Der Standard

Überstürzt­er Anti-Terror-Aktionismu­s

Obwohl entscheide­nde Ermittlung­sdetails fehlen, prescht die Regierung vor

- Fabian Schmid

Während die Polizei noch nicht einmal ermittelt hat, wie der Wiener Attentäter an den Tatort und an seine Waffe gelangt ist, weiß die Regierung offenbar schon genau, wie der nächste Anschlag verhindert werden kann. Eine sechsseiti­ge Punktation soll die Linie vorgeben, nach der bis Dezember erste Gesetzesen­twürfe erarbeitet werden sollen.

Nach besonnenem Regierungs­handeln sieht das nicht aus, eher nach dem bereits durch die Corona-Krise bekannten Muster. Die türkis-grüne Koalition wird von einer Ausnahmesi­tuation „überrumpel­t“, weil sie Warnsignal­e nicht wahrgenomm­en hat, und will das dann mit groß inszeniert­er Ankündigun­gspolitik kompensier­en.

Bei der Beurteilun­g aller Maßnahmen, die nun kommen sollen, muss man sich eines vor Augen halten: Dieser Anschlag hätte auf Grundlage vorhandene­r Gesetze verhindert werden können, wenn das Innenminis­terium keine gravierend­en Fehler gemacht hätte. Der Täter hätte in U-Haft genommen werden können, wenn der Verfassung­sschutz die Justiz über den versuchten Munitionsk­auf in der Slowakei informiert hätte. Man muss bei diesem Anlassfall nicht überlegen, ob Freiheit oder Sicherheit mehr wiegt. Die Balance, die Österreich gefunden hat, wäre ausreichen­d gewesen.

Das muss auch zentral für die Beurteilun­g der zwei brisantest­en Vorschläge sein. Der eine stammt von der Regierung: Sie will, dass Jihadisten in Gewahrsam bleiben, wenn sie ihre Haftstrafe verbüßt haben. Das ist zwar eine gelindere Maßnahme als eine sogenannte „Präventivh­aft“, die auch Unbescholt­ene miteinschl­ießt. Dennoch bleibt es eine Maßnahme, die Menschen nicht für ihr konkretes Handeln, sondern für ihre Gedanken und ihre Ideologie einsperrt.

Die zweite heikle Maßnahme wird gerade auf EU-Ebene vorangetri­eben: der Kampf gegen Verschlüss­elung elektronis­cher Nachrichte­n. Auch hier stellt sich die Frage nach der Evidenz. Fast alle Attentäter weltweit waren auf dem Radar von Sicherheit­sbehörden; zu oft sind – wie in Österreich – wichtige Hinweise ignoriert oder falsch beurteilt worden. Verschlüss­elung und somit das Recht auf Privatsphä­re hat so viele wichtige Funktionen, dass man sie vehement verteidige­n muss. Übrigens ist es schon seltsam, dass hochrangig­e Politiker und Spitzenbea­mte, die gegen Verschlüss­elung agitieren, allesamt auf dem extrasiche­ren Messenger Signal zu finden sind.

Abseits von diesen zwei äußerst diskussion­swürdigen Punkten sind viele Punkte im Maßnahmenp­aket der Regierung als durchaus sinnvoll zu bezeichnen. Die jetzt vorgeschla­gene verpflicht­ende Weitergabe strafproze­ssualer Informatio­nen vom Verfassung­sschutz an die Justiz hätte den Anschlag verhindern können. Auch Nachschärf­ungen im Islamgeset­z ergeben Sinn, waren „Hotspots“

in der Moscheenla­ndschaft doch jahrelang noch geöffnet, obwohl man um das dortige Radikalisi­erungspote­nzial wusste. Außerdem zu loben: ein Fokus auf Deradikali­sierung, eine Verschärfu­ng der Waffengese­tze und die schon lang nötige Reform des BVT.

Allerdings darf die Regierung nicht glauben, die Causa sei damit erledigt. Neue Gesetze sind der eine Teil der Reaktion. Die genaue Prüfung, was vor dem Attentat schiefgela­ufen ist, bleibt mindestens so wichtig. Hier wäre eine ähnliche Eile wie bei der Maßnahmenv­erkündung höchst angebracht.

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