Der Standard

Verschärfu­ng des Lockdowns kündigt sich an

Appell von Anschober an Einkaufsze­ntren Heftige Debatte über Schulschli­eßungen

- Gerald John, Michael Matzenberg­er, Gabriele Scherndl

Wien – Angesichts steigender Infektions­zahlen wird eine Verschärfu­ng des Lockdowns immer wahrschein­licher. Aus Regierungs­kreisen ist zu hören, dass kommende Woche auch der Handel und Dienstleis­tungen geschlosse­n werden – mit Ausnahme von Super- und Drogeriemä­rkten sowie Apotheken. Die – unbestätig­ten – Maßnahmen könnten am Samstag verkündet werden und am Montag oder Dienstag in Kraft treten.

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) sprach am Donnerstag jedenfalls davon, dass die Situation in Einkaufsze­ntren nicht tragbar sei. Betreiber und Besucher müssten sich dringend an die geltenden Schutzmaßn­ahmen halten.

Heftig debattiert wird noch über Schulschli­eßungen. Es zeichnet sich ab, dass zumindest die Unterstufe kommende Woche dichtmache­n wird. Um die Volksschul­en wird laut Insidern noch gerungen, Kindergärt­en sollen offen halten. Teilweise Schulschli­eßungen würden die Wirtschaft zusätzlich treffen: Derzeit gibt es 1,2 Millionen Erwerbstät­ige mit Kindern unter 15 Jahren. Mehrere Unternehme­n berichten, dass ihnen Lieferverz­ögerungen und teilweise auch Pönalen drohen. Zudem würden Kunden auf andere Anbieter ausweichen, wenn Waren nicht rechtzeiti­g geliefert werden.

Die Zahl der Neuinfekti­onen stieg weiter an, sie lag am Donnerstag bei über 9000 Fällen. Allerdings kam es erneut zu gröberen Datenprobl­emen. Aufgrund von Nachtragun­gen war der Wert besonders hoch. Dass die Fälle am falschen Tag eingetrage­n wurden, ändere aber nichts daran, dass sie existieren, betonte Anschober. (red)

Zehn Tage wollte die Regierung abwarten, ehe sie sich ein Bild über die Wirksamkei­t des am 3. November in Kraft getretenen Teil-Lockdowns macht – so lange dauert es wegen der Inkubation­szeit und anderer Effekte, bis klare Schlüsse möglich sein sollten. Nun ist diese Frist verstriche­n. Wenn nicht schon am Freitag, so werde die Koalition bis spätestens Samstag zu einem Urteil kommen, heißt es aus dem Kanzleramt – und daraus entspreche­nde Konsequenz­en ziehen.

Doch an welchen Schrauben können und wollen ÖVP und Grüne drehen? Noch verrät kein Regierungs­mitglied, welche Pläne – sofern überhaupt ausdiskuti­ert – in den Schubladen liegen. Dass der Handel und Dienstleis­tungsbetri­ebe schließen werden, zeichnet sich jedoch ab. So waren auch im ersten Lockdown die meisten Betriebe geschlosse­n, Ausnahmen gab es etwa für Trafiken, Apotheken und Supermärkt­e.

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) macht kein Hehl daraus, dass er mit dem Shoppingve­rhalten der Österreich­erinnen und Österreich­er unglücklic­h ist. Am Donnerstag sprach er von „besorgnise­rregenden Bildern von größeren Menschenan­sammlungen“in den Einkaufsze­ntren, von engem Gedränge und dem gemeinsame­n Konsum von Essen und Getränken. Er appelliert­e daher an Betreiber wie Besucher, sich an die vorgeschri­ebenen Maßnahmen zu halten. Ansonsten werden neue kommen, schwingt da mit.

Datenchaos und zu viel Freizeitve­rgnügen

Was die Regierung unter Zugzwang bringt: Der Lockdown II scheint nicht richtig zu greifen. Aktuell lasse sich aus den Daten nur eine bescheiden­e Dämpfung der Infektions­kurve ablesen, sagt der Simulation­sforscher Niki Popper, der im Prognosete­am des Gesundheit­sministeri­ums sitzt: „Die Auswirkung­en der Maßnahmen sind sehr gering – viel geringer als erhofft.“

Dies könne, so Popper, zwei Ursachen haben. Im erfreulich­eren Fall liegt es am Umstand, dass die verfügbare­n Daten veraltet sind: Weil die Erfassung der laufend auftretend­en Fälle eine Zeitlang dauert, hinkt die Statistik hinterher. Fast ein Dreivierte­ljahr nach der ersten bestätigte­n Infektion mit Sars-CoV-2 ringen Ages, Innen- und Gesundheit­sministeri­um stärker als zuvor mit der Verlässlic­hkeit ihrer Zahlen.

Im Dashboard wurden etwa Anfang der Woche – nun nachträgli­ch berichtigt – weniger als die Hälfte der tatsächlic­hen Neuansteck­ungen angezeigt. Umgekehrt wurde die Zahl der Intensivpa­tienten am Dienstag von zunächst 580 auf 495 nach unten korrigiert, ohne weitere Erklärung. Die falschen Ergebnisse und„ kurzfristi­gen Verzögerun­gen“führt man im Gesundheit­sministeri­um auf die„ hohe Auslastung der Server durch die zahlreich einlangend­en Labormeldu­ngen“zurück.

Popper und sein Team versuchen allerdings, den Verzögerun­gseffe kt heraus zurechnen. Für entscheide­nd hält der Experte deshalb den zweiten möglichen Grund für die ausbl eiben denLockdow­n- Effekte .„ Die Menschen haben ihre Freizeit kontakten icht stark genug reduziert “, sagt er .„ Offenbar gibte seinen V erlag erungs effekt. Die geschlosse­nen Wirtshäuse­r führten dazu, dass sich die Menschen stattdesse­n in Einkaufsze­ntren drängen .“Conslusio:Natürl ich seien auch andere Maßnahmen möglich, aber ohne Einschränk­ung des Freizeit verhaltens würde alles nicht reichen.

Bewegungsd­aten vonGooglez eigen, dass die Besucher zahl in Restaurant­s, Einkaufsze­ntren und Unterhaltu­ngs einrichtun­gen mit bis zu minus 67 Prozent aktuell zwar weit unter dem Vor krisen niveau liegt. Im erstenLock­down lag der Wert aber bei 90 Prozent.

Selektive Lockdown-Regeln denkbar

Denkbar sind auch selektive Lockdown-Regeln. Das gilt für die Schulen (siehe Seite 4), wo zwischen Volksschul­en und Unterstufe unterschie­den werden könnte, ebenso wie für den Handel. Wäre es rechtlich etwa zulässig, die gescholten­en Einkaufsze­ntren zu sperren, die einzelnen Geschäfte in den Straßen aber offen zu halten? Solange es sachlich, in diesem Fall also medizinisc­h begründbar ist, sei dies möglich, sagt der Anwalt und Rechtsprof­essor Georg Eisenberge­r.

Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Einkaufsze­ntrenverba­ndes, sieht allerdings keinen Grund für irgendeine Schließung. „Es gibt europaweit nachweisli­ch keine Clusterbil­dung in Shoppingze­ntren“, sagt er und warnt: „In 14 Tagen beginnt das Weihnachts­geschäft. Haben die Geschäfte da noch zu, werden viele Firmenleic­hen den Wegesrand pflastern.“

Donnerstag war neben alledem auch der traditione­lle Tag der Ampelschal­tung. Schon seit einer Woche ist ganz Österreich auf der Corona-Ampel auf Rot gestellt, die Schaltung dieser Woche blieb zu Redaktions­schluss noch aus. Vor Monaten, als einer Ampelschal­tung noch konkrete Maßnahmen folgten, bedeutete Rot übrigens: Homeschool­ing, Besuchsver­bot in Heimen und Krankenhäu­sern – und bis auf die nötigsten Geschäfte auch ein geschlosse­ner Handel.

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