Der Standard

Viel wurde verschlafe­n

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AGabriele Scherndl

ngesichts explodiere­nder Corona-Zahlen in Altersheim­en ist es verlockend, der Bundesregi­erung vorzuwerfe­n, sie habe die Lage unterschät­zt und den Rückgang der Infektione­n im Sommer nicht dafür genutzt, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Doch dieser Vorwurf greift zu kurz. Es war richtig von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober, erst auf Empfehlung­en zu warten. Immerhin ist kein Heim wie das andere, hier sind vor allem die Länder gefragt.

Viel schwerer wiegt, dass diese und frühere Regierunge­n es verschlafe­n haben, die Situation der Pflegebran­che insgesamt in den Griff zu bekommen. Ein eklatanter Personalno­tstand herrscht nicht erst seit der Pandemie, sondern seit Jahren.

Nun zeigt sich, wie gravierend sich diese Vernachläs­sigung auswirkt: Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind bei Erkrankung­en im Personal mit Ausfällen konfrontie­rt, die sie nicht kompensier­en können. Gleichzeit­ig liegt eine schwere Zusatzlast auf ihnen: Sie müssen nicht nur pflegen, sondern auch Besucherst­röme und Testungen koordinier­en und all die Betreuungs­aufgaben übernehmen, die vorher Angehörige geleistet haben, die gar nicht oder nur seltener kommen dürfen.

Dass die Politik erst eine Pandemie brauchte, um ihr Augenmerk auf diese Mängel zu richten, ist tragisch. Und dass sie nun, nach Monaten dieser Extremsitu­ation, noch nicht einmal erste Schritte gesetzt hat, um mehr Anreize zu schaffen und die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern, ist eine Verfehlung.

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