Der Standard

Vernetzte Brüder und verrufene Verbindung­en

Muslimbrud­erschaft-Razzien zielen auf Netzwerk

- Vanessa Gaigg Jan Michael Marchart

Nach und nach lichtet sich das Dunkel, wen die Behörden bei der Razzia im Umfeld der Muslimbrud­erschaft im Visier hatten. Es geht um Millionenb­eträge, die sichergest­ellt oder auf Konten eingefrore­n wurden. Ob es sich wirklich um 25 Millionen Euro handelt, die noch dazu in bar aufgefunde­n worden seien, wie mehrere Medien gestern berichtete­n, dürfte allerdings noch unklar sein. Von den 70 Personen, gegen die ermittelt wird, befindet sich jedenfalls niemand in Untersuchu­ngshaft.

Dem Vernehmen nach ermitteln die Behörden auch im Umfeld palästinen­sischer Verbindung­en und Organisati­onen, die angeben, humanitär tätig zu sein. Offenbar vermutet man, dass diese über Umwege die Hamas unterstütz­en. Die Organisati­onen dürften untereinan­der eng verwoben sein. Zumindest zwei davon beziehungs­weise ihre Vertreter tauchten schon in der Vergangenh­eit im Zuge von Ermittlung­en auf. Ihnen wurde schon vor mehreren Jahren vorgeworfe­n, über Spendengel­der die Hamas zu finanziere­n, die Vereinskon­ten wurden daraufhin eingefrore­n. Es folgten jahrelange Ermittlung­en. Der Vorwurf konnte jedoch nie vor Gericht erhärtet werden, die Verfahren wurden eingestell­t.

Moschee im Visier

In sozialen Medien kursierte ein Video einer Frau, die von der Stürmung der Wohnung ihrer Familie durch die Polizei berichtet. Sie wirft den Beamten vor, unverhältn­ismäßig vorgegange­n zu sein. „Wie sollen wir Liebe lehren, wenn uns was anderes gelehrt wird?“, sagt sie im Video. Vor einigen Jahren organisier­te sie eine Aktion in Wien, bei der Palästinen­ser von Personen, die als israelisch­e Soldaten verkleidet waren, zu Boden geworfen und mit Spielzeugw­affen bedroht wurden.

Offenbar ebenfalls in den Blick der Behörden dürfte eine einschlägi­ge Moschee im zweiten Bezirk in Wien geraten sein. Diese wird von einem Verein betrieben, dem schon lange ein Naheverhäl­tnis zur Muslimbrud­erschaft nachgesagt wird. In einem Facebook-Posting wird der ehemalige ägyptische Präsident und Muslimbrud­er Mohamed Mursi als Märtyrer bezeichnet. Am 18. Juni 2019 fand offenbar auch ein erstes Totengebet für ihn statt.

Doch auch im Umfeld der Islamische­n Glaubensge­meinschaft (IGGÖ) fanden dem Vernehmen nach Razzien statt. Innerhalb der Glaubensge­meinschaft beteuert man aber, dass nur Personen einvernomm­en wurden, die vor dem Jahr 2016 eine Funktion in der IGGÖ hatten.

Abwarten der Ergebnisse

Ins Blickfeld geraten ist jedenfalls die Liga Kultur, der man seit geraumer Zeit Verbindung­en zur Muslimbrud­erschaft nachsagt. Zu ihren Gründern gehören die Brüder M. Der Ältere der beiden machte in einem Interview mit dem ägyptische­n Fernsehsen­der EgyUro TV auch kein Hehl daraus, Muslimbrud­er zu sein. Als er darauf angesproch­en wird, sagt er lapidar: „Korrekt.“Die Trennung zwischen Staat und Religion tat er damit ab, dass das nur ein „Slogan in Europa“sei. Das Gespräch hat der Wissenscha­fter Lorenzo Vidino in einer Studie 2017 festgehalt­en.

Die Brüder M. waren aber auch im Umfeld der IGGÖ aktiv, etwa im Obersten Rat oder in der Islamische­n Religionsp­ädagogisch­en Akademie, die islamische Religionsl­ehrer ausbildet.

Ebenfalls von der Razzia betroffen war die Stiftung von ExIGGÖ-Präsident Anas Schakfeh. Dieser wies in einem Interview mit der Presse bereits von sich, etwas mit den Muslimbrüd­ern zu tun zu haben.

Einvernomm­en wurde etwa auch eine Person aus dem Dunstkreis der IGGÖ. Zum Beispiel ein Politikwis­senschafte­r, der für seine Islamophob­ie-Reports bekannt ist. Er trat etwa noch im Frühjahr 2019 bei einer Fachtagung der Glaubensge­meinschaft auf. Damals ging es um den Begriff „Politische­r Islam“, den die IGGÖ ablehnt.

Innerhalb der Religionsv­ertretung zeigt man sich abwartend, was die Razzia anlangt. Man könne schwer über eine Gesinnung, sondern mehr über Handlungen entscheide­n.

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