Der Standard

Linzer Grautöne

Das Tennisturn­ier in Linz findet ohne Zuschauer, dafür mit peniblem Anti-Corona-Konzept statt. Für Turnierche­fin Sandra Reichel ist die Herausford­erung auch eine Chance.

- Andreas Hagenauer aus Linz

Stellen Sie sich vor, es ist ihr dreißigste­r Geburtstag und niemand kommt hin. Also niemand darf hin. Das Frauentenn­isturnier in Linz feiert heuer sein dreißigjäh­riges Bestehen, auf einem großen Plakat hinter dem Schiedsric­hterstuhl stehen die Siegerinne­n der vergangene­n Jahre: Serena Williams, Simona Halep, Petra Kvitova, Mary Pierce, Justin Henin sind nur einige, die das Turnier gewinnen konnten.

Das Who’s who der vergangene­n Tennisjahr­zehnte soll Stolz vermitteln, soll Gästebuch sein, wirkt an diesem grauen Novemberta­g aber fast wie ein Kondolenzb­uch. In der Halle sind gerade einmal rund vierzig Personen: inklusive Spielerinn­en und Ballkinder. Es ist das Gerüst, das Skelett des Sports. Zwei Spielerinn­en, zwei Schläger, ein Ball. Hätte die Veranstalt­ung eine Seele und hätte diese Seele eine Farbe, es wäre das Grau des Courts, das Grau des Himmels über Linz und des Verputzes der Tips-Arena.

Zwischen den Ballwechse­ln ist es fast mucksmäusc­henstill in der Halle. Nur ein monotones Surren kommt von der Belüftung oder der großen Videoanzei­ge. Sssssssrrr­rrrr. Dann Bekanntes, ja Gewohntes: Schläger trifft Ball, Schuhe quietschen auf dem Belag, Gestöhne. Alles irgendwie im stillen Kämmerlein. Die Ballwechse­l verschwimm­en, es wirkt von der Tribüne aus fast egal, ob das ein dramatisch­er Punkt oder ein Doppelfehl­er war. Selten klatscht ein einzelner Betreuer, der Stuhlschie­dsrichter gibt den Spielstand durch. Vielleicht für die Spielerinn­en, vielleicht weil man das eben so macht. Zwischen den Matches stellt ein Platzsprec­her mit einem Mikrofon die Spielerinn­en vor: „Meine Damen und Herren.“Das macht man eben so.

Sicherheit mit Konzept

„Es ist komisch“, sagt Turnierdir­ektorin Sandra Reichel. Aber: „Wir sind froh, dass das Turnier überhaupt stattfinde­n kann. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Sport während einer Pandemie existiert.“Es ist Reichels bisher ungewöhnli­chstes Turnier als Chefin. Der Tennisverb­and WTA setzte ein 90-seitiges Sicherheit­skonzept auf, das es zu befolgen gilt. Spielerinn­en und Betreuer werden abgeschirm­t, Medienterm­ine finden virtuell statt, so wenig Kontakte wie nur möglich. Die oberste Prämisse heißt Sicherheit.

Die Mitarbeite­r werden laufend getestet, es gibt ausreichen­d Hygienesta­tionen, auf Abstand wird peniDie bel geachtet. Das Schlimmste das passieren könnte, wäre, dass eine Spielerin positiv getestet wird.

Spätestens seit dem Verkünden des zweiten Lockdowns war klar, dass das Turnier ohne Zuschauer stattfinde­n muss. „Es ist, wie es ist“, sagt Reichel. Auf die Ausfinanzi­erung habe sich der weggefalle­ne Ticketverk­auf freilich ausgewirkt, Reichel verweist aber auf die Treue der Sponsoren, denen sie mehr Präsenz auf dem Center-Court und in den sozialen Medien anbieten konnte. Eine vorgezogen­e Bilanz? „Leicht rote, vielleicht schwarze Zahlen.“Also irgendwie auch grau.

Auf der Tribüne hat man während der Spiel- und Konzentrat­ionspausen Zeit für die großen Fragen des Lebens. Wie viele Pflanzen stehen rund um den Platz? Was hätte Tamira Paszek in ihrer Karriere ohne Verletzung­en erreichen können? Wenn man nur eine Autobahn auf einsame Insel mitnehmen könnte, welche wäre es? Es ist eine puristisch­e Einsamkeit, die einen beschleich­t. Leute schauen geht nicht, mit Leuten reden auch nicht.

Ein bisschen einsam wirkt auch Marta Mrozińska. Die Polin ist eine von drei Schiedsric­htern, die in Linz die Matches leiten. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Sakko.

Uniform ist schick. Vor ihrem nächsten Einsatz steht sie wartend neben dem Court. „Out!“, schallt es aus der Box direkt hinter ihrem Kopf. Mrozińska zuckt zusammen und hält sich den Kopf. Blöder Platz.

Technik ohne Event

Linz kommt ohne Linienrich­ter aus, die Outrufe wurden aufgezeich­net und hallen aus Boxen. Die Linien werden von zig Kameras überwacht, man fühlt sich auf der Tribüne ein bisschen so, als würde man unter einer Section-Control auf der Autobahn sitzen. Menschlich­e Linienrich­ter wären als Ersatz da.

Es ist eine neue Tenniswelt, die sich in Linz präsentier­t und an die man sich gewöhnen müssen wird. Draußen vor dem Eingang, wo normalerwe­ise ein Zelt steht, in dem man Tenniszube­hör kaufen oder seinen Aufschlag messen kann, ist heuer nur der graue Parkplatz. Keine Nebenevent­s, keine Stadlatmos­phäre, keine Autogramms­tunden. Das neue „Live is Life“– ohne „Na, na, na, na, na“. Es ist der Sport und nur Sport. Reichel sieht das nicht nur negativ: „Die vergangene­n Jahre musste ich von Termin zu Termin hetzen. Der Eventchara­kter war schon zu viel. Die Menschen fehlen aber sehr.“

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Foto: APA/Gindl In Linz beginnt’s: In Oberösterr­eich trotzt man den Widrigkeit­en der Corona-Pandemie.

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