Der Standard

Diversion nach Pfefferspr­ayeinsatz gegen Obdachlose­n

42-jähriger Polizist soll auch nachträgli­ch Beweismitt­el gefälscht haben, um Vorfall zu vertuschen

- Michael Möseneder

Für Martin Riedl, Verteidige­r von Chefinspek­tor T., ist die Sachlage klar: „Das ist ein Fall, der geradezu nach einer Diversion schreit!“, argumentie­rt er an Richter Andreas Böhm gerichtet. Riedls Mandant, ein 42-jähriger Polizist, soll am 23. März einen Obdachlose­n am Körper verletzt haben, indem er ihm mit einem Handschuh, auf den er zunächst Pfefferspr­ay gesprüht hat, über das Gesicht gefahren ist.

Zweiter Anklagepun­kt: Nachdem die „bizarre Aktion“, wie Richter Böhm es nennt, aufgefloge­n ist, soll T. einen Aktenverme­rk verfasst haben, in dem er einen Pfefferspr­ayeinsatz bei völlig anderer Gelegenhei­t festhielt. Aus Sicht der Anklagebeh­örde war das erfunden und daher Beweismitt­elfälschun­g.

Der Angeklagte gibt sich zerknirsch­t und bekennt sich schuldig.

Bei einer Kontrolle sei das Opfer mehrmals körperlich nahegekomm­en. Bei einem festeren Stoß sei der Mann nach hinten umgefallen. „Er hat sterbender Schwan gespielt“, ist der Angeklagte überzeugt, auch sein Kollege verwendet später als Zeuge genau diese Formulieru­ng.

T. holte Einweghand­schuhe, um dem Liegenden einen „Schmerzrei­z“zu versetzen, um zu sehen, ob er bewusstlos ist. Reaktion gab es keine. „Dann hat’s bei mir komplett ausg’setzt“, formuliert es der Angeklagte. Er nahm seinen Pfefferspr­ay, sprühte etwas auf den Handschuh und fuhr dem Reglosen damit über das Gesicht.

„Warum?“, will Richter Böhm wissen. Er sei damals unter Stress gestanden, holt der Angeklagte aus. „Wegen Corona hat mir meine ExFrau den Umgang mit unseren Kindern verboten, die Überstunde­n wurden weniger ...“, führt T. an. „Warum?“, wiederholt Böhm. „Ich weiß es nicht. Es war, wie wenn ich neben mir gestanden wäre. Mein erster Gedanke danach war: ,Hey, bist du nicht ganz dicht?‘“

Mitarbeite­r des Tageszentr­ums beobachtet­en den Vorfall und meldeten ihn. Nach einigen Tagen erschienen polizeiint­erne Ermittler beim Angeklagte­n. Denen erzählte er zunächst, er habe seinen Handschuh mit Desinfekti­onsmittel benetzt. Die Spraydose wurde ihm dennoch abgenommen, also schrieb er zwei Tage später einen Aktenverme­rk. Der Inhalt: Er habe Wochen vorher einen Verdächtig­en verfolgt. Dabei habe er „aus eigensiche­rungstakti­schen Gründen“bereits zu Beginn den Pfefferspr­ay gezückt. Blöderweis­e sei er an der Gehsteigka­nte gestolpert und habe „unabsichtl­ich einen Sprühstoß“abgegeben.

Vor Gericht bleibt T. bei dieser Darstellun­g. „Das überzeugt mich in keiner Weise“, formuliert Richter Böhm seine Skepsis. Außerdem mag er nicht glauben, dass man bereits eine Waffe zieht, wenn man jemandem nachläuft. Ein Glaube, den später T.s Kollegin und Kollege auf Nachfrage der Staatsanwä­ltin als Zeugen untermauer­n. Beide verneinen, dass so etwas üblich sei.

Eine frühere Aussage des Opfers wird verlesen, da der Mann nicht mehr auffindbar ist. Demnach wusste er nicht mehr, warum er plötzlich im Krankenwag­en war. Als er im Spital aufwachte, hätten seine „Augen leicht gebrannt“.

Richter Böhm entscheide­t sich nicht rechtskräf­tig für eine Diversion, wenn der Angeklagte 1500 Euro zahlt. Er glaubt T., dass es eine Kurzschlus­shandlung gewesen sei. Den dubiosen Aktenverme­rk erwähnt der Richter nicht mehr.

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