Wohin mit Österreichs Atommüll?
Die EU-Kommission hat kürzlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eröffnet, weil es keine Strategie für die Atommüllendlagerung gibt. Ob die Kritik berechtigt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Seit August 1999 ist Österreich laut Verfassung atomfrei. Es darf weder Energie durch Kernspaltung gewonnen noch spaltbares Material, das nicht der friedlichen Nutzung dient, auf österreichischem Boden transportiert werden, geschweige denn Atomwaffen produziert werden. Dennoch hat die Republik rund 12.000 Fässer radioaktiven Abfalls, der gelagert werden muss. Kürzlich hat die EU-Kommission ausgerechnet gegen das atomfreie Österreich, aber auch gegen Kroatien und Italien ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet, weil keine ausreichende Strategie zur Entsorgung von Atommüll eingerichtet wurde.
Das nationale Entsorgungsprogramm ist seit 2018 beschlossen. Laut Euratom-Richtlinie 70/2011 der Kommission hätte es bereits im Jahr 2015 vorgelegt werden müssen. Die Verspätung führte schon einmal zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, das aber eingestellt wurde. Nun hat das Land zwei Monate Zeit, um auf die neuerliche Mahnung zu reagieren.
Im Umweltministerium bittet man um Verständnis. Um die Frage der Endlagerung zu klären, brauche es einen „gemeinsamen politischen Willen der verschiedenen Ministerien“, sagt eine Sprecherin. Durch wechselnde Regierungskonstellationen in den vergangenen Jahren seien die Vorarbeiten immer wieder unterbrochen worden. „Wir sind uns aber unserer Verantwortung bewusst und gehen diese jetzt an“, heißt es aus dem Ministerium.
Österreichs Vorteil
Dass die Kommission in einem Punkt auch fehlende Standards für die Umsetzung eines Endlagerungskonzepts kritisiert, kann der grüne Antiatomsprecher Martin Litschauer nicht ganz nachvollziehen. Diese seien auf europäischer Ebene gerade in Entwicklung: „Da müsste also erst einmal die Kommission selbst aktiv werden, bevor sie Mahnschreiben ausschickt.“Österreich hat auch einen wesentlichen Vorteil gegenüber Ländern, die Atomkraft nutzen, nämlich dass es hierzulande keinen hochradioaktiven Atommüll gibt. Dieser würde zum Beispiel in Atomreaktoren entstehen.
Johannes Puchner
In Österreich gibt es nur den Forschungsreaktor der Technischen Universität in Wien, dessen Brennstäbe nach der Nutzung an die USLieferanten zurückgegeben werden. In Österreich gibt es nur schwachund mittelradioaktiven Abfall, der 300 bis 500 Jahre gelagert werden muss, bis keine Gefahr mehr von ihm ausgeht. Derzeit entstehen davon rund 15 Tonnen pro Jahr vor allem in Medizin, Forschung, Industrie und beim Rückbau ehemaliger Forschungsreaktoren. Es handelt sich um medizinische Schutzkleidung, strahlenbelastetes Werkzeug, Beton oder Anlagenteile.
Mit der Zwischenlagerung ist derzeit die Nuclear Engineering Seibersdorf GmbH (NES) in der gleichnamigen Gemeinde in Niederösterreich beauftragt. Dort wird der Atommüll zerlegt, verbrannt, aufbereitet, gepresst, in Beton eingeschlossen, im Ofen getrocknet und anschließend in Form von Asche oder Pellets in gelben Tonnen oberirdisch in Hallen gelagert. „Diese Hallen sind selbstverständlich auch erdbebensicher, und auch für Extremsituationen wie einen Flugzeugabsturz ist vorgesorgt“, sagt NES-Geschäftsführer Roman Beyerknecht. Der Vertrag der Republik mit der NES läuft allerdings nur bis 2045. Spätestens dann braucht es einen neuen Ort, an dem der Atommüll langfristig gelagert werden kann.
Zur Frage, wie man Atommüll am besten lagert, sagt Reinhard Uhrig, Atomkraftexperte der Umweltschutzorganisation Global 2000: „Die Strategie ‚Deckel drauf, und gut ist es‘ reicht definitiv nicht.“Im Gegensatz zu hochradioaktivem Müll muss der, den wir in Österreich haben, nicht tiefengeologisch gelagert werden, auch oberflächennahe Varianten seien möglich, sagt Uhrig. Für vielversprechend hält er ein Konzept, das sich „rolling stewardship“nennt. Die Idee ist, Abfall so zu lagern, dass er laufend überwacht werden kann und Lecks von radioaktiven Stoffen schnell festgestellt oder präventiv verhindert werden können. Das Konzept sieht auch eine Entnahme des Atommülls und alle 50 bis 100 Jahre die Umlagerung in neue Container vor. Einige europäische Länder wie Frankreich oder Finnland haben bereits fertige Endlager für schwach- bis mittelradioaktiven Abfall. Im Umweltministerium nennt man das spanische Endlager El Cabril, 70 Kilometer von Córdoba entfernt, als mögliches Best-Practice-Beispiel. Dort wird das Material oberflächennah in Fässern gelagert, die dann in Betoncontainer einbetoniert und zusätzlich noch einmal in Betonkammern eingeschlossen werden. Dennoch bleibt das Material rückholbar.
Lagerung im Ausland
Auch die Idee einer Lagerung im Ausland findet sich im 2018 beschlossenen nationalen Entsorgungsprogramm. Bei Global 2000 hält man das für schwierig umsetzbar, denn wer soll den Abfall nehmen, und wer haftet, wenn sich die Lagerung als unsicher herausstellt? Man wolle dahingehen jedoch „keine Optionen ausschließen“, heißt es aus dem Umweltministerium. Infrage kämen bei einer Zusammenarbeit aber nur EU-Länder.
Das existierende Entsorgungsprogramm sieht auch eine Arbeitsgruppe aus Behördenvertretern, Experten und Zivilgesellschaft vor, die den Prozess zum Finden einer Lösung für die Endlagerung anleiten soll. Diese Idee gibt es seit 2018, Ziel sei es nun, dass die Gruppe im Frühjahr 2021 zum ersten Mal tagt. Auch die Bevölkerung soll umfassend über das Thema informiert und in ein Bürgerbeteiligungsverfahren einbezogen werden. Auf die Bürger ist die Politik nämlich nicht zuletzt bei der Standortwahl angewiesen. Wie schwierig dieses Vorhaben ist, zeigt ein Blick nach Tschechien, wo seit 2000 unter teils massivem Widerstand der Bevölkerung ein Endlagerstandort gesucht wird.
Im Umweltministerium nennt man El Cabril in Spanien als mögliches BestPractice-Beispiel.