriftste­ller Xaver Bayer gilt im Literaturb­etrieb als Außenseite­r, schreibt aber treffsiche­r über das Heute.

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