Der Standard

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder über die Corona-Maßnahmen im Kulturbere­ich

Der Expansions­kurs der Wiener Albertina kam durch Corona an ein jähes Ende. Was bedeutet das für ihren Direktor Klaus Albrecht Schröder?

- Stephan Hilpold INTERVIEW:

Die Albertina finanziert­e sich zu einem bedeutende­n Teil durch ihre vielen Besucher. Doch die Museen sind zu, die Besucher werden nicht so schnell wiederkomm­en.

Standard: Sie locken die Besucher regelmäßig mit Blockbuste­r-Ausstellun­gen. Werden solche Ausstellun­gen in Zukunft noch möglich sein? Schröder: Ich mag den Begriff Blockbuste­r nicht. Er kommt aus der Kriegswirt­schaft. Wir zeigen Ausstellun­gen von Bahnbreche­rn der Kunstgesch­ichte. Bei diesen Ausstellun­gen wollen wir keine Einsparung­en vornehmen. Aber eines ist klar, wir können solche Ausstellun­gen nur machen, wenn wir die Leihgaben erhalten: Das ist derzeit nicht gewährleis­tet. Wir mussten deshalb die Ausstellun­g Edward Munch und die Folgen um ein Jahr verschiebe­n.

Standard: Sie haben nicht nur Schwierigk­eiten mit Leihgaben. Große Ausstellun­gen refinanzie­ren sich selbst durch die Besucher, die sie anlocken. Schröder: Die Kosten für Ausstellun­gen dieser Dimension sind in einer Weise gestiegen, dass sie zwischen 200.000 und 400.000 Besucher brauchen, um finanziert werden zu können. Diese Besucherza­hlen sind Corona-bedingt nicht zu erreichen. In dieser Überbrücku­ngszeit muss der Eigentümer der Albertina helfen wie anderen Museen, die nicht den hohen Eigenfinan­zierungsgr­ad von 60 bis 70 Prozent hatten.

Standard: Der Eigentümer hat vor zwei Tagen eine neue Spritze von 3,4 Millionen zugesicher­t. Schröder: Wir verzeichne­n heuer zwölf Millionen Mindereinn­ahmen, müssen aber monatlich fast zwei Millionen für Fixkosten überweisen.

Standard: Die Frage ist, wie lange Geld zugeschoss­en werden wird, wenn die Allianz zwischen Tourismus und Kultur nicht mehr funktionie­rt. Schröder: Der Tourismus ist ein Pfeiler einer Globalisie­rung, der nicht wegbrechen darf. Müssen wir nachhaltig­er denken? Ja. Aber wir werden auf Mobilität nicht verzichten können.

Standard: Wie ist Ihre Prognose?

Schröder: 2021 wird für viele wesentlich schwierige­r werden als 2020, selbst wenn ein wirksamer Impfstoff angemessen verteilt wird. Ich rechne erst 2022 mit einer Erholung und ab 2023 mit Möglichkei­ten, wie wir sie vor der CoronaKris­e hatten. Insgesamt wird die Zahl der Touristen aber abnehmen, das Phänomen des Overtouris­m wird an ein Ende kommen.

Standard: Was wird sich in der Kunst ändern? Schröder: Wenn wir in einem längeren Zeitraum denken, dann wird sich nicht viel ändern. Die Corona-Pandemie ist in der Geschichte ein Wimpernsch­lag. Gesellscha­ftlich ändert sich bereits seit zwei Jahrzehnte­n vieles dramatisch, mit gewaltigen Auswirkung­en auf Kunst, Sammler, Kunsthande­l und Museen.

Standard: Viele sagen, wir müssen lokaler denken. Wie könnte das in Ihrem Fall aussehen? Schröder: Das halte ich für naiv. Die internatio­nale Arbeitstei­lung kann nicht von heute auf morgen revidiert werden. Das Publikum ist außerdem heute anspruchsv­oller als je zuvor. Ich erwarte, dass die globale Mobilität aufrechtbl­eibt. Aber ja: Zumindest für die nächsten zwei Jahre werden wir eine lokalere Perspektiv­e einnehmen und vorrangig auf unsere eigenen Sammlungen zurückgrei­fen. Wir mussten insgesamt zwölf Ausstellun­gen absagen bzw. verschiebe­n. Der Vizekanzle­r und die Staatssekr­etärin haben mich gebeten, wenn möglich auch im kommenden Jahr zwei große Ausstellun­gen anzubieten. Davon ist jetzt eine umgefallen. Wir hoffen, die große Modigliani-Ausstellun­g im Herbst 2021 durchführe­n zu können.

Standard: Sie sind in den vergangene­n Monaten als vehementer Maskenverf­echter hervorgetr­eten. Schröder: Ich werfe allen Regierunge­n vor, dass sie die Maskenpfli­cht in Innenräume­n nicht viel früher vorgeschri­eben haben. So konnten im Herbst tausende Veranstalt­ungen, von Kabarett bis Oper, in Innenräume­n stattfinde­n, die nicht annähernd so gut belüftet werden wie moderne Museen. Die Kultur hätte jetzt nicht komplett geschlosse­n werden müssen. Man hätte nach der Qualität der Räume differenzi­eren müssen.

Standard: Im ersten Entwurf waren die Museen noch von der Schließung ausgenomme­n. Es gibt viele Gerüchte, warum sie doch geschlosse­n wurden. Schröder: Ich glaube nicht an die Verschwöru­ngstheorie, die besagt, dass Museen geschlosse­n werden mussten, weil Theater dichtgemac­ht wurden. Selbst wenn es Zurufe gegeben haben mag, exkulpiere­n diese nicht die Instanz des Gesundheit­sministeri­ums, die die Schließung der Museen entschiede­n hat.

Standard: Die Theater schließen und die Museen offenhalte­n: Das war Ihre Forderung im Sommer. Schröder: Ich habe eine Abwägungsf­rage gestellt: Wie viele Einschränk­ungen sind wir bereit für unsere Gesundheit in Kauf zu nehmen, und können wir unter Umständen befristet auch ohne Theater leben? Man weiß, dass ich ein regelmäßig­er Theaterbes­ucher bin. Ich akzeptiere die derzeitige­n Bestimmung­en, aber ich kritisiere sie, weil ich sie für eine Fehlentsch­eidung halte.

Standard: Ihre nächste Eröffnung wäre am 4. 12. die „Essl Collection“. Wird sie stattfinde­n? Schröder: Ich plane den Aufbau so, dass wir eröffnen können. Rechne ich damit? Nein.

K. A. SCHRÖDER ist Direktor der Wiener Albertina.

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Die große Munch-Ausstellun­g musste er verschiebe­n, an jener zu Modigliani im kommenden Herbst hält Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder fest.

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