Diversion nach Pfeffersprayeinsatz gegen Obdachlosen
42-jähriger Polizist soll auch nachträglich Beweismittel gefälscht haben, um Vorfall zu vertuschen
Für Martin Riedl, Verteidiger von Chefinspektor T., ist die Sachlage klar: „Das ist ein Fall, der geradezu nach einer Diversion schreit!“, argumentiert er an Richter Andreas Böhm gerichtet. Riedls Mandant, ein 42-jähriger Polizist, soll am 23. März einen Obdachlosen am Körper verletzt haben, indem er ihm mit einem Handschuh, auf den er zunächst Pfefferspray gesprüht hat, über das Gesicht gefahren ist.
Zweiter Anklagepunkt: Nachdem die „bizarre Aktion“, wie Richter Böhm es nennt, aufgeflogen ist, soll T. einen Aktenvermerk verfasst haben, in dem er einen Pfeffersprayeinsatz bei völlig anderer Gelegenheit festhielt. Aus Sicht der Anklagebehörde war das erfunden und daher Beweismittelfälschung.
Der Angeklagte gibt sich zerknirscht und bekennt sich schuldig.
Bei einer Kontrolle sei das Opfer mehrmals körperlich nahegekommen. Bei einem festeren Stoß sei der Mann nach hinten umgefallen. „Er hat sterbender Schwan gespielt“, ist der Angeklagte überzeugt, auch sein Kollege verwendet später als Zeuge genau diese Formulierung.
T. holte Einweghandschuhe, um dem Liegenden einen „Schmerzreiz“zu versetzen, um zu sehen, ob er bewusstlos ist. Reaktion gab es keine. „Dann hat’s bei mir komplett ausg’setzt“, formuliert es der Angeklagte. Er nahm seinen Pfefferspray, sprühte etwas auf den Handschuh und fuhr dem Reglosen damit über das Gesicht.
„Warum?“, will Richter Böhm wissen. Er sei damals unter Stress gestanden, holt der Angeklagte aus. „Wegen Corona hat mir meine ExFrau den Umgang mit unseren Kindern verboten, die Überstunden wurden weniger ...“, führt T. an. „Warum?“, wiederholt Böhm. „Ich weiß es nicht. Es war, wie wenn ich neben mir gestanden wäre. Mein erster Gedanke danach war: ,Hey, bist du nicht ganz dicht?‘“
Mitarbeiter des Tageszentrums beobachteten den Vorfall und meldeten ihn. Nach einigen Tagen erschienen polizeiinterne Ermittler beim Angeklagten. Denen erzählte er zunächst, er habe seinen Handschuh mit Desinfektionsmittel benetzt. Die Spraydose wurde ihm dennoch abgenommen, also schrieb er zwei Tage später einen Aktenvermerk. Der Inhalt: Er habe Wochen vorher einen Verdächtigen verfolgt. Dabei habe er „aus eigensicherungstaktischen Gründen“bereits zu Beginn den Pfefferspray gezückt. Blöderweise sei er an der Gehsteigkante gestolpert und habe „unabsichtlich einen Sprühstoß“abgegeben.
Vor Gericht bleibt T. bei dieser Darstellung. „Das überzeugt mich in keiner Weise“, formuliert Richter Böhm seine Skepsis. Außerdem mag er nicht glauben, dass man bereits eine Waffe zieht, wenn man jemandem nachläuft. Ein Glaube, den später T.s Kollegin und Kollege auf Nachfrage der Staatsanwältin als Zeugen untermauern. Beide verneinen, dass so etwas üblich sei.
Eine frühere Aussage des Opfers wird verlesen, da der Mann nicht mehr auffindbar ist. Demnach wusste er nicht mehr, warum er plötzlich im Krankenwagen war. Als er im Spital aufwachte, hätten seine „Augen leicht gebrannt“.
Richter Böhm entscheidet sich nicht rechtskräftig für eine Diversion, wenn der Angeklagte 1500 Euro zahlt. Er glaubt T., dass es eine Kurzschlusshandlung gewesen sei. Den dubiosen Aktenvermerk erwähnt der Richter nicht mehr.