Angst vor Corona-Kontrollverlust in der Pflege
Infektionszahl in österreichischen Altenheimen in 14 Tagen mehr als verdoppelt
Wien – Allein in den vergangenen zwei Wochen hat sich die Zahl der Corona-Infektionen in Österreichs Alters- und Pflegeheimen mehr als verdoppelt: auf über 1800 aktive Fälle. Auch die Zahl der Heimbewohnerinnen und -bewohner, die mit dem Virus verstarben, steigt. Seit Beginn der Pandemie waren das bis Ende Oktober gut 350, Stand Mittwoch 555 Menschen. Gleichzeitig wird das Contact-Tracing immer schwieriger, sodass die Ages nicht mehr festmachen kann, wie viele Cluster derzeit auf Pflegeheime zurückzuführen sind. Eine frisch novellierte Verordnung des Gesundheitsministeriums soll die Corona-Ausbreitung in Heimen weiter eindämmen. Doch eine Passage, wonach auch positiv getestete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Heime kommen sollen, sorgt für Verunsicherung.
Am Mittwoch wurden österreichweit 7514 Neuinfektionen verzeichnet. Das war der zweithöchste Wert seit Beginn der Pandemie. Allerdings sind in diesen Zahlen auch Nachmeldungen enthalten, weil es Probleme mit dem Epidemiologischen Meldesystem gab. Der Wochenschnitt zeigt mit durchschnittlich 6754 Neuinfektionen pro Tag aber weiter nach oben. In den Krankenhäusern wird neben den verfügbaren Intensivbetten auch das Personal immer knapper.
Bis Freitag will die Regierung entscheiden, ob der Lockdown verschärft wird. Zur Debatte steht dabei eine Schließung sämtlicher Schulen. Die Front der Gegner dieser Maßnahme wächst allerdings. Denkbar ist auch, dass nur die Unterstufen geschlossen werden. Volksschulen könnten offen bleiben. (red)
In nur zwei Wochen haben sich die CoronaInfektionen in Alters- und Pflegeheimen mehr als verdoppelt. Österreichweit waren das am Mittwochmorgen 1859 bestätigte aktuelle Fälle. Noch vor zwei Wochen lag diese Zahl bei 844. Auch beim Personal steigen die Fälle rapide an: von 400 Ende Oktober auf über 1000 am Mittwoch. Das geht aus Einmeldungen der Bundesländer hervor, für die Vollständigkeit sind die einzelnen Länder zuständig, betont man im Gesundheitsministerium.
Grund genug, die Situation in den Heimen im Detail zu betrachten. Hat man es verschlafen, die Pandemie von Altersheimen fernzuhalten? Zumindest auf juristischer Ebene hat sich seit dem Frühling viel bewegt. Waren im März Heimbetreiber und Länder auf Empfehlungen angewiesen, aus denen sie sich ihren Umgang mit der Krise zusammenzimmerten, so gibt es nun klare Vorgaben. Seit Anfang des Monats werden Pflegeheime in der sogenannten Schutzmaßnahmenverordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) explizit geregelt, erst diese Woche wurde sie novelliert.
Dürfen Infizierte arbeiten?
Ein Punkt in dieser Verordnung sorgt besonders für Aufsehen. Da heißt es, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Heimen könnten auch dann in die Arbeit kommen, wenn sie zwar laut Corona-Test positiv, aber nicht mehr ansteckend sind. Die Passage wurde nun konkretisiert, jetzt steht da, dass der sogenannte CT-Wert über 30 liegen muss. Im Gesundheitsministerium beruhigt man: Nach wie vor – und das schon seit Mai – würde man mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Pflegeheimen besonders vorsichtig umgehen, diese müssten auch nach der Quarantäne vor Arbeitsantritt noch einen Test machen. Doch Faktum sei nun einmal, dass man auch Wochen nach einer Infektion noch positiv sein könne, aber nicht ansteckend.
Angehörige seien aufgrund der Regelung verunsichert, sagt Michael Hufnagel vom Vertretungsnetz Wien. „Dass auch positiv Getestete dort arbeiten gehen müssen, ist für sie irritierend“, sagt er. Hufnagl ist als Bewohnervertreter auch dafür zuständig, Freiheitsbeschränkungen in Altersheimen zu kontrollieren und gegebenenfalls gerichtlich überprüfen zu lassen.
Davon gab es im Frühling besonders viele, manche Heime sperrten ihre Bewohnerinnen und Bewohner aus Angst vor dem Virus ein – selbst wenn diese nur spazieren oder beim Arzt waren. Auch das ist mittlerweile klar in der Verordnung festgeschrieben: Es dürfe nicht zu „unverhältnismäßigen Maßnahmen“kommen, heißt es da. Trotzdem gibt es immer noch Fälle von Freiheitsbeschränkungen in Zusammenhang mit dem Virus, 40 waren es insgesamt seit März. Hufnagl erzählt von einem Fall, den er gerade vor Gericht brachte: Eine Corona-positive Frau wurde in ihrem Zimmer eingeschlossen. „Aus meiner Sicht müsste man dem personell in Form von Einszu-eins-Betreuung entgegenhalten“, sagt Hufnagl. Doch dafür sei kein Personal da.
Und das vorhandene Personal, sagt Adelheid Pacher von der Volksanwaltschaft, sei mehr als ausgelastet. Es gebe durch die Pandemie „zusätzliche Aufgaben, etwa was die Hygiene angeht, oder veränderte Dienstpläne. Das ist alles mit zusätzlichem Aufwand verbunden, und da gibt es keine wirkliche Idee, wie man das hinbekommt.“Doch viele Forderungen der Volksanwaltschaft wurden mittlerweile umgesetzt. So sei Schutzausrüstung angeschafft worden, sagt Pacher, außerdem ist der Bund gerade mitten in der Auslieferung von hunderttausenden Antigentests, drei Millionen sind insgesamt bestellt.
Auch Todesfälle steigen rasch an
Zurück zu den eingangs erwähnten Zahlen: Das Infektionsgeschehen in den Heimen schlägt sich, das zeigen die Unterlagen, die dem STANDARD vorliegen, auch auf die Spitäler nieder. Momentan liegen 313 Personen, die eigentlich im Heim leben und an Corona erkrankt sind, im Krankenhaus. Diese Zahl stieg in zwei Wochen um 70 Fälle an. Seit Beginn der Pandemie sind österreichweit 555 Altersheimbewohner und -bewohnerinnen mit dem Coronavirus verstorben. Allein in den letzten zwei Wochen waren das 187.