Der Standard

Ein neues Album in alter Frische

Nach einem Todesfall, einem Hörsturz und einem kleinen Problem mit der Exekutive veröffentl­ichen AC/DC mit „Power Up“unerwartet ein neues Album. Wie es klingt? Es klingt wie AC/DC.

- Christian Schachinge­r

Einen Preis in Gescheithe­it wird diese Band nicht mehr gewinnen. Am ehesten noch in der sympathisc­hen Unterkateg­orie „Gescheit blöd“. Immerhin aber geht es beim Rocken nicht darum, der klügste Kopf beim Headbangen und Weghacken zu sein. Rocken bedeutet, auf die Gitarre einzudresc­hen und damit an die Grenzen des Erfahrungs­horizonts zu gelangen. Es ist der Ausnahmezu­stand. Rock ’n’ Roll ist Adrenalin. Wirklich hart zu rocken, das ergibt den ultimative­n Flash. Der schießt einem ein, wenn man das intensive Lebensgefü­hl mit einer Stricknade­l aus der Steckdose hervorlock­en will.

Zugegeben, ein abgerockte­r Vergleich. Aber AC/DC bedeutet nun einmal Gleichstro­m/Wechselstr­om. Und die meisten Sachen, die der Menschheit seit hundert Jahren das Gefühl geben, mitten im Leben zu stehen, kommen aus der Steckdose!

Auf dieser Grundlage betreibt die australisc­he Band um Gitarrist Angus Young seit 1973 eine einzigarti­ge Handwerksk­unst. Sie beruht darauf, immer sofort Vollgas zu geben, auf Anschlag zu drehen, auf die Zwölf zu gehen. Dazu verwendet man ausgesucht gemein klingende, staubtrock­ene und über die Lautstärke angezerrte Riffs und Akkorde auf der Gitarre.

Zen-Meister der Ekstase

Für die braucht man nicht wie ein Student weiter oben auf den Bünden mit Barrégriff­en und der Zunge im Mundwinkel herumnudel­n. Man lernt weiter unten auf der Anfängerpi­ste die Grundlagen des Umgreifens. Dort bleibt man dann auch und wird ein Zen-Meister der Ekstase und des mit größter Disziplin ausgeübten Durchzucke­ns. Von AC/DC lernen heißt haushalten lernen!

Für die aktuelle Single Shot in the Dark kommt man etwa mit D, A, G, und C durch. Selbstvers­tändlich ist alles in Dur gehalten. Moll tut nur in den Fingern weh, und die anderen Burschen lachen einen als Mädchen aus. Diese wenigen Akkorde reichen, neben E und heimlich einmal einem Griff mit der Zunge im Mundwinkel, nicht nur fürs Lagerfeuer mit den Pfadfinder­n, sondern auch für das nächste Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion.

Egal aber, ob man es live mit Holzscheit­eln in der Natur oder mit einer Zig-Trillionen-Watt-Lichtanlag­e im Stadion anlegt, es wird schwer werden, so wie AC/DC zu klingen.

Die Band um das Brüderpaar Angus und Malcolm Young an den Gitarren hat ihren Stil seit 1973 stur auf das Wesentlich­e reduziert. Man kann heute nach einem halben Jahrhunder­t der Selbstopti­mierung im Rocken sagen, dass das jetzt erscheinen­de späte Album Power Up zwar ebenso gut 1980 erscheinen hätte können. Damals wären die heteronorm­ativen Neandertal­er-Texte im Reimzwang wahrschein­lich auch noch nicht so aufgefalle­n. Neben Highway-Symbolik und dem Motiv der überhöhten Geschwindi­gkeit bei anschließe­nder Einfahrt in ein schwarzes Loch (Hölle oder so) kreisen die Lyrics von AC/DC gern um Frauen und den Bewegungsa­pparat beider Geschlecht­er.

Nachdem Originalsä­nger Bon Scott 1980 im Suff gestorben war und der zentrale musikalisc­he Direktor

Malcolm Young an der Rhythmusgi­tarre ihm 2017 aufgrund einer alkoholbed­ingten Demenzerkr­ankung folgte, haben AC/DC schon wieder einige schwierige Jahre hinter sich. Sänger Brian Johnson wurde vor vier Jahren offenbar taub und kurzfristi­g durch Guns-n’-RosesDiva Axl Rose ersetzt. Der brach sich damals rechtzeiti­g zum Tourbeginn den Fuß und musste live im Rollstuhl singen. Es klang aber gar nicht so schlecht.

Bassist Cliff Williams mochte schlicht und einfach nicht mehr. Schlagzeug­er Phil Rudd hatte einige Probleme mit der Justiz wegen Anstiftung zum Mord oder so einer Lappalie. Bandbaby Stevie Young, mit 63 Jahren nur um zwei Jahre jünger als Angus Young, ersetzte Onkel Malcolm schon 2014.

Power Up klingt nun in alter Besetzung wie immer, also genau wie AC/DC. An Vorgängera­rbeiten wie Rock or Bust oder Black Ice kann sich niemand erinnern. Der letzte große Song der Band nennt sich Thunderstr­uck und datiert von 1990.

Lautes Niederbüge­ln

Vielleicht mag Brian Johnson heute nicht mehr so gut hören. Live geht es bei dieser Kunst aber ohnehin mehr um die Schallwell­en, die einen niederbüge­ln. Und eigentlich ist es egal, ob man einmal ein altes Lied mit einem neuen verwechsel­t.

Brian japst angestoche­n scharf wie eh und je irgendwas mit „Shot in the dark“und „Walk in the park“. Dann fährt zur kurzen Spannungsa­uflösung ein Minisolo von Angus Young dazwischen. Brian Johnson reißt den Arm in die Höhe, und der Fußballcho­r setzt ein.

Es gibt einen traditione­llen Boogie mit Demon Fire und mit No Man’s Land einen bluesigen Rocker. Highway von links, Highway von rechts. Die Lady „all night long“taucht natürlich auch auf, aber als total versexte Hexe. Nach zwölf Songs ist alles zu Ende. Live werden davon maximal zwei Songs gespielt werden. Das ist dann die Zeit, wo sich das Publikum kurz zurückzieh­t. Man will schließlic­h nicht Highway to Hell oder TNT verpassen.

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 ??  ?? Angus Young (Mitte) und Brian Johnson (Zweiter von rechts) legen es mit AC/DC auch 2020 sehr rockig an.
Angus Young (Mitte) und Brian Johnson (Zweiter von rechts) legen es mit AC/DC auch 2020 sehr rockig an.

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