Der Standard

Kritik an neuer Haft für Terroriste­n

Die Regierung will eine Art „Sicherungs­haft“für verurteilt­e Terroriste­n einführen. Diese sollen nach dem Strafvollz­ug hinter Gittern bleiben, solange sie gefährlich sind. Experten sehen viele Hürden.

- Fabian Schmid

Die Bundesregi­erung will verurteilt­e Terroriste­n auch nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe hinter Gittern sehen, wenn von ihnen weiterhin eine Gefahr ausgeht. Jihadisten sollten in Gewahrsam sein, solange sie nicht deradikali­siert seien, sagte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch bei der Präsentati­on des Antiterror­pakets. Als geeigneten Hebel für eine „Sicherungs­haft“sieht TürkisGrün den Maßnahmenv­ollzug, der in Österreich vor allem geistig abnorme Rechtsbrec­her betrifft.

Für den Kriminalso­ziologen Reinhard Kreissl sitzen im Maßnahmenv­ollzug schon jetzt „zusehends Leute, die dort nicht reingehöre­n“. „Man kann unliebsame Personen wegsperren“, kritisiert der Forensisch­e Neuropsych­ologe und Gutachter Johannes Klopf den Maßnahmenv­ollzug. Würden dort nun auch Jihadisten untergebra­cht werden, befürchtet Klopf ein „totales Chaos“.

Unklar ist, wie die Regelung der Regierung genau ausgestalt­et wird. Es gibt derzeit gesetzlich­e Vorgaben für geistig abnorme und süchtige Täter sowie für Rückfallst­äter, wobei bei Letzteren der Paragraf kaum zur Anwendung gelangt. Eine Anknüpfung der Terrorgefa­hr an geistige Abnormität wird von den Experten mit Sorge gesehen. „Psychiatri­sierung ist Entpolitis­ierung“, sagt Kreissl. Man kenne aus Diktaturen, etwa dem Stalinismu­s, die Vorgehensw­eise, politische Dissidente­n zu psychiatri­sieren, warnt der Leiter des Vienna Centre for Societal Security (Vicesse).

„Im Bereich Terrorismu­s sind Täter hoch zurechnung­sfähig“, sagt auch Klopf. Diese hätten im Maßnahmenv­ollzug „gar nix verloren“. Damit gelange man nämlich zum nächsten Problemfel­d: zur Frage der Begutachtu­ng. „Natürlich kann man Psychiater­innen und Psychologe­n täuschen“, sagt der Psychiater Patrick Frottier, einst ärztlicher und therapeuti­scher Leiter der zentralen Sonderanst­alt und Begut

achtungsab­teilung für geistig abnorme Rechtsbrec­her. „Zu glauben, dass jemand nach einer halben Woche nicht weiß, welche Antworten wir hören wollen, ist lebensfrem­d“, so Frottier.

Die Graustufen der Begutachtu­ng

Mit der differenzi­erten Einschätzu­ng von Gutachtern könnten Richter nicht viel anfangen, denkt Kriminalso­ziologe Kreissl. Auf die Frage, ob eine Person noch gefährlich sei, werde man ein „einfaches Ja oder Nein von einem Gutachter nie bekommen“. Das wäre aber nötig, um juristisch­e Klarheit zu schaffen.

Was wären also Alternativ­en zum Maßnahmenv­ollzug? Auch demokratis­che Regierunge­n haben immer wieder probiert, eine Art von Präventivh­aft einzuführe­n. In Großbritan­nien existierte von 2005 bis 2012 eine „Verwahrung für die öffentlich­e Sicherheit“. Sie kam bei Tätern zur Anwendung, deren Vergehen nicht mit lebenslang­er Freiheitss­trafe geahndet werden konnte, die aber als „gefährlich“galten. Diese Form der Präventivh­aft funktionie­rte aus mehreren Gründen nicht – unter anderem, weil britische Gefängniss­e ohnehin als überfüllt gelten.

In Deutschlan­d gibt es die sogenannte „Sicherungs­verwahrung“, bei der verurteilt­e Täter nach der Strafverbü­ßung auf ihre Gefährlich­keit begutachte­t werden. Über die Sicherungs­verwahrung müsse in der Regel schon im Urteilsspr­uch entschiede­n werden und nicht nachträgli­ch während der Haft, erklärt Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminolog­ie der Universitä­t Tübingen. „Das Kardinalpr­oblem all dieser Regelungen ist natürlich die Frage, wie man menschlich­es Handeln prognostiz­ieren kann“, sagt Kinzig. Nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EMGR), der die nachträgli­che Sicherungs­verwahrung in Deutschlan­d kippte, seien rund 70 Personen aus der Haft entlassen worden. „Die wenigsten wurden rückfällig“, so Kinzig. Dadurch zeigt sich, dass die Maßnahmen immer auch Personen betreffen werden, die eben doch nicht so gefährlich wie angenommen sind. Einig sind sich alle Experten, dass Jihadisten langjährig­e intensive Betreuung brauchen. Die sogenannte „Führungsau­fsicht“in Deutschlan­d setze auf das Motto „Helfen und Überwachen“, so Kinzig. „Man muss nicht lieb und nett, sondern klar und konsequent sein“, sagt der Psychiater Frottier, „ein Jugendlich­er, der Schwierigk­eiten macht, ist ein Jugendlich­er, der Schwierigk­eiten hat.“Wichtig sei es, verständli­che Regeln vorzugeben, bei deren Einhaltung aber zu unterstütz­en. Maßnahmen wie die angedachte Streichung der Sozialleis­tung seien „klar der falsche Weg“.

Überwachun­g von Gefährdern samt detaillier­ter Informatio­nsanalyse ist auch für Kreissl das Nonplusult­ra: „Wir müssen die Fähigkeite­n des Sicherheit­sapparats verbessern.“Bei fast jedem Anschlag müssen Behörden einräumen, den Attentäter auf dem Radar gehabt zu haben. „Der Apparat versinkt in Informatio­nen, verlangt aber immer mehr davon“, so Kreissl.

Grüner Abwehrkamp­f

Politisch steht die „Sicherungs­haft“schon lange auf dem Wunschzett­el der ÖVP. Sie galt als einer der größten Zankäpfel bei den türkis-grünen Koalitions­verhandlun­gen. Ursprüngli­ch war geplant, auch als „gefährlich“eingestuft­e Asylwerber präventiv in Haft nehmen zu können. Eine verfassung­skonforme Ausgestalt­ung dieser Regelung wäre nach Ansicht vieler Experten schwierig geworden. Der Hebel über den Maßnahmenv­ollzug, also das Abzielen auf bereits verurteilt­e Personen, dürfte hier weitaus weniger problemati­sch sein. In Deutschlan­d stellte das Bundesverf­assungsger­icht schon 2004 fest, dass prinzipiel­l auch die unbefriste­te Sicherheit­sverwahrun­g legitim ist.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria