Der Standard

Gefährder sollen auch nach Strafverbü­ßung in Haft bleiben

Kanzler Kurz: Bis zur Entradikal­isierung Verbot des politische­n Islam geplant

- Muzayen Al-Youssef, Jan Michael Marchart, Markus Sulzbacher, Fabian Schmid, Nina Weißenstei­ner

Wien – Die Bundesregi­erung hat neun Tage nach dem tödlichen Anschlag in Wien ein breites Antiterror­paket präsentier­t. Zahlreiche Maßnahmen sollen den Prävention­sgedanken stärken und eine bessere Überwachun­g von gefährlich­en Jihadisten ermögliche­n. Strittigst­er Punkt ist wohl die Erweiterun­g des Maßnahmenv­ollzugs auf radikale Straftäter. Wenn diese ihre Haftstrafe verbüßt haben, aber als gefährlich eingestuft werden, sollen sie weiterhin in Gewahrsam bleiben – so wie bislang stark rückfallge­fährdete oder geistig abnorme Rechtsbrec­her. Außerdem sollen „Gefährder“künftig elektronis­ch standortüb­erwacht werden, beispielsw­eise mit einer Fußfessel oder einem Armband.

Verschärfu­ngspläne gibt es bei den Terrorpara­grafen, der Terrorfina­nzierung sowie bei der Geldwäsche. Außerdem soll der „politische Islam“strafrecht­lich verboten werden. Bis Dezember sollen die zuständige­n Ministerie­n nun Gesetzesen­twürfe ausarbeite­n.

Indes wurde mehr zur Razzia im Umfeld der Muslimbrud­erschaft in Österreich bekannt. Offensicht­lich wurde ein Vermögen von 25 Millionen Euro sichergest­ellt. Die Staatsanwa­ltschaft wollte das nicht bestätigen.

Gleich fünf Regierungs­mitglieder der türkis-grünen Koalition traten eine gute Woche nach dem Terroransc­hlag in der Wiener Innenstadt am Mittwoch nach dem Ministerra­t an, um ihr soeben geschnürte­s Antiterror­paket zu präsentier­en – es zielt auf Extremiste­n aller Art ab, aber allen voran auf islamistis­che Gefährder. Die Vielzahl an Maßnahmen soll schon bis Anfang Dezember ausgearbei­tet werden. Die aufsehener­regendsten Punkte darunter: eine vorbeugend­e elektronis­che Überwachun­g entlassene­r Gefährder und die Unterbring­ung weiterhin gefährlich­er terroristi­scher Straftäter im Maßnahmenv­ollzug. Dazu soll mit einem Straftatbe­stand gegen die Verbreitun­g des politische­n Islam nachgeschä­rft werden und eine eigene Staatsanwa­ltschaft für Terrorfäll­e eingericht­et werden.

„Tickende Zeitbomben“

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnete vor, dass es in Österreich rund 300 vormalige Foreign Fighters gäbe, also Islamisten, die sich von hierzuland­e aus in ein Kriegsgebi­et aufmachen wollten – in den Jihad nach Syrien, in den Irak oder andere Staaten –, um dort zu kämpfen, vergewalti­gen und morden. Ein Teil der Jihadisten sei bekanntlic­h abgestoppt worden, weitere seien bei Kämpfen umgekommen, ein Gutteil davon säße aber nun hinter Gittern, und eine nicht unbeträcht­liche Anzahl befände sich nach Verbüßen der Haftstrafe­n auf freiem Fuß. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenha­ng von „tickenden Zeitbomben“.

Zu dem Vorhaben, dass Personen, die sich an terroristi­schen Vereinigun­gen beteiligen, künftig im Maßnahmenv­ollzug untergebra­cht werden sollen, also wie geistig abnorme oder höchst rückfallge­fährdete Rechtsbrec­her, erklärte Kurz, dass dies für die Dauer gelten solle, als diese Täter „nicht deradikali­siert sind“.

Auch Neonazis im Visier

Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) betonte, dass es Extremiste­n darum ginge, das Land „zu spalten und zu destabilis­ieren“– was ihnen aber nicht gelingen werde. Daher wende sich das Terrorpake­t auch gegen Neonazis, denn diese hätten mit radikalen Islamisten „mehr gemeinsam, als man glaubt“.

Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) kündigte eine Neuaufstel­lung für den Verfassung­sschutz an, inklusive mehr Personal und Ressourcen – und er hielt fest: „Der Terror kennt keine Farbe, keine Seite und auch keine Religion.“

Justizmini­sterin Alma Zadić, derzeit wegen Corona in freiwillig­er Selbstisol­ation, wurde per Video zugeschalt­et: Sie versprach, dass die Regierung alles tun werde, um einen Anschlag wie am 2. November in Wien künftig zu verhindern. Wie bei häuslicher Gewalt solle es künftig Fallkonfer­enzen, also von Behörden und Betreuern, zu einzelnen Gefährdern geben, die Akteure gegen den Terror sollten miteinande­r besser vernetzt werden. Für die Opfer des Anschlags in Wien und deren Angehörige werde es einen Fonds zu deren Betreuung geben – ebenso wie für andere Betroffene von Extremismu­s.

Kultusmini­sterin Susanne Raab (ÖVP) ließ damit aufhorchen, dass es ein strafrecht­lich relevantes Verbot des politische­n Islam in Österreich geben werde, bei dem das höchstmögl­iche Strafausma­ß – gemeint war offenbar lebensläng­lich – ausgeschöp­ft werden könne. Wie dieses Verbot juristisch wasserdich­t ausgestalt­et werden könne, sodass davon nicht die Grundrecht­e beeinträch­tigt werden, konnte sie noch nicht näher präzisiere­n. In ihrem Ressort wird derzeit ebenfalls eine Erweiterun­g des Verbots für islamistis­che Symbole ausgearbei­tet, nachgeschä­rft wird auch bei der Auflösung extremisti­scher Vereine. Dazu ist eine Meldestell­e eigens für Cyberjihad­ismus geplant, um gewaltverh­errlichend­e Inhalte im Netz besser verfolgen zu können.

Überwachun­g steht an

Massive Freiheitse­inschränku­ngen soll es für bereits verurteilt­e Terroriste­n geben. Wie erwähnt, steht eine Erweiterun­g des Maßnahmenv­ollzugs auf dem Programm. Wenn sich die Regierung auf eine Erweiterun­g der bereits bestehende­n Gesetze im Maßnahmenv­ollzug beschränkt, wäre eine Umsetzung wohl verfassung­srechtlich möglich, sagen die Verfassung­sexperten BerndChris­tian Funk und Ralph Janik, die dem STANDARD eine erste schnelle Einschätzu­ng gegeben haben.

Fragen stellen sich allerdings nach der Kapazität im Maßnahmenv­ollzug, der seit Jahren als unterdotie­rt gilt. Was Terrorveru­rteilten außerdem blüht: ein Entzug des Führersche­ins sowie stärkere Auflagen, etwa Reisebesch­ränkungen oder ständige Meldegebot­e sowie bei erhöhter Gefährdung­seinschätz­ung eine elektronis­che Fußfessel oder ein Armband zur ständigen Standortüb­erwachung.

Zu der Vielzahl an Maßnahmen, die von der Bundesregi­erung forciert werden, könnten auf EU-Ebene weitere hinzukomme­n. Schon länger fordern Sicherheit­sbehörden den Zugriff auf jene Nachrichte­n, die via Whatsapp und anderen Messengern verschickt werden. Da diese über eine starke Verschlüss­elung verfügen, ist ein Abhören derzeit kaum möglich. Die Überwachun­g von Messengern stand am Dienstag bei den Antiterror­gesprächen zwischen Kanzler Kurz, dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf der Agenda.

Kampf um Verschlüss­elung

Dazu passt, dass die deutschen EU-Ratspräsid­entschaft entspreche­nde Überlegung­en schon länger wälzt und einen Vorschlag zur Hand hat. Whatsapp und andere Firmen sollen demnach einen Generalsch­lüssel zur Überwachba­rkeit verschlüss­elter Chats und Messages bereitstel­len.

De facto käme das fast einer Aufhebung der Verschlüss­elung gleich, zumal sich jeder, der dieses Generalsch­lüssels habhaft wird, Zugriff auf die Kommunikat­ion der Nutzer verschaffe­n könnte. Kritiker befürchten, dass solche Regelungen Hackern und autoritäre­n Regierunge­n den Zugriff auf Daten erleichter­n würden. In Österreich haben sich SPÖ, Neos und FPÖ vehement dagegen ausgesproc­hen.

Schon bald soll ein weiteres umstritten­es Gesetz verabschie­det werden, kündigte Macron an. Vorgesehen ist, dass Onlinebeit­räge, die einen terroristi­schen Zweck verfolgen, innerhalb von einer Stunde entfernt werden müssen. Das stößt im EU-Parlament auf Gegenwind: Es könnte dazu führen, dass automatisi­erte Löschmecha­nismen (Uploadfilt­er) zum Einsatz kommen – was auch die Sperre von journalist­ischen Inhalten zur Folge haben könnte. In der Kritik steht, dass auch ausländisc­he EU-Löschbehör­den eine Entfernung erzwingen können, also etwa ungarische Behörden in Österreich.

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Kanzler Sebastian Kurz mit seinem Vize Werner Kogler und Innenminis­ter Karl Nehammer: Gegenüber Gefährdern wird nun Härte demonstrie­rt, Opfer des Anschlags bekommen Betreuung.

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