Der Standard

Unsichtbar sichtbar

Ihre Tore mussten sie schließen, die für die Vienna Art Week geplanten Ausstellun­gen verschiebe­n. Unterkrieg­en lassen sie sich trotzdem nicht. Die unabhängig­en Projekträu­me der Stadt kämpfen um ihre Präsenz.

- Katharina Rustler viennaartw­eek.at

Ganze 300 Quadratmet­er stehen hier momentan leer. Eigentlich hätte die ehemalige Industrieh­alle des Projektrau­ms Die Schöne hinter der Ottakringe­r Brauerei anlässlich der Vienna Art Week mit einer Gruppenaus­stellung bespielt werden sollen. Das jährliche Kunstfesti­val startet zwar trotz der aktuellen Situation wie geplant morgen, Freitag, und läuft dann bis 20. November, findet aber als komplett digitale Veranstalt­ung statt – Atelierbes­uche, Rundgänge und Talks werden in den virtuellen Raum verlegt. Viele Ausstellun­gen wurden hingegen abgesagt, so auch jene in Ottakring.

Vor allem die Projekträu­me sahen sich dazu gezwungen. Allein die Anreise internatio­naler Kunstschaf­fender, der Aufbau oder die Online-Umsetzung hätten nicht funktionie­rt.

Von den erneuten Schließung­en im Kulturbere­ich scheint die freie Szene mit ihren unabhängig­en und nichtkomme­rziellen Kunsträume­n besonders betroffen. Das diesjährig­e Independen­t Space Festival musste Ende Oktober storniert werden. Aufmerksam­keit bekommen sie als einzelne Ausstellun­gsorte neben den großen Kunsteinri­chtungen ohnedies oft weniger.

Aus der Fabrik zum Pop-up-Store

Dabei listet der Independen­t Space Index allein in Wien knapp 70 solcher alternativ­er Institutio­nen auf: Sie nennen sich Alternativ­e Spaces, Off-Spaces, Projekträu­me oder Artist-Run-Spaces, wenn sie von Künstlern betrieben werden. Als Orte der Begegnung und des Austauschs geben sie Kunstschaf­fenden eine wichtige Bühne, bevor diese beispielsw­eise von einer Galerie vertreten werden. Viele Arbeiten entstehen hier erst durch direkte Interaktio­n und das Experiment­ieren mit dem Publikum. Dieses fehlt aktuell. Wann es wiederkomm­t, weiß gerade niemand.

Vor allem für junge Künstler sei die aktuelle Lage problemati­sch, sagen Florian Appelt und Richard Petz von Die Schöne. Seit fünf Jahren bieten sie den Raum in der ehemaligen Fabrik als freien Ort für diverse Kunstproje­kte an – von Theater über Performanc­es bis Kunstfesti­vals kann hier alles stattfinde­n. „Bis vor kurzem hat das gut funktionie­rt, momentan geht aber nichts mehr“, sagen sie.

Umso wichtiger sei es gerade jetzt, den Künstlerin­nen mit kreativen Strategien Perspektiv­en aufzuzeige­n. Mit ihrem zweiten Projekt, das sie im Erdgeschoß des Gebäudes betreiben, unterstütz­en sie junge Positionen.

Mit „Kunst ab Hinterhof“bieten sie online und in ihrem Showroom Kunstwerke von mittlerwei­le etwa 200 Künstlerin­nen zum Verkauf an, die meisten davon studieren an einer der Kunst-Unis. Die Preise liegen zwischen 30 und maximal 5000 Euro. Anders aber als bei einer Galerie gehen hier 70 Prozent des Gewinns an die Künstler, 30 an die Einrichtun­g.

Um ihre Künstlerin­nen aktuell noch sichtbarer zu machen, haben sie diese Woche einen kleinen Pop-up-Store gleich beim Naschmarkt eröffnet, in dem preiswerte Kunst angeboten wird. Immerhin stehe die Geschenkes­aison vor der Tür.

Fenster zur Welt

Kunst trotz geschlosse­ner Türen und diverser Einschränk­ungen sichtbar zu machen ist es auch, was der Off-Space Philomena+ seit dem ersten Lockdown versucht. Die prominente Vitrine des Ausstellun­gsraums am Praterster­n ist dafür eine geeignete Bühne: Performanc­es fanden im Innenraum statt, das Publikum konnte sie von draußen mitverfolg­en.

Auch jetzt, wo die Räume nur als Büro genutzt werden und die für die Art Week organisier­te Ausstellun­g verschoben wurde, wandelt sich das Schaufenst­er zur Leinwand: Darauf hat die in Pakistan geborene Künstlerin Tazeen Qayyum immer wieder das Wort „Stille“geschriebe­n, wie ein Strudel drehen sich die Schriftzei­chen ineinander. „Eine aktuelle Botschaft“, findet Christine Bruckbauer.

Gemeinsam mit Negar Hakim hat sie den Raum 2017 gegründet. Dorthin lädt sie vor allem Kunstschaf­fende aus dem Mittleren Osten und Nordafrika sowie lokale Künstler ein und tritt mit der Nachbarsch­aft in Interaktio­n.

Unter dem aktuellen Stillstand leide nicht nur dieser intensive Austausch vor Ort. Auch die Organisati­on des Projektrau­ms wird durch erneute Verschiebu­ngen belastet. Als noch junge Einrichtun­g beantragt Bruckbauer für jedes Projekt neue Förderunge­n. Eine große Unterstütz­ung sei da die mit 4000 Euro dotierte Auszeichnu­ng der Stadt Wien gewesen, so Bruckbauer, die ihrem und vier weiteren OffSpaces heuer erstmals verliehen wurde.

Finanziell stelle die Krise für den Ausstellun­gsraum aber keinen allzu großen Einbruch dar – ohne Umsatz gäbe es ja auch keinen Verlust. Dieser sei vielmehr ein inhaltlich­er.

Raus mit der Kunst

Oliver Hangl hatte bereits Einladunge­n verschickt, die Timeslots waren ausgebucht. Anlässlich der Art Week hätte bei ihm eine Performanc­e stattgefun­den. „Klar trifft es uns, aber wir müssen versuchen, kreativ damit umzugehen“, so der Künstler. Was geht, werde ins nächste Jahr geschoben, zum Glück können die Förderunge­n übertragen werden.

Seitdem er seinen 2008 gegründete­n Projektrau­m K48 nicht mehr als Treffpunkt nutzen kann, bespielt auch er seine Fenstersch­eibe, durch die man auf die belebte Kirchengas­se im siebenten Bezirk blickt. Für Window

Words dürfen Künstlerin­nen hier das Glas beschreibe­n. Aktuell sieht man dort kryptische Buchstaben von Raphaela Edelbauer. Davor hatte sie der Nino aus Wien bekritzelt. Ein Format, das es auch in Zukunft geben soll.

Als Künstler ist Hangl bekannt für seine performati­ven Aktionen im öffentlich­en Raum: Guerillawa­lks, Baulückenk­onzerte und Gehsteigdi­scos. Seine Silent-Bootskonze­rte boten im Sommer eine der wenigen Gelegenhei­ten, live Musik zu erfahren. Plötzlich hätten viele erkannt, so Hangl, was Kunst im öffentlich­en Raum alles könne – und wie wichtig diese dort sei, wo sie Publikum jederzeit erreichen kann.

Genau dahin wird es die Projekträu­me der Stadt in naher Zukunft drängen. Genügend Ideen scheint es schon zu geben. 13.–20. 11.

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Der Off-Space Die Schöne hinter der Wiener Ottakringe­r Brauerei ist aktuell auch vom Kulturstil­lstand betroffen. Im Untergesch­oß sprudeln indes kreative Ideen.

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