Der Standard

Für Attentäter von Wien stand Stellungst­ermin an

In der Islamisten­szene kursieren für den wehrpflich­tigen Nachwuchs diverse Empfehlung­en. Doch wie bei anderen Gefährdern auch siebte das Bundesheer den Terroriste­n – für ihn unbemerkt – schon vorher aus.

- David Krutzler, Nina Weißenstei­ner

Zehn Tage nach dem Anschlag in Wien treiben die Behörden noch immer viele Fragen rund um den getöteten Terroriste­n um, der am Abend des 2. November in der Innenstadt unter anderem mit einem Sturmgeweh­r vier Menschen getötet und knapp zwei Dutzend schwer verletzt hat. Als sicher gilt, dass der 20-jährige IS-Anhänger, der auch über die österreich­ische Staatsbürg­erschaft verfügte und hierzuland­e aufgewachs­en war, noch in derselben Woche seinen Stellungst­ermin gehabt hätte, wie Profil zuerst berichtete.

Vier Tage vor seiner Bluttat, konkret am 29. Oktober, erschien der spätere Attentäter zum letzten Mal bei seinem Betreuer, wie Moussa Al-Hassan Diaw vom Deradikali­sierungsve­rein Derad bestätigt – und dabei ging es auch um sein Interesse am Bundesheer, aber auch um seine Gewissensk­onflikte, dass er im Ernstfall vielleicht gar gegen Muslime kämpfen müsste.

In islamistis­chen Kreisen, so erzählt Diaw im Gespräch mit dem STANDARD, beschäftig­t Jihadisten im wehrfähige­n Alter zudem oft, wie sie sich im Zuge der Angelobung am besten dem Gelöbnis auf die Republik und die hiesige Verfassung entziehen können – hier kursiere unter anderem die Empfehlung, in dem heiklen Moment nicht in den Chor der Kameraden („Ich gelobe!“) einzustimm­en, sondern einfach demonstrat­iv den Mund zu halten. „Der Staat wird von ihnen abgelehnt“, so Diaw.

In einer der beiden geschlosse­nen Wiener Moscheen, in der der Terrorist verkehrte, konkret in jener der Ottakringe­r Hasnerstra­ße, wirkten außerdem ältere Islamisten gern auf die heranwachs­enden Männer ein, sich am besten überhaupt vor dem Dienst am Staat zu drücken. In der zweiten geschlosse­nen Moschee in der Meidlinger Murlingeng­asse hingegen soll laut Diaw ein Ableisten des Wehrdienst­es beim Bundesheer nicht als problemati­sch angesehen werden.

Schwarze Liste

Oberst Michael Bauer, Sprecher des Bundesheer­es, bestätigt, dass der Terrorist seinen Stellungst­ermin unmittelba­r „vor sich“hatte. Fest steht auch, dass im Vorjahr von rund 44.800 Stellungsp­flichtigen gut 16.000 zum Wehrdienst eingezogen wurden. Das bedeutet, dass ein Gutteil dieser jungen Männer beim Militär auch den Umgang mit einem Sturmgeweh­r erlernt hat – wie siebt man da Jahr um Jahr angesichts dieser Vielzahl genau jene heraus, die nicht einmal in die Nähe derart letaler Waffen kommen dürfen?

Grundsätzl­ich gilt beim Bundesheer: Personen, die gegen das Strafrecht verstoßen haben oder unter Beobachtun­g der Polizei stehen, sind auf der Blacklist. Dazu gehören auch Personen, die sich Drogendeli­kte haben zuschulden kommen lassen.

Sperrverme­rk in Kraft

Bereits im Vorfeld der Musterung wird daher bei jedem Stellungsp­flichtigen auch penibel abgegliche­n, ob bei ihm einschlägi­ge Urteile der Justiz und damit entspreche­nde Ergebnisse der Exekutive vorliegen. Ist derart Schwerwieg­endes vorhanden, kassiert der Betreffend­e einen Sperrverme­rk – ohne dass ihm das mitgeteilt wird. Der Attentäter von Wien, erinnert Bauer, saß bereits wegen Terrordeli­kten ein – und hätte daher „gar keine Chance“auf ein Einrücken beim Bundesheer gehabt.

Auch im Zuge und nach dem Grundwehrd­ienst kommt es bei verdächtig­em oder wenig vertrauens­würdigem Verhalten zu Einzelfall­prüfungen, und es kann weitere Sperrverme­rke setzen – und das schließt eine weitere Laufbahn bei der Miliz oder als Berufssold­at aus.

Wie der Dienst an der Waffe ist zudem auch der Zugang zu Munition beim Bundesheer streng reglementi­ert: Diese wird nur vor dem Scharfschi­eßen und vor Einsätzen ausgegeben. Auch die Ausgabe von Munition an Wachsoldat­en wird bei deren Dienstantr­itt und zu Dienstschl­uss genauesten­s kontrollie­rt und dokumentie­rt.

Kein Schuss für die Garde

Und für feierliche Staatsakte, an denen der Bundespräs­ident als Oberbefehl­shaber und die Regierungs­spitzen teilnehmen, kann Bauer zumindest dafür Entwarnung geben: Wann immer dort Soldaten für eine Ehrenaufst­ellung aufmarschi­eren, findet sich kein Schuss in deren Gewehren. Allerdings: Für den Worst Case stehen rund um diese Szenerien freilich stets ausreichen­d Bewaffnete bereit.

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Angelobung mit Abstand auf dem Wiener Heldenplat­z wegen Corona: Rund um solche Staatsakte stehen stets Bewaffnete für den Worst Case bereit.

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