Gefährder sollen auch nach Strafverbüßung in Haft bleiben
Kanzler Kurz: Bis zur Entradikalisierung Verbot des politischen Islam geplant
Wien – Die Bundesregierung hat neun Tage nach dem tödlichen Anschlag in Wien ein breites Antiterrorpaket präsentiert. Zahlreiche Maßnahmen sollen den Präventionsgedanken stärken und eine bessere Überwachung von gefährlichen Jihadisten ermöglichen. Strittigster Punkt ist wohl die Erweiterung des Maßnahmenvollzugs auf radikale Straftäter. Wenn diese ihre Haftstrafe verbüßt haben, aber als gefährlich eingestuft werden, sollen sie weiterhin in Gewahrsam bleiben – so wie bislang stark rückfallgefährdete oder geistig abnorme Rechtsbrecher. Außerdem sollen „Gefährder“künftig elektronisch standortüberwacht werden, beispielsweise mit einer Fußfessel oder einem Armband.
Verschärfungspläne gibt es bei den Terrorparagrafen, der Terrorfinanzierung sowie bei der Geldwäsche. Außerdem soll der „politische Islam“strafrechtlich verboten werden. Bis Dezember sollen die zuständigen Ministerien nun Gesetzesentwürfe ausarbeiten.
Indes wurde mehr zur Razzia im Umfeld der Muslimbruderschaft in Österreich bekannt. Offensichtlich wurde ein Vermögen von 25 Millionen Euro sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft wollte das nicht bestätigen.
Gleich fünf Regierungsmitglieder der türkis-grünen Koalition traten eine gute Woche nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am Mittwoch nach dem Ministerrat an, um ihr soeben geschnürtes Antiterrorpaket zu präsentieren – es zielt auf Extremisten aller Art ab, aber allen voran auf islamistische Gefährder. Die Vielzahl an Maßnahmen soll schon bis Anfang Dezember ausgearbeitet werden. Die aufsehenerregendsten Punkte darunter: eine vorbeugende elektronische Überwachung entlassener Gefährder und die Unterbringung weiterhin gefährlicher terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug. Dazu soll mit einem Straftatbestand gegen die Verbreitung des politischen Islam nachgeschärft werden und eine eigene Staatsanwaltschaft für Terrorfälle eingerichtet werden.
„Tickende Zeitbomben“
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnete vor, dass es in Österreich rund 300 vormalige Foreign Fighters gäbe, also Islamisten, die sich von hierzulande aus in ein Kriegsgebiet aufmachen wollten – in den Jihad nach Syrien, in den Irak oder andere Staaten –, um dort zu kämpfen, vergewaltigen und morden. Ein Teil der Jihadisten sei bekanntlich abgestoppt worden, weitere seien bei Kämpfen umgekommen, ein Gutteil davon säße aber nun hinter Gittern, und eine nicht unbeträchtliche Anzahl befände sich nach Verbüßen der Haftstrafen auf freiem Fuß. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenhang von „tickenden Zeitbomben“.
Zu dem Vorhaben, dass Personen, die sich an terroristischen Vereinigungen beteiligen, künftig im Maßnahmenvollzug untergebracht werden sollen, also wie geistig abnorme oder höchst rückfallgefährdete Rechtsbrecher, erklärte Kurz, dass dies für die Dauer gelten solle, als diese Täter „nicht deradikalisiert sind“.
Auch Neonazis im Visier
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte, dass es Extremisten darum ginge, das Land „zu spalten und zu destabilisieren“– was ihnen aber nicht gelingen werde. Daher wende sich das Terrorpaket auch gegen Neonazis, denn diese hätten mit radikalen Islamisten „mehr gemeinsam, als man glaubt“.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte eine Neuaufstellung für den Verfassungsschutz an, inklusive mehr Personal und Ressourcen – und er hielt fest: „Der Terror kennt keine Farbe, keine Seite und auch keine Religion.“
Justizministerin Alma Zadić, derzeit wegen Corona in freiwilliger Selbstisolation, wurde per Video zugeschaltet: Sie versprach, dass die Regierung alles tun werde, um einen Anschlag wie am 2. November in Wien künftig zu verhindern. Wie bei häuslicher Gewalt solle es künftig Fallkonferenzen, also von Behörden und Betreuern, zu einzelnen Gefährdern geben, die Akteure gegen den Terror sollten miteinander besser vernetzt werden. Für die Opfer des Anschlags in Wien und deren Angehörige werde es einen Fonds zu deren Betreuung geben – ebenso wie für andere Betroffene von Extremismus.
Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) ließ damit aufhorchen, dass es ein strafrechtlich relevantes Verbot des politischen Islam in Österreich geben werde, bei dem das höchstmögliche Strafausmaß – gemeint war offenbar lebenslänglich – ausgeschöpft werden könne. Wie dieses Verbot juristisch wasserdicht ausgestaltet werden könne, sodass davon nicht die Grundrechte beeinträchtigt werden, konnte sie noch nicht näher präzisieren. In ihrem Ressort wird derzeit ebenfalls eine Erweiterung des Verbots für islamistische Symbole ausgearbeitet, nachgeschärft wird auch bei der Auflösung extremistischer Vereine. Dazu ist eine Meldestelle eigens für Cyberjihadismus geplant, um gewaltverherrlichende Inhalte im Netz besser verfolgen zu können.
Überwachung steht an
Massive Freiheitseinschränkungen soll es für bereits verurteilte Terroristen geben. Wie erwähnt, steht eine Erweiterung des Maßnahmenvollzugs auf dem Programm. Wenn sich die Regierung auf eine Erweiterung der bereits bestehenden Gesetze im Maßnahmenvollzug beschränkt, wäre eine Umsetzung wohl verfassungsrechtlich möglich, sagen die Verfassungsexperten BerndChristian Funk und Ralph Janik, die dem STANDARD eine erste schnelle Einschätzung gegeben haben.
Fragen stellen sich allerdings nach der Kapazität im Maßnahmenvollzug, der seit Jahren als unterdotiert gilt. Was Terrorverurteilten außerdem blüht: ein Entzug des Führerscheins sowie stärkere Auflagen, etwa Reisebeschränkungen oder ständige Meldegebote sowie bei erhöhter Gefährdungseinschätzung eine elektronische Fußfessel oder ein Armband zur ständigen Standortüberwachung.
Zu der Vielzahl an Maßnahmen, die von der Bundesregierung forciert werden, könnten auf EU-Ebene weitere hinzukommen. Schon länger fordern Sicherheitsbehörden den Zugriff auf jene Nachrichten, die via Whatsapp und anderen Messengern verschickt werden. Da diese über eine starke Verschlüsselung verfügen, ist ein Abhören derzeit kaum möglich. Die Überwachung von Messengern stand am Dienstag bei den Antiterrorgesprächen zwischen Kanzler Kurz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf der Agenda.
Kampf um Verschlüsselung
Dazu passt, dass die deutschen EU-Ratspräsidentschaft entsprechende Überlegungen schon länger wälzt und einen Vorschlag zur Hand hat. Whatsapp und andere Firmen sollen demnach einen Generalschlüssel zur Überwachbarkeit verschlüsselter Chats und Messages bereitstellen.
De facto käme das fast einer Aufhebung der Verschlüsselung gleich, zumal sich jeder, der dieses Generalschlüssels habhaft wird, Zugriff auf die Kommunikation der Nutzer verschaffen könnte. Kritiker befürchten, dass solche Regelungen Hackern und autoritären Regierungen den Zugriff auf Daten erleichtern würden. In Österreich haben sich SPÖ, Neos und FPÖ vehement dagegen ausgesprochen.
Schon bald soll ein weiteres umstrittenes Gesetz verabschiedet werden, kündigte Macron an. Vorgesehen ist, dass Onlinebeiträge, die einen terroristischen Zweck verfolgen, innerhalb von einer Stunde entfernt werden müssen. Das stößt im EU-Parlament auf Gegenwind: Es könnte dazu führen, dass automatisierte Löschmechanismen (Uploadfilter) zum Einsatz kommen – was auch die Sperre von journalistischen Inhalten zur Folge haben könnte. In der Kritik steht, dass auch ausländische EU-Löschbehörden eine Entfernung erzwingen können, also etwa ungarische Behörden in Österreich.