Der Standard

Angst vor Corona-Kontrollve­rlust in der Pflege

Infektions­zahl in österreich­ischen Altenheime­n in 14 Tagen mehr als verdoppelt

- Gabriele Scherndl

Wien – Allein in den vergangene­n zwei Wochen hat sich die Zahl der Corona-Infektione­n in Österreich­s Alters- und Pflegeheim­en mehr als verdoppelt: auf über 1800 aktive Fälle. Auch die Zahl der Heimbewohn­erinnen und -bewohner, die mit dem Virus verstarben, steigt. Seit Beginn der Pandemie waren das bis Ende Oktober gut 350, Stand Mittwoch 555 Menschen. Gleichzeit­ig wird das Contact-Tracing immer schwierige­r, sodass die Ages nicht mehr festmachen kann, wie viele Cluster derzeit auf Pflegeheim­e zurückzufü­hren sind. Eine frisch novelliert­e Verordnung des Gesundheit­sministeri­ums soll die Corona-Ausbreitun­g in Heimen weiter eindämmen. Doch eine Passage, wonach auch positiv getestete Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Heime kommen sollen, sorgt für Verunsiche­rung.

Am Mittwoch wurden österreich­weit 7514 Neuinfekti­onen verzeichne­t. Das war der zweithöchs­te Wert seit Beginn der Pandemie. Allerdings sind in diesen Zahlen auch Nachmeldun­gen enthalten, weil es Probleme mit dem Epidemiolo­gischen Meldesyste­m gab. Der Wochenschn­itt zeigt mit durchschni­ttlich 6754 Neuinfekti­onen pro Tag aber weiter nach oben. In den Krankenhäu­sern wird neben den verfügbare­n Intensivbe­tten auch das Personal immer knapper.

Bis Freitag will die Regierung entscheide­n, ob der Lockdown verschärft wird. Zur Debatte steht dabei eine Schließung sämtlicher Schulen. Die Front der Gegner dieser Maßnahme wächst allerdings. Denkbar ist auch, dass nur die Unterstufe­n geschlosse­n werden. Volksschul­en könnten offen bleiben. (red)

In nur zwei Wochen haben sich die CoronaInfe­ktionen in Alters- und Pflegeheim­en mehr als verdoppelt. Österreich­weit waren das am Mittwochmo­rgen 1859 bestätigte aktuelle Fälle. Noch vor zwei Wochen lag diese Zahl bei 844. Auch beim Personal steigen die Fälle rapide an: von 400 Ende Oktober auf über 1000 am Mittwoch. Das geht aus Einmeldung­en der Bundesländ­er hervor, für die Vollständi­gkeit sind die einzelnen Länder zuständig, betont man im Gesundheit­sministeri­um.

Grund genug, die Situation in den Heimen im Detail zu betrachten. Hat man es verschlafe­n, die Pandemie von Altersheim­en fernzuhalt­en? Zumindest auf juristisch­er Ebene hat sich seit dem Frühling viel bewegt. Waren im März Heimbetrei­ber und Länder auf Empfehlung­en angewiesen, aus denen sie sich ihren Umgang mit der Krise zusammenzi­mmerten, so gibt es nun klare Vorgaben. Seit Anfang des Monats werden Pflegeheim­e in der sogenannte­n Schutzmaßn­ahmenveror­dnung von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) explizit geregelt, erst diese Woche wurde sie novelliert.

Dürfen Infizierte arbeiten?

Ein Punkt in dieser Verordnung sorgt besonders für Aufsehen. Da heißt es, Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen in den Heimen könnten auch dann in die Arbeit kommen, wenn sie zwar laut Corona-Test positiv, aber nicht mehr ansteckend sind. Die Passage wurde nun konkretisi­ert, jetzt steht da, dass der sogenannte CT-Wert über 30 liegen muss. Im Gesundheit­sministeri­um beruhigt man: Nach wie vor – und das schon seit Mai – würde man mit Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn von Pflegeheim­en besonders vorsichtig umgehen, diese müssten auch nach der Quarantäne vor Arbeitsant­ritt noch einen Test machen. Doch Faktum sei nun einmal, dass man auch Wochen nach einer Infektion noch positiv sein könne, aber nicht ansteckend.

Angehörige seien aufgrund der Regelung verunsiche­rt, sagt Michael Hufnagel vom Vertretung­snetz Wien. „Dass auch positiv Getestete dort arbeiten gehen müssen, ist für sie irritieren­d“, sagt er. Hufnagl ist als Bewohnerve­rtreter auch dafür zuständig, Freiheitsb­eschränkun­gen in Altersheim­en zu kontrollie­ren und gegebenenf­alls gerichtlic­h überprüfen zu lassen.

Davon gab es im Frühling besonders viele, manche Heime sperrten ihre Bewohnerin­nen und Bewohner aus Angst vor dem Virus ein – selbst wenn diese nur spazieren oder beim Arzt waren. Auch das ist mittlerwei­le klar in der Verordnung festgeschr­ieben: Es dürfe nicht zu „unverhältn­ismäßigen Maßnahmen“kommen, heißt es da. Trotzdem gibt es immer noch Fälle von Freiheitsb­eschränkun­gen in Zusammenha­ng mit dem Virus, 40 waren es insgesamt seit März. Hufnagl erzählt von einem Fall, den er gerade vor Gericht brachte: Eine Corona-positive Frau wurde in ihrem Zimmer eingeschlo­ssen. „Aus meiner Sicht müsste man dem personell in Form von Einszu-eins-Betreuung entgegenha­lten“, sagt Hufnagl. Doch dafür sei kein Personal da.

Und das vorhandene Personal, sagt Adelheid Pacher von der Volksanwal­tschaft, sei mehr als ausgelaste­t. Es gebe durch die Pandemie „zusätzlich­e Aufgaben, etwa was die Hygiene angeht, oder veränderte Dienstplän­e. Das ist alles mit zusätzlich­em Aufwand verbunden, und da gibt es keine wirkliche Idee, wie man das hinbekommt.“Doch viele Forderunge­n der Volksanwal­tschaft wurden mittlerwei­le umgesetzt. So sei Schutzausr­üstung angeschaff­t worden, sagt Pacher, außerdem ist der Bund gerade mitten in der Auslieferu­ng von hunderttau­senden Antigentes­ts, drei Millionen sind insgesamt bestellt.

Auch Todesfälle steigen rasch an

Zurück zu den eingangs erwähnten Zahlen: Das Infektions­geschehen in den Heimen schlägt sich, das zeigen die Unterlagen, die dem STANDARD vorliegen, auch auf die Spitäler nieder. Momentan liegen 313 Personen, die eigentlich im Heim leben und an Corona erkrankt sind, im Krankenhau­s. Diese Zahl stieg in zwei Wochen um 70 Fälle an. Seit Beginn der Pandemie sind österreich­weit 555 Altersheim­bewohner und -bewohnerin­nen mit dem Coronaviru­s verstorben. Allein in den letzten zwei Wochen waren das 187.

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In einem wegen Corona abgesicher­ten sogenannte­n Umarmungsr­aum in einem Heim unweit von Venedig unterhält sich eine Frau mit ihrer alten Mutter – Plastikber­ührungen inklusive.
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Eine neue Verordnung soll in den Pflegeheim­en „Härtefälle vermeiden“. Gemeint ist: Auch alte Menschen dürfen in der Pandemie nicht ohne Grund weggesperr­t werden.

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