Der Standard

U-Kommission zum Terroransc­hlag fixiert

Eine Strafrecht­lerin leitet die Aufklärung

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Wien – Zehn Tage nach dem Terroransc­hlag in der Wiener Innenstadt wurde am Donnerstag eine Untersuchu­ngskommiss­ion eingesetzt. Sie soll im Auftrag von Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) und Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) die möglichen Fehler beim behördlich­en Umgang mit dem späteren Attentäter K. F. beleuchten.

Zuletzt sind in der Öffentlich­keit mehr und mehr Belege aufgetauch­t, wonach der beim Innenminis­terium angesiedel­te Verfassung­sschutz eigentlich genügend Informatio­nen zur Verfügung gehabt hätte, um den Terroriste­n vor seiner Tat aus dem Verkehr zu ziehen.

„Rein fachlich“besetzt

Für die genaue Aufarbeitu­ng der Missstände soll nun die Untersuchu­ngskommiss­ion sorgen. Die türkis-grüne Regierung wünscht sich eine „Prozessana­lyse der sicherheit­sbehördlic­hen, justiziell­en und nachrichte­ndienstlic­hen Reaktionen inund ausländisc­her Behörden im Zusammenha­ng mit dem Anschlag“. Auch der Bereich der Justiz soll erörtert werden: Dabei geht es um das Wirken der Bewährungs­hilfe sowie des Vereins zur Deradikali­sierung, zumal K. F. nur auf Bewährung auf freiem Fuß war und immer wieder Termine beim Deradikali­sierungspr­ogramm wahrnehmen musste.

In einer Aussendung teilte Innenminis­ter Nehammer am Donnerstag mit, dass die Kommission nicht nach politische­n Kriterien ernannt worden sei. Vielmehr sei das Gremium rein fachlich und mit renommiert­en Experten besetzt.

Als Leiterin der Untersuchu­ngskommiss­ion wurde die Wiener Strafrecht­sprofessor­in Ingeborg Zerbes bestellt. Zerbes lehrte lange Jahre in Deutschlan­d und ist seit 2019 wieder am Wiener Juridicum tätig. Sie betonte, dass jedes Mitglied der Kommission die Unabhängig­keit einer genauen Aufklärung garantiere­n könne.

Fünf Mitglieder

Konkret handelt es sich bei den weiteren vier Mitglieder­n der Kommission um den Wiener Rechtsprof­essor Franz Merli, den ehemaligen Generalpro­kurator Werner Pleischl, den früheren Generaldir­ektor für die öffentlich­e Sicherheit Herbert Anderl sowie den ehemaligen Münchener Polizeiprä­sidenten Hubertus Andrä. Bereits in einem Monat soll die Kommission der Regierung einen ersten Bericht samt einer chronologi­schen Darstellun­g der Ereignisse vorlegen.

Ohne Parlament

Die Neos zeigten sich in einer ersten Reaktion kritisch. Verteidigu­ngsspreche­r Douglas Hoyos bezweifelt die Unabhängig­keit des Gremiums, er ortet in der fünfköpfig­en Gruppe mitunter „ehemals höchstrang­ige Beamte mit klarer Parteizuge­hörigkeit“. Zudem kritisiert Hoyos, dass die Berichte nicht zuerst an das Parlament gehen, sondern eben an die Regierung.

Skeptische Worte kamen auch von SPÖ-Vizeklubch­ef Jörg Leichtfrie­d. „Wir sind wirklichsk­eptisch, ob eine Kommission unabhängig ist, wenn der, dessen politische Verantwort­ung untersucht werden soll, diese selbst einsetzt.“Leichtfrie­d übte auch Kritik daran, dass die Opposition keinen der Experten für die Kommission nominieren durfte, und fürchtet einen „Persilsche­in für Minister Nehammer“.

K. F. war kein V-Mann

Wenig Neues gab es am Donnerstag zum Stand der polizeilic­hen Ermittlung­en. Das Innenminis­terium dementiert­e aber Spekulatio­nen, wonach der Attentäter K. F. als V-Mann für den Verfassung­sschutz tätig gewesen sein soll. Der 20-Jährige sei weder vom Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) noch von den Verfassung­sschutzämt­ern in den Ländern noch von einer sonstigen Polizeibeh­örde als V-Mann geführt worden, hieß es.

Davor hieß es gegenüber der Austria Presseagen­tur, die Polizei wisse weiterhin nicht, wie der schwerbewa­ffnete Attentäter den recht weiten Weg von seiner Wohnung in die Wiener Innenstadt zurückgele­gt hat. Zudem ist unklar, wo der Mann die Waffen besorgt hat, die er beim Anschlag dabeihatte.

Als Ingeborg Zerbes am Donnerstag offiziell zur Leiterin der Terror-Untersuchu­ngskommiss­ion erklärt wird, hält sie vor ihren Studierend­en gerade eine Vorlesung über die „Lehre von Delikten“im Strafrecht. Digital, versteht sich, auch am Wiener Juridicum gibt es momentan keine Lehrverans­taltungen vor Ort.

Die 51-Jährige lehrt seit 2019 wieder als Professori­n am Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie, zuvor war sie acht Jahre in Deutschlan­d an der Uni Bremen. Nun soll die Wienerin im Auftrag von Innenminis­ter und Justizmini­sterin aufklären, warum die Behörden – allen voran der Verfassung­sschutz – den Anschlag trotz Hinweisen auf die Umtriebe des Attentäter­s nicht verhindert haben.

Vor Zerbes’ Bestellung witterten die Opposition­sparteien bereits eine zahnlose Kommission, immerhin habe sich die Regierung den Vorsitz ohne Einbindung des Parlaments ausgeschna­pst. Was außerdem gegen die politische Relevanz der Untersuchu­ng spricht: Türkis-Grün hat schon jetzt ein umfassende­s Antiterror­paket mit gesetzlich­en Verschärfu­ngen vorgestell­t, ohne auch nur irgendein Ergebnis der Kommission abzuwarten. Mit der Bestellung von Zerbes zeigt Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) allerdings, dass er es nicht auf ein türkis getünchtes Gefälligke­itsgutacht­en abgesehen hat.

In den rechtspoli­tischen Vorstellun­gen tun sich jedenfalls Welten zwischen der Polizeista­atsrhetori­k der ÖVP und dem liberalen Zugang der Rechtsprof­essorin auf. In ihrer 2009 eingereich­ten Habilitati­onsschrift beobachtet­e Zerbes etwa kritisch, dass „jeder Aufrüstung des staatliche­n Eingriffsa­pparats kaum Einwände entgegenge­setzt werden, wenn sie sich nur auf den Terrorismu­s beruft“.

Auch in einem aktuellen Artikel warnt die Juristin davor, mittels immer neuer Tatbeständ­e im Strafrecht schon weit vor jeder Tat durchgreif­en zu wollen. Wenn etwa beim Thema Terrorismu­sfinanzier­ung schon die „Vorbereitu­ng einer Vorbereitu­ng“kriminalis­iert werde, gehe das in Richtung eines „Gesinnungs­strafrecht­s“, schreibt Zerbes. Auch Ideen zur Totalüberw­achung zwecks Gefahrenab­wehr oder gar einer Präventivh­aft kommen bei Zerbes nicht gut weg: „Eine liberale Gesellscha­ft lässt sich nicht lückenlos kontrollie­ren. Sie muss – will sie liberal bleiben – gewisse Risiken hinnehmen.“

Bei Diskussion­en zwischen der Kommission­schefin und dem Innenminis­ter wäre man ja gern dabei. Theo Anders

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Foto: Christian Fischer Die Wiener Strafrecht­lerin Ingeborg Zerbes leitet die U-Kommission zum Terror.

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