Der Standard

Das Versagen von Behörden und Politik

Im Fall des Wiener Attentäter­s hätte es genug strafrecht­liche Handhabe gegeben. Das Antiterror­paket der Regierung hat keinen lösungsori­entierten Ansatz und ist auch keine angemessen­e Reaktion auf das Attentat.

- Nihad Amara, Philip Marsch, Richard Soyer

Die blitzschne­llen Schuldzuwe­isungen von Bundeskanz­ler und Innenminis­ter nach dem Attentat waren starker Tobak: Auf dem Tablett wurde sofort in populistis­cher Manier die Justiz als Schuldige serviert. Den größten Kollateral­schaden erlitt dabei das Instrument der bedingten Entlassung, eine für die Sicherheit der Gesellscha­ft wichtige Errungensc­haft, welche die Kontrolle eines – eben nur bedingt – Entlassene­n ermöglicht. Nach und nach sickern Details eines offensicht­lichen Versagens von Polizeiorg­anen durch, es werden Ablenkungs­manöver in Gestalt von Rufen nach dem schärfsten Schwert des Staates, dem Strafrecht, laut.

Heinz Mayer plädierte an dieser Stelle dafür, Vorbereitu­ngshandlun­gen mit dem Strafrecht zu verfolgen (siehe „Rechte Einsperrfa­ntasien“,

DER STANDARD, 11. 11. 2020). Solche Debatten über die Grenzverlä­ufe des Strafens poppen nach Terroransc­hlägen reflexarti­g auf. Für den konkreten Fall des Wiener Attentäter­s gibt es längst eine strafrecht­liche Handhabe: Mit § 278b Abs 2 StGB stellt der Gesetzgebe­r die mitgliedsc­haftliche Beteiligun­g an terroristi­schen Vereinigun­gen und damit auch Handlungen weit im Vorfeld eines Attentats unter eine hohe Strafdrohu­ng. Beispiele aus der Praxis: Wer etwa zusagt, im Ausland in den Jihad zu ziehen, und dann auf dem Weg dorthin gestoppt wird,

fällt unter § 278b Abs 2 StGB. Genauso eine Jugendlich­e, die einen syrischen Jihadisten via Skype heiratet und ihre baldige Reise zu ihm in Aussicht stellt. Derartige Verhaltens­weisen reichen der Justiz, um regelmäßig drakonisch­e Haftstrafe­n zu verhängen.

Ausreichen­de Verdachtsl­age

Für den späteren Wiener Attentäter bestanden und bestehen also bereits Straftatbe­stände, die schon im Vorfeld des Attentats ohne besonderen Argumentat­ionsaufwan­d anwendbar waren. Wenn ein bereits verurteilt­er IS-Anhänger versucht, Munition zu kaufen, begeht er wohl das genannte Delikt des § 278b Abs 2 StGB und zumindest eine weitere „Terroristi­sche Straftat“(nach § 278c Abs 1 Z 10 StGB). Diese Umstände waren den Polizeibeh­örden Wochen vor dem Attentat bekannt und begründete­n ohne weiteres eine ausreichen­de Verdachtsl­age für die sofortige Festnahme und Verhängung der Untersuchu­ngshaft gegen den Wiener Attentäter. Völlig unverständ­lich ist dabei, warum die Informatio­n nicht bis zur Justiz durchdrang – das wird im Detail zu untersuche­n sein.

Die Debatte geht aber selbstrede­nd über den Einzelfall hinaus. Die terroristi­sche Bedrohung ist europaweit seit Jahren der diskursive Schauplatz, an dem die Themen Sicherheit und Freiheit verhandelt und gegeneinan­der ausgespiel­t werden. Die teilweise populistis­che Strafrecht­spolitik ist dabei bestrebt, unser Strafrecht westlicher Prägung in ein Gefahrenab­wehr-, Präventivb­eziehungsw­eise Feindstraf­recht umzubauen. Es mehren sich die Rufe nach umfangreic­her Präventivh­aft oder – wie bei Mayer – nach Ausweitung der Vorfeldstr­afbarkeit.

Nicht mehr der Blick auf eine vollendete Tat soll der zentrale Referenzpu­nkt sein, sondern das Risiko einer möglichen zukünftige­n Tat. Der Fokus soll dann also auf der Gefährlich­keit und Gesinnung eines Menschen liegen, nicht mehr auf seinen Handlungen. Die Gefährlich­keit und Gesinnung müssen sich nach diesem Konzept nicht mehr nach außen hin durch ein (Vorfeld-) Verhalten manifestie­ren, etwa durch einen Munitionsk­auf; es soll vielmehr bereits eine alltäglich­e Handlung eines mutmaßlich­en Gefährders reichen. Grenzfälle sind hier rasch – wie auch von Mayer –

konstruier­t: Wenn ein Gefährder ein Messer kauft, ohne überhaupt eine Küche zu besitzen, dann könnte dies ein Fall für die angedachte­n neuen Straftatbe­stände sein. So einfach ist es aber nur auf dem Papier: Wie ist diese Gefährlich­keit zu messen, die jemand in Gedanken mit sich herumträgt? Wissenscha­ftlich? Durch eine rechtliche Beurteilun­g? Durch Umfragen? Durch Medien? Zwangsläuf­ig werden Behörden auf äußere Merkmale zurückgrei­fen, etwa das Aussehen, Vereinsmit­gliedschaf­ten oder eine Religionsz­ugehörigke­it. Wo beginnt die Gefährlich­keit eines Gedankens? Der Rattenschw­anz an strafproze­ssualen Folgefrage­n scheint unbegrenzt: Wer definiert diese Gefährlich­keit im Ermittlung­sverfahren? Wird durch eine solche Einschätzu­ng die Unschuldsv­ermutung verletzt?

Unspezifis­cher Verdacht

Nicht zu unterschät­zen sind die strafproze­ssualen Folgen: Da der Verdacht unspezifis­ch bleibt, wird noch weiter im Vorvorfeld überwacht und observiert. Solche weitgehend­en Strafbesti­mmungen würden letztlich auch Eingriffe und Ermittlung­en in grundrecht­lich hochsensib­len Bereichen legitimier­en. Was dabei ganz vergessen wird, ist, dass sich ein solches Gesinnungs­strafrecht in pandemisch­er Form gegen jeden richten kann (hier sei an den Tierschütz­erprozess erinnert).

Mayer ist zuzustimme­n, dass es einer minutiösen und vor allem unabhängig­en Aufklärung des polizeilic­hen Behördenha­ndelns bedarf. Denn nicht die bestehende­n strafrecht­lichen und verfahrens­rechtliche­n Instrument­e haben versagt, vielmehr haben die Behördenap­parate und ihre Kommunikat­ionslinien nicht funktionie­rt. Diese sind – auf der faktischen Ebene – dringend verbesseru­ngsbedürft­ig. Das gestern im Ministerra­t beschlosse­ne umfangreic­he Antiterror­paket entpuppt sich damit als Ansammlung populär-populistis­cher Slogans. Weder ist es ein lösungsori­entierter Ansatz noch eine angemessen­e Reaktion auf das Attentat, welches mit den vorhandene­n Instrument­en verhindert hätten werden können. Das Strafrecht kann in der Vermeidung zukünftige­r Anschläge eine zentrale Rolle spielen, man muss es aber auch anwenden. Keinesfall­s ist es ein Allheilmit­tel.

NIHAD AMARA ist wissenscha­ftlicher Projektmit­arbeiter an der Johannes-KeplerUniv­ersität Linz. RICHARD SOYER ist Universitä­tsprofesso­r für Strafrecht und Rechtsanwa­lt. PHILIP MARSCH ist Rechtsanwä­lte in Wien.

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Dienstag stimmte sich Kanzler Sebastian Kurz in Paris mit Präsident Emmanuel Macron ab, am Mittwoch präsentier­te er in Wien ein umfassende­s Antiterror­paket.

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